12. APRIL 2019
UNAUFGEFORDERTE WERBUNG
©Bill Cooper / Royal Opera House London
La forza del destino, Verdi´s melodramatische Oper in vier Akten beginnt mit einem einzigen fatalen Augenblick, in dem das Schicksal zweier Liebenden für immer besiegelt wird. Liebe, Hass, Krieg und Glaube sind die Säulen, auf denen diese Oper musikalisch basiert. Die Hauptakteure sind das Liebespaar Leonora und Alvaro, die sich, vom Schicksal getrieben, im Leben nur kurz finden, dann für lange Zeit verlieren und sich erst am Ende ihrer Tage wieder begegnen. Dann allerdings ist es bereits zu spät, da Leonora schwer verletzt, nachdem Sie von ihrem rachsüchtiger Bruder tötlich verwundet wird, in Alvaro´s Armen stirbt.
Ein einziger Augenblick, der alles über den weiteren Verlauf des Lebens bestimmt: sind das nicht die Geschichten, die wir lieben, nach denen wir uns sehnen, weil sie so echt, so nah am wirklichen Leben sind? Sind es nicht tatsächlich die Dramen in unserem Alltag, die wie das Salz in der Suppe, unserem Dasein Geschmack und Textur verleihen? Tragisch, ungerecht, aber irgendwie zum Heulen schön. Verdi´s Musik verpasst den großen Dramen des Lebens sehr wirkungsvoll den richtigen Anstrich. Musikalisch bedient dieses seiner vielen Werke meisterhaft alle Gefühlsregister, die die menschlische Seele zu offenbaren vermag.
Und schon gleich mit der Ouvertüre taucht man, wie in einem guten Roman, direkt und unverzüglich in die Handlung ein. Das ganze Drame bahnt sich von der ersten Sekunde seinen Weg zum Höhepunkt. Temporeiche, facettenreiche Spannungsbögen wechseln sich dabei in diesem Stück mit sehr spirituellen Arien und choral verstärkten Passagen ruhig und rezitativ ab.
© Bill Cooper / Royal Opera House London
Anna Netrebko, die in der Rolle als Leonora am 02. April 2019 in der Kino Live-Übertragung, unübertrefflich verzaubernd gesungen hat, wurde heute in London von Liudmyla Monastyrska verkörpert. Insgesamt stimmig gesungen, bleibt allerdings Frau Netrebkos gesangliche Darbietung in meinen Augen unerreichbar. Zum Niederknien sang Sie, wie selbstverständlich, alle hohen, exponierten Stellen mit einer ultimativen Leichtigkeit. Mit ihrem unverwechselbaren Klangschmelz und ihrem samtig warmen, dunkel eingefärbten Sopran, bezirzte, ja verzauberte sie das Publikum im Nu. Jeder Ton saß. Kristallklar, wie ein Gebirgsbach, plätscherte und perlte es aus ihrer Stimme heraus.
Es ist wahrhaft ein Hochgenuss und Gänsehauterlebnis dieser Frau beim Singen zuzuhören. Fast schießen einem die Tränen in die Augen, so beseelt und entrückt mutet ihre gesangliche Darbietung an. Frau Netrebko scheint nicht von dieser Welt zu sein, zumindest dann nicht, wenn sie ihre Lippen öffnet und zum ersten Ton ansetzt. An den leisen Stellen wird ihre Klangfarbe nur noch intensiver.
Mit sehr reduziertem Vibrato schafft sie es sogar noch die Intensität ihrer leisen Töne zu steigern. Verdichtung scheint ihr Kapital zu sein. Ihre unglaublich vollmundigen Töne schweben förmlich im Raum und verlieren sich in der Atmosphäre, wie ein angenehm ausklingendes Pafum. Kein einziger Ton reißt ab, nichts verfranst. Ihre Töne bleiben klanglich stabil. Keine kann das zum Schluchzen schön, wie Anna Netrebko.
©Bill Cooper / Royal Opera House London
©Bill Cooper / Royal Opera House London
© Bill Cooper / Royal Opera House London
© Bill Cooper / Royal Opera House London
Und auch Herr Kaufmann, in der Rolle des Alvaro, ist ebenfalls auf dem Höhepunkt seiner gesanglichen Glanzleistung angekommen. Zwar ist er nicht gerade mit den melodisch eingängigsten Arien gesegnet, dennoch singt er technisch perfekt und überzeugt sowohl durch seinen baritonal eingefärbten Tenor als auch durch seine überdurchschnittlichen schauspielerischen Qualitäten. Die finale Szene, in der Leonora in Alvaro´s Armen stirbt, wird von beiden Parteien meisterhaft gesungen. Wenn Netrebko und Kaufmann zusammen singen, ergießt sich einer der harmonischsten Klangteppische über einem aus.
Da beide in ihrer Stimmlage tiefer eingefärbt sind, ergänzen sich diese Stimmen nicht nur perfekt, sie verschmelzen fast schon zu einer einzigen Einheit. Die Verzweiflung über den Tod Leonora´s nimmt man Kaufmann auf der Stelle ab. Flehend und voller Seelennot blickt er zum Schluss gebrochen gen Himmel. Der Schmerz über den Verlust seiner Geliebten lässt ihn Stück für Stück in sich zerbrechen. Sein Gesang und seine Mimik sprechen Bände. Man kann als Zuschauer nicht anders als Mitleiden. Und es fällt einem bei so einem Alvaro auch gar nicht schwer.
Absolut unverzichtbar für die musikalische Meisterleistung aller Solisten, Chöre und des Orchesters ist die führende Hand des Dirigenten Antonio Pappano, der wie in einem Marionettentheater alle Fäden perfekt zusammenhält. Einsätze sind auf den Punkt, ob im Orchester oder auf der Bühne bei den Darstellern.
© Bill Cooper / Royal Opera House London
© Bill Cooper / Royal Opera House London
©Bill Cooper / Royal Opera House London
Alles sitzt, wie ein gut ausgemessener Maßanzug. Antonio Pappano ist ein Genie seines Fachs und ganz obendrein ein sehr natürlich wirkender ungekünstelter Mensch.
Abschließend bleibt zu sagen, dass Verdi es versteht, uns auf eine Reise ins echte, wahre Leben zu führen. Musikalischer Tiefgang ist dabei garantiert. Kein anderer italienischer Komponist schafft es, das gesammelte Spektrum der menschlichen Gefühle, wie Hass, Wut, Trauer, Verzweiflung, Hoffnung, Liebe, so prägnant und vielschichtig in tonaler Form auf den Punkt zu bringen. Und dabei ist Verdi immer absolut. Trauer ist Trauer, Liebe ist Liebe. Es gibt keine Mogelpackung von halbseidenen lauwarmen Gefühlen. Alles ist so echt und kommt dabei ohne jegliche romantische Verschnörkelungen aus. Zum Glück!
Was Verdi meines Erachtens aber am Besten beherrscht, ist die musikalische Umsetzung der allerletzten Szene, die Szene, in der Leonora stirbt. Wahrscheinlich war Verdi der beste seiner Zunft, der es vestand wie kein anderer, den Tod musikalisch perfekt zu skizzieren. Einfühlsam, leise, leicht und intensiv sterben sie bei Verdi. Langsam erobert sich der Tod sein Opfer, langsam und so endgültig, dass der letzte verhauchende Ton wie ein unendlich großer Schmerz nachhallt.
Ich frage mich sehr oft, warum, noch während der letzte Ton am Verklingen ist, bereits der Applaus einsetzt? Können nicht wenigstens ein paar Sekunden Stille herrschen? Ist es nicht möglich für ein paar Sekunden ohne den Lärm der Zeit auszukommen? Oder ist es zu schwer auszuhalten, diese Gefühle langsam zu verdauen? Eines steht fest: ohne Verdi´s schöpferische musikalische Leistung würde der Tod am Ende keine sinnvolles Ergebnis liefern. Zwischen den menschlichen Fronten von Liebe und Hass gibt es nur die Erlösung durch den Tod. Mit Verdi verstehen wir, dass die Erlösung im Tod eine Hoffnung in sich trägt, ja, vielleicht sogar der Beginn für etwas ganz Neues sein kann.
© Bill Cooper / Royal Opera House London