21. AUGUST 2019
UNAUFGEFORDERTE WERBUNG
© Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper
Was macht ein einflussreicher Vater, der einer traditionellen singenden Zunft angehört, die längst schon an Popularität eingebüßt hat und wieder zu neuem Leben erweckt werden soll? Er initiiert einen Gesangswettstreit unter den Meistersingern von Nürnberg und bietet dem Sieger des besten Preisliedes die Hand seiner Tochter Evchen.
Doch Evchen, die sich in den rebellischen Walther von Stolzing verliebt, denkt gar nicht daran, sich auf diesen faulen Deal einzulassen. Sie ist verliebt und riskiert sogar die gemeinsame Flucht mit Stolzing, die aber leider im letzten Moment vereitelt wird. Stolzing, der sich bereits um die Mitgliedschaft bei den Meistersingern beworben hat, scheitert kläglich an seiner unkonventionellen Gesangsdarbietung, denn damit entspricht er so gar nicht dem Bild eines typisches Meistersängers.
© Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper
© Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper
Um beim Wettstreit ganz sicher als Gewinner hervorzugehen, braucht es ein perfektes Preislied, das in Form und Struktur den Anforderungen der Meistersingergilde entsprechen muss. Aber wie komponiert und textet man so ein Lied? Stolzing ist ratlