©Nicole Hacke
...das bedeutet Gänsehautmomente, die mir elektrisierende Schauer von den Fußspitzen bis zu den Haaransätzen den Körper wohlig rauf und runter jagen. Mein Herzschlag erhöht sich, mein Puls fängt an zu rasen.
Die Aufregung steigt mir bis zum Hals. Mit erwartungsvoller Anspannung beobachte ich das geschäftige Treiben im Parkett und in den Rängen. Die Musiker betreten den Orchestergraben und stimmen ihre Instrumente. Es klingt nach einer Kakophonie, dennoch genieße ich es. Langsam gehen die Lichter im Saal aus, es wird dunkel.
Der Dirigent betritt das Stehpult. Das Publikum applaudiert. Dann wird es mucksmäuschenstill. Mit dem Erheben des Taktstockes erfasst mich, wie aus dem Nichts, die volle Wucht der tonalen Magie. Es ist ein überirdischer Zauber, der von mir sofort Besitz ergreift und mich gefangen nimmt,
Ich stand schon als ganz kleines Mädchen auf den Brettern, die für viele Opernsänger die Welt bedeuten. Dazu brauchte es für mich nicht viel mehr als meine kindliche Fantasie.
Ich schob einfach die Daunendecken auf dem elterlichen Doppelbett beiseite, stellte mich in die Mitte der großen Matratze und fing einfach an zu singen. Stundenlang konnte ich das tun. Müde wurde ich dabei nie.
Es war so leicht zu singen. Und es fühlte sich unendlich befreiend an. Die Matratze war meine kleine, feine Welt, meine Bühne. Und ich auf ihr der große Star - die Callas!
Mein erstes „Eis-Geld“ verdiente ich mir dann mit fünf Jahren als Solistin vor dem Hauptportal einer Kureinrichtung. Ich blockierte einfach den Eingang, sang, was immer mir gerade in den Sinn
kam, und vereinnahmte mit meinem kindlichen Charme und liebreizenden Gesang die Passanten und Kurgäste.
Ein älterer Herr zog sogar seinen Hut, stellte ihn zu meinen Füßen auf und warf ein paar Pfennige hinein. Andere Gäste taten es ihm gleich und so konnte ich mir von dem kleinen Verdienst zwei Kugeln Vanilleeis kaufen.
©Nicole Hacke
Als mein Vater nicht mehr umhinkam, meine Leidenschaft für die Musik zu ignorieren, steckte er mich ohne große Diskussion, mit gerade mal fünf Jahren, in die musikalische Früherziehung.
Dort lernte ich das Xylofonspielen, sang im Kinderchor der örtlichen Musikschule und perfektionierte nebenbei noch das Flötenspiel. Als ich 12 Jahre alt war, verliebte ich mich in das Klavier und erprobte ganze sechs Jahre meine Fingerfertigkeiten an diesem für mich bis heute einzigartigen Instrument.
Doch bei aller Liebe zur Instrumentalmusik bedeutete mir das Singen schon immer mehr als alles andere auf der Welt. Es war für mich von Anfang an das allergrößte, mit meiner Stimme Menschen zu berühren, mit ihr eine verborgene Seite an mir zu entdecken, zu offenbaren und mich dabei dem eigenen Klang, dem individuellsten aller Klänge hinzugeben.
Und so bestimmte diese Leidenschaft mehr und mehr meinen Alltag. Ich sammelte Bühnenerfahrung, hatte Gastauftritte mit der Herrenhäuser Chorgemeinschaft im In- und Ausland und ließ sogar, als ich
schon lange einem soliden Broterwerb nachging, meine Stimme von einem Profi ausbilden.
Eine dreijährige Gesangsausbildung zum lyrischen Sopran bei der Opernsängerin Cordelia Hanus, verlieh mir den letzten Schliff. Ich war auf einmal in der Lage Opernarien und Operettenlieder zu singen. Hartes Training, Übung und viele Tonleitern rauf und runter, inklusive der richtigen gesangspädagogischen Kniffe und Techniken, verhalfen mir dazu, dieses hohe Niveau überhaupt zu erreichen.
Es war eine sportliche, beinahe athletische Herausforderung. Doch es erfüllte mich mit einer tiefen Freude zu erleben, wie meine Stimme voller Schönheit reifte und immer mehr erblühte.
©Nicole Hacke
Dann plötzlich kam der große Bruch in meinem Leben. Von heute auf morgen hörte ich mit dem Singen auf, interessierte mich kaum noch für die klassische Musik und ließ mich über 10 Jahre auf nichts mehr ein, was mich als Mensch so sehr ausgemacht, vereinnahmt und erfüllt hatte.
Dann entdeckte ich mehr durch Zufall die Liebe zur Musik, insbesondere zum klassischen Genre wieder. Und plötzlich sprang der Funke noch mal über! Ach, was sage ich, die klassische Musik veränderte von Grund auf mein Leben und ist bis dato (was mir sowieso keiner glauben will) ein planbarer Faktor für unverwechselbare Glücksmomente.
Denn, wenn Menschen immer und immer wieder im Außen nach dem großen kleinen Glück suchen und es nicht finden, so braucht es für mich nur eine Opern- oder Konzertkarte und das Glück wartet nur darauf, dass es auch pünktlich um 20:00 Uhr Showtime an den Start gehen darf. Es klingt unglaublich und einfach, ist es tatsächlich auch.
Vom Suchtfaktor des Glücks nicht loskommend erlebe ich so nicht nur herausragende Konzerte mit herausragenden Künstlern, sondern begegne ihnen mittlerweile sogar in persönlichen Gesprächen für mein Magazin, dessen Herausgeberin ich seit Ende 2022 bin, eine leidenschaftliche Aufgabe, die mich mit großer Freude und einer brennenden Mission erfüllt:
Nämlich so viele Menschen als möglich für die Oper und die klassische Musik zu begeistern, das verstaubte Image zu revolutionieren, die Opernsänger der Gegenwart durch mein Sprachrohr erfahrbar, nahbar und erlebbar zu machen und irgendwann zu mir sagen zu können:
Ich habe so viel bewegt, dass die Oper auch in Zukunft weiter durchhält, weil sie durch meinen Lifestyle eine barrierefreie Popularität erlangt hat, die unterhaltsam ist, Spaß macht und vor allem lebensnah und erfahrbar ist.
Wenn das Ihrer Meinung nach "großkotzig" klingt, dann bin ich definitiv auf dem richtigen Weg, denn der richtige Weg ist, dass wir dieses besondere Kulturjuwel mit aller Macht schützen, bewahren, ehren und vor allem den Instrumentalisten und Solisten das Gefühl vermitteln, dass sie dort auf die Opernbühnen zum Wohle der Menschheit hingehören. Denn schließlich ist Musik die Universalsprache der Menschlichkeit. Und davon zehren wir doch alle sehr viel.
Herzlichst Ihre Herausgeberin