01. Dezember 2024
Rubrik News
©Gregor Hohenberg / Sony Classical
Oft wird er von der Presse durch den Kakao gezogen. Manches Medium stellt sich sogar die Frage, ob der Tenor der Tenöre Jonas Kaufmann überhaupt noch ein Tenor ist? Wie gemein das gemeint sein kann, liest man dann, wenn die Ausnahmestimme des weltbesten Vertreters seiner Zunft bis ins kleinste Detail auseinandergenommen und im Strudel des medialen Trubels teils sogar auf das Unglimpflichste verrissen wird.
Es ist schon schlimm, wenn man es mit viel Arbeit, Fleiß und Disziplin geschafft hat, endlich da oben auf dem Sängerolymp anzukommen, um gleich darauf von Neidern in den Abgrund gerissen werden zu wollen. Also, bitte, darf ein Sänger solchen Formats auf keinen Fall stürzen.
Von Nicole Hacke
Vorsichtig muss er mit seiner Umwelt umgehen, sich auf dem Glatteis des Opernpakets geschickt anstellen und am besten so tun, als würde er es allen recht machen können. Nur kann man auf rohen Eiern schlecht performen.
Zum Glück ist Jonas Kaufmann solch ein Sänger nicht, der nur, weil es die Öffentlichkeit verlangt, ein Tenor-konformes Verhalten oder gar ein solides Opern- Repertoire an den Tag legt. Denn der Künstler mit dem baritonal eingefärbten Timbre lässt sich nicht sagen, was er zu singen hat - und lässt sich vor allem nicht in eine Schublade zwängen, in die er sowieso nicht passen würde.
Weiß man um die Vielseitigkeit des Ausnahmetalents, wird schnell klar, der Mann liebt einfach zu viele Musikgenre, als dass nur ein Fach, nur ein Repertoire und nur die Opernbühne für den Sänger als solche relevant sein könnte. Auch TV-Auftritte, eigene Sendeformate, und Konzertprogramme, die nicht ausschließlich Puccini, Verdi oder Wagner lesen, sondern auch Dolce Vita, Filmmusik und Operetten-Ohrwürmer versprechen.
All das, kann und singt der Tenor - und zwar so lässig wie nur ein Tausendsassa solch Facettenreichtum aus dem Ärmel schütteln kann.
Generalisten hatten es schon immer schwer. Schließlich wächst bei so viel Vielseitigkeit recht schnell der Neid der anderen wie eine giftgrüne Pflanze himmelweit empor.
Prompt wird ein Krankheitsfall zur medialen Hetzjagd aufgebauscht und alle, die nur darauf gelauert haben, stürzen sich dann wie Hyänen auf Kaufmanns Indisposition. Man hätte es ja gewusst, dass die Stimme des Tenors nie hält, was sie so gerne versprechen möchte.
Und auch jetzt, wo Kaufmann dem Teatro alla Scala für eine Forza-Produktion fernbleiben muss, aus familiären Gründen wohlgemerkt, schreibt und berichtet die Presse sogleich über das Fernbleiben des Tenors.
©Gregor Hohenberg / Sony Classical
Ständig im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses stehen, niemals nie von den Medien in Ruhe gelassen werden. Auch ich schaffe es nicht, mich davon zu distanzieren. Schließlich beschäftigt mich die Frage, warum die Meinungen über die stimmlichen und vor allem über die fachlichen Qualitäten des Sängers so weit auseinandergehen.
Ist der Kaufmann denn überhaupt noch ein Tenor? Immer wieder sänge er Töne von unten an, seine Stimme klänge gepresst und geknödelt, die Höhe, ach die liebe Höhe, ginge ihm ebenfalls langsam aber sicher abhanden.
Ganz ehrlich: Ich kann es nicht mehr hören! Denn ja, dieser baritonale, schokoladensatte Klangschmelz kommt schließlich nicht von irgendwoher und schon gar nicht wird man ihn in der Kopfstimme verorten können, denn Jonas Kaufmann ist de facto nun mal kein heller Tenor und auch kein vor sich hin trällernder Schönsänger, sondern ein gestandenes Mannsbild, ein Charaktersänger, der die Brücke zwischen lyrischem und dramatischem Fach längst geschlagen hat.
Wer sagt vor allem, dass von unten angesungene Töne falsch seien. Wer bestimmt darüber, ob ein hohes C brust- oder kopfgesungen wird und wie es besser, ideal oder richtig klingen muss.
Das ist mittlerweile vor allem Geschmackssache des Individuums oder besser noch des Kollektivs, das sich immer wieder einstimmig positiv in Konzertsälen begeisterungsstürmisch über die Performance eines Herrn Kaufmann auslässt.
Und so entscheidet das Publikum über Top oder Flop. Nicht notwendigerweise die Kritik, die fachsimpelnd und in der Theorie wohlgemerkt zu wissen meint, wie eine perfekte Tenorstimme zu klingen hat.
Was nämlich sagen die Qualitäten oder Nicht-Qualitäten über die von unten angesungenen Töne aus? Sind es nicht sogar die brustgesungenen Obertöne, die den Reiz dieser erotischen Tenorstimme ausmachen?
Genau diese, wenn auch für manch einen vermeintlich nicht idealkonformen stimmlichen Eigenarten, bilden doch den veritablen Grund, warum so viele Menschen Jonas Kaufmann so gerne hören.
©Gregor Hohenberg / Sony Classical
Und damit nicht genug. Wer vor zwei Tagen die einmalige Gelegenheit nutzen konnte, bei der Puccini-Gala an der Mailänder Scala Anna Netrebko und Jonas Kaufmann gemeinsam auf der Bühne erleben zu dürfen, weiß, dass das eine Sternstunde war und so sicher wie das Amen in der Kirche in die Operngeschichte eingehen wird.
Warum bloß, fragen Sie sich? Nun! Beide Interpreten standen im Duett zur Schlussarie der Manon Lescaut eng umschlungen beieinander und sangen sich förmlich die Seele aus dem Leib.
Mehr noch, sie lebten in ihren jeweiligen Rollen das Liebespaar, das keines sein durfte, mit jeder gesungenen Note. Sie lebten, durchlebten und durchlitten mit Haut und Haaren die letzten Atemzüge der Manon. Kaufmann litt, während Netrebko ihre letzten Phrasen mit ekstatischer Hingabe in das Auditorium absetzte.
Ganz klar: Solch ein Traumpaar der Opernszene gibt es nur einmal. Oder kennen Sie etwa ein anderes, das noch mehr Gefühl, Leidenschaft, authentische Darstellung und eine Sinnlichkeit auf die Bretter der Weltbühnen bringt, dass einem ganz schummrig warm ums Herz und in der Seele wird? Ich jedenfalls nicht.
Wissen Sie, schöne Stimmen allein machen noch lange nicht die besten aller Sänger aus. Und wenn es um Tenöre geht, dann erst recht nicht. Persönlichkeit, Authentizität, Bescheidenheit, Demut, Wahrhaftigkeit, Gefühl und Talent; das sind die Zutaten, die es wirklich braucht, um da oben auf der Bühne ganz groß zu werden.
Dafür muss man aber nicht groß oder noch schlimmer großkotzig tun und auch nicht der Größte sein wollen. Auch muss man nicht viel Aufhebens um seine Stimme, seine Ausstrahlung und seine interpretatorischen Fähigkeiten machen und das, was man mit all diesen Attributen ins Auditorium transportiert.
Angeberei ist nämlich so was von "Out". Denn ein Künstler, der tatsächlich was auf dem Kasten hat, als Mensch und Künstler glaubwürdig, authentisch und charismatisch ist und demnach zurecht als bester Tenor der Welt gehandelt werden darf, ist tatsächlich ein Mensch, der sich nicht hervortun und vor allem nicht an allererster Stelle stehen muss.
Sänger wie Jonas Kaufmann geben anderen immer gerne vom Kuchen des eigenen Erfolges ab - und zwar, weil sie es schlicht und ergreifend nicht nur können, sondern weil ihre Großzügigkeit keine Grenzen kennt. Und genau dieses Potpourri aus künstlerischen, professionellen und menschlichen Qualitäten macht einen Opernsänger wie Jonas Kaufmann erst zu einer großartigen Persönlichkeit und damit ganz eindeutig zu einem Star.
Ute Franke (Donnerstag, 05 Dezember 2024 01:02)
Auf so einen Artikel habe ich lange gewartet und den kann ich 100 % unterschreiben. Es tut einem richtig weh, wenn man liest, wie ein gottbegnadeter Sänger mit Missgunst überzogen wird, noch dazu von Menschen, die keine Ahnung von Musik haben und ausser Hass nichts zu bieten haben. Neid ist die Religion der Mittelmäßigen und Erfolglosen. Wenn sie längst vergessen sind, sein Name wird noch von Generationen verehrt werden.
Herausgeberin Nicole Hacke (Donnerstag, 05 Dezember 2024 11:12)
Liebe Frau Franke,
dem ist von meiner Seite nichts mehr hinzuzufügen. Neid ist aber tatsächlich der Treiber, der am Ende nur auf die eigenen Unzulänglichkeiten abstrahlt. Man versucht den anderen mit negativer Kritik zu treffen, trifft damit am Ende aber nur sich selbst.
Vielen Dank für Ihren Kommentar!
Herzliche Grüße
Nicole Hacke