ALS VIDEO-ON-DEMAND DER BSO MIT JONAS KAUFMANN UND CHRISTINA OPOLAIS
19. JULI 2020
UNAUFGEFORDERT WERBUNG
©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper
Es ist das Schicksal der Menschheit, das aus der Liebe eine fatale, zerstörerische Konstellation erwachsen lassen kann. Eine klassische Amour fou, wie sie im Bilderbuch steht, untermauert die zum Scheitern verurteilte Liebesgeschichte zwischen dem Schwerenöter Renato de Grieux und der zauberhaften, obgleich berechnenden Manon Lescaut.
Geld und Luxus gewinnen dabei immer wieder die Oberhand im Kampf um die wahrhafte Liebe. Manons Vorstellung vom Glück schwankt nämlich so erbärmlich wie ein zerbrechliches Papierboot auf tosender
See, während de Grieux verzweifelt alle Hebel in Bewegung setzt, das Herz dieser wankelmütigen Frau zu erobern. Er ist sich zum ersten Mal gewiss, dass Manon die Frau an seiner Seite ist, ohne
die er nicht mehr leben kann.
Ein fataler Trugschluss, wie sich herausstellen soll, denn Manon versteht sich nur allzu gut auf das Spiel mit dem Feuer. Sie verdreht de Grieux immer wieder aufs Neue den Kopf und schabt ihm dabei langsam und genüsslich mit geschärftem Messer das Herz aus der Brust.
In Puccinis epischem Liebesdrama Manon Lescaut, verkörpert die Protagonistin ein klassisches Frauenbild der Femme fatale, die mit den Gefühlen des Mannes spielt, den sie zwar meint zu lieben, für
den sie aber weder Geld, gesellschaftliches Ansehen, noch Status opfern möchte.
©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper
©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper
Das Katz und Mausspiel nimmt somit unweigerlich seinen Lauf, als sich der mittellose Frauenheld de Grieux zum ersten Mal in seinem sorglosen Leben Hals über Kopf in die eigensinnige und selbstzentrierte Manon Lescaut verliebt.
Besessen vor Leidenschaft und der Frau kompromisslos auf Gedeih und Verderb ergeben, lässt de Grieux sich auf diese unmögliche, zum Scheitern verurteilte Affäre ein, immer damit rechnend, zu
jeder Zeit gedemütigt und zurückgewiesen zu werden.
Doch das hält ihn keineswegs davon ab, an dieser sinnlosen, dem Unglück geweihten Liebe festzuhalten, koste es, was es wolle.
In einem ewigen Hin und Her, das am Ende eine Vereinigung der beiden Liebenden vorsieht, zerstört der Tod Manons das von de Grieux so verzweifelt herbeigesehnte Glück, das nun für immer eine
große Illusion bleiben wird. Gebrochen muss de Grieux sein Schicksal fortan ohne die große Liebe seines Lebens meistern.
©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper
Puccinis episches Meisterwerk hat eine so vereinnahmende, hoch dosierte kompositorische Strahlkraft, dass man sofort in die Musik und die Handlung eintaucht und sich mit ihr nahezu identifiziert.
Kraftvoll und dennoch voller melodiösem, verzauberndem Schmelz wird man als Zuhörer in klangvolle, irisierende Tonwelten hinfortgetragen. Wellen von überschwappenden, süffig-melödiosen
Genussmomenten steigern sich mit jedem Akt in ekstatische Höhen, bevor sie zart verebbend erneut zur nächsten rauschenden, fast schon explosiven Klangwelle ansetzen. Orchestrale Wucht, tonale
Verdichtung, satte Klangfarben und eingängige, mitsummenswürdige Arien, wechseln sich wohl austariert miteinander ab.
Fast wird man das Gefühl nicht los, Puccini hätte sich nicht nur dem Verismo verschrieben, sondern mit dieser Oper auch die Filmmusik zumindest im Ansatz gebührend gewürdigt.
So viel musikalische Kraft und Dynamik, die punktgenau mit der Handlung verschmelzen, das ist lebendig in Szene und Ton gesetztes Drama auf höchstem Niveau.
Und dabei kommt das Schauspiel absolut nicht zu kurz. Ganz im Gegenteil. Die lettische Sopranistin Christine Opolais beweist in ihrer Rolle als Manon Lescaut, dass Schauspiel und Gesang sehr wohl
aus einem Guss sein können, die Grenzen somit übergangslos sind.
©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper
©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper
Dennoch fordert kaum eine andere Partie so viel stimmliche Leistung bei gleichermaßen charakterstarker, schauspielerischer Präsenz. Und wohl keine andere Interpretin kann sich so herrlich hysterisch, fast schon manisch in den ästhetisch perlendsten Tonhöhen die Seele aus dem Leib singen und dabei noch die totale Kontrolle über ihr Vokalinstrument behalten.
Sehr überzeugend kommen Gestik, Mimik und ein technisch versiertes, auf Schöngesang getrimmtes Stimmorgan zum Einsatz. Mit Vergnügen sieht man Christine Opolais beim Kokettieren, Flirten,
Fluchen, Verzweifeln und beim Sterben zu und genauso gerne hört man sich in diese schauspielerisch ausgereiften Fähigkeiten hinein, die sich ausdrucksstark in der lyrisch feinsilbrigen Stimme
verewigen.
