16. Januar 2025
Rubrik News
©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper
Können Sie sich den Tenor Jonas Kaufmann als Bariton vorstellen? Wissen Sie was? Ich schon. Schließlich habe ich ihn vor wenigen Jahren bei einem Open-Air Konzert im 3729 Tausend Seelendorf Benediktbeuern als Tonio in Leoncavallos berühmt-berüchtigten Prolog erlebt und dann noch mal ein halbes Jahr später auf Berlins legendärer Waldbühne.
Und wie ich ihn da so erlebt habe als vokalen Schmelztiegel, dessen sattrunde Stimme einer herrlich süffigen Mittellage Raum für noch mehr Tiefenpotenzial einräumte.
Von Nicole Hacke
Auch wenn man sich bei einem gestandenen Tenor von Weltformat vehement gegen den Terminus Bariton sträuben mag, so liegt doch es doch bei Kaufmanns äußerst langer Stimme auf der Hand, dass mit den Jahren möglicherweise eine Registerverschiebung samt Schwerpunktsetzung ab Mittellage abwärts stattfinden kann.
Bereits vor Corona zeichnete sich dieser Verlauf in die "Baritonalen" immer mehr ab. Spätestens beim Liederabend ohne Publikum an der Bayerischen Staatsoper, nämlich als Jonas Kaufmann Schumanns Dichterliebe mit leidenschaftlicher Verve konturiert ausdrucksstark zum Besten gab, machte sich eine stark voluminöse, kernige und nussig-runde Stimme bemerkbar, die deutlich weniger an einen Tenor als an einen Bariton erinnerte.
Nun werden Sie als eingefleischer Kaufmann-Fan protestieren und nicht zulassen wollen, dass die gepflegt weiße "Tenorweste" mit baritonalem Schmutz besudelt wird.
Aber ich bitte Sie, meine Herrschaften! Eine Baritonstimme ist doch etwas ganz Herrliches. Und dann erst die Rollencharaktere, die letztendlich doch viel interessanter sind, als die der jugendlichen Lover Boys auf der Bühne.
©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper
Oder können Sie sich Jonas Kaufmann etwa nicht als Bösewicht vorstellen? Mal ganz unter uns: Irgendwie gefallen mir diese zum Großteil verwegenen Typen, die nicht nur äußerst gefährlich, sondern allzu oft auch frauenverachtend abstoßend wirken, zumindest auf eine eigentümlich aufregende Art.
Und Fakt ist, Jonas Kaufmann wird älter, seine Optik wird früher oder später ganz augenscheinlich nicht mehr dem Ideal eines jugendlichen Helden entsprechen, abgesehen davon, dass sein stimmliches Potenzial mehr und mehr in eine wuchtigere alterskonforme Reife abdriften und somit eine stark nachgedunkelte vokale Substanz erreichen wird, die, und das halten wir mal im positiven Sinne fest, schöner klingen mag als je zuvor.
Ich betone es, auch wenn es Ihnen nicht genehm ist: Sie haben wirklich etwas verpasst, wenn Sie weder in Benediktbeuern noch in der Waldbühne live dabei waren, um Tonios Prolog aus dem Munde eines Tenors zu lauschen. Selbst meine Wenigkeit konnte damals vor ungläubigem Staunen nicht fassen, was ich da wie so wunderschön und vollmundig zu Hören bekam.
Es war schlichtweg unfassbar, dass sich ein Tenor wie Jonas Kaufmann an so eine Bariton-Arie heranwagte und dem Publikum Glauben machen wollte, es ganz nebenbei aus Liebe zum Sujet konzertant einfach mal salopp nebenbei darzubieten.
Aus diesen beiden konzertanten "Nummern", von denen ich dachte, dass es dabei ausnahmsweise auch bleiben würde, ließ mich der Gedanke dennoch nicht los, dass an Jonas Kaufmann tatsächlich ein Bariton verloren gegangen sein könnte.
Fortan meinte ich ständig meine beste Freundin belehren zu müssen, dass Jonas Kaufmann nach seiner fulminanten Tenorkarriere der Bariton der nächsten Stunde werden könnte.
Und ob ich es irgendwie geahnt hätte, denn gerade jetzt erst mit der Premiere am 12. Januar hat sich der Tenor der Tenöre tatsächlich nochmals als Bariton im bekannten Prolog aus Leoncavallos Pagliacci an der Wiener Staatsoper verewiegt - und zwar in einer Doppelrolle.
Als Tenor gab er dort den Canio neben seiner Gesangspartnerin Maria Agresta. Unkenntlich verkleidet trat er aber auch als Tonio gleich zu Beginn der einaktigen Oper vor den Vorhang des Musentempels und überraschte sein Publikum mit diesem ariosen Traumstück.
Selbst ein Kritiker, der Kaufmann in der Aufmachung des Tonio nicht erkannte, wohl aber den herrlichen Gesang des Interpreten zu loben wusste, während ihm Kaufmanns Canio nicht sonderlich gut gefiel, musste später schockiert feststellen, dass es sich bei beiden Rollencharakteren um ein und denselben Interpreten handelte.
Wissen Sie, mir scheint es wie ein Trumpf in der tenoralen Tasche, ein Triumpf ist es eh, dass zwei Singstimmen aus Kaufmanns Brust schlagen. Schließlich scheiden sich ja immer ganz gewaltig die Geister über des Tenors gesangliche Qualitäten. Aber eines, und das hat der Wiener Pagliacci bis dato bewiesen:
Jonas Kaufmann ist der baritonalste Tenor, den die Welt je erlebt, gehört und genossen hat! Aber überzeugen Sie sich selbst von den bombastischen Kritiken!
©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper
Man kann es glauben oder nicht, aber die Rolle des Pagliacci kann der Startenor Jonas Kaufmann wie kein anderer. Oder sagen wir mal, er ist mit Abstand der überzeugendste Rage-süchtigste und wutschäumend eifernder Mann, der mit einem klaren baritonalen Einschlag mittlerweile sogar in der Rolle des Tonio im Prolog grandios reüssieren kann.