Jonas Kaufmann, der als de Grieux im ersten Akt den lässigen Typen von nebenan gibt, der, wie es scheint, wohl alle Damen dieser Welt haben kann und daher auch nicht viel anbrennen lässt, wirkt
bereits im ersten Akt überzeugend in Darstellung und Gesang.
Wer möchte da nicht auch in den "Pumps" einer Manon Lescaut stecken, wenn Kaufmann die wundersame Arie „Donna non vidi mai“ anstimmt und dabei so verliebt tut, dass man gut und gerne glauben
will, ein Tenor auf der Bühne befinde sich tatsächlich und wahrhaft in einem rosaroten Liebestaumel.
Mit kraftvollem Klangschmelz, wohl timbriert, mal dunkelsamtig zart, dann wiederum heroisch aufbrausend, leidenschaftlich tobend und herzzerreißend verzweifelt, all dieser stimmlich diversen
Facetten bemächtigt sich Kaufmann ohne große Mühe.
©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper
©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper
Er schöpft zweifelsohne sein gesangliches Potenzial voll und ganz aus und verliert sich ebenso wie Opolais zu 100 Prozent in seiner Rolle.
Besonders lodernd knistert das Feuer zwischen den beiden Hauptakteuren während des gemeinsamen Duetts im zweiten Akt.
Brodelnde Leidenschaft, ein elektrisierender Funkenschlag überkochender Emotionen, eine Luft zum Zerschneiden und heiß-dampfende Erotik, genau das erlebt man auf der Bühne hautnah und
gleichermaßen intensiv am Bildschirm - und es wirkt so authentisch, dass man meinen könnte, das ungleiche Liebespaar hätte nicht nur auf den Brettern der Welt seine Bestimmung füreinander
entdeckt.
Bei so viel emotionsgeladener Darstellerkunst vergisst man schnell, dass die Bühne an sich puristischer und steriler nicht hätte gestaltet sein können. Lediglich der als Marsmännchen mit
feuerroter Pumuckl-Frisur kostümierte Chor, verleiht der im Film Noir Stil gehaltenen Kulisse etwas Lebendigkeit und Esprit. Anscheinend soll möglichst wenig von der tiefenpsychologischen Dynamik
zwischen den beiden Hauptakteuren ablenken.
Dennoch überrascht mich die äußerst fragwürdige Kostümierung. Mal tänzelt ein behaarter Frackdiener um Manon herum, wie im Disney-Klassiker „Die schöne und das Biest“.
Dann wiederum taucht ein geläuterter Kaufmann mit einer weißen venezianischen Maske im Schlafgemach der Geliebten auf. Da grüßt eindeutig das Phantom der Oper. Und auch der Chor in seinen grauen Ganzkörperanzügen aus Neopren, wirkt neutral und gesichtslos.
©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper
©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper
Nur was soll uns diese Inszenierung wohl sagen, die sich, wie ein Puzzle, aus lauter Fragezeichen zusammenzusetzen scheint? Dass Gegensätze sich womöglich anziehen? Dass auch ein ungleiches Paar zusammenfinden kann? Dass all die unzähligen Frauen, die für Grieux unbedeutend sind, durch eine graue, gesichtslose Masse symbolisiert werden müssen?
Wer schon mal eine Inszenierung von Hans Neuenfels gesehen hat, weiß, dass Tiefenpsychologie eine elementare Schlüsselrolle im szenischen Schaffen des Regisseurs spielt.
Geschmäcker sind ganz klar verschieden. Zumindest aber regt diese Interpretation des Romanklassikers von Abbé Prévost nicht nur zum Nachdenken an, sondern erregt gleichermaßen auch einige
aufgeregte Gemüter.
Als am Ende des vierten Aktes die Bühne leer gefegt, und das Augenmerk nur noch auf das Liebespaar gerichtet ist, wird spürbar, wie verlassen wir in unserer Existenz sind, wenn uns die Liebe
genommen wird, wenn sie uns gewaltsam abhandenkommt.
Durch den Tod Manons und dem dadurch entstehenden existenziellen Loch, in das de Grieux fällt, wird der Sinn des Seins radikal infrage gestellt.
Was sind wir Menschen ohne die Liebe, was und wer sind wir dann noch, wenn wir nichts weiter haben, als nur noch unser nacktes Leben?
©Video Trailer der Bayerischen Staatsoper über Youtube zur Verfügung
gestellt
Eine kleine Geschmacksprobe der Oper "Manon Lescaut" von Giacomo Puccini bietet der Trailer der Bayerischen Staatsoper. Kurz und abstrahierend wird ein Rundumriss in musikalischer, szenischer und handlungsweisender Manier gemacht. Eine gelungene Zusammenfassung eines außerordentlich dramatischen Meisterwerks.
©Video Magazine der Bayerischen Staatsoper über Youtube zur Verfügung gestellt
Wer tiefer in die Handlung einsteigen möchte und das kompositorische Meisterwerk Puccinis verstehen will, kann sich ein noch umfassenderes Bild im Video Magazine der Bayerischen Staatsoper machen. Hier berichten die Rollendarsteller, Regisseure und Dirigenten über die Handlung sowie die szenische und musikalische Interpretation der italienischen Verismo-Oper.
Weitere Video-Demand-Angebote können über folgenden Link der Bayerischen Staatsoper abgerufen werden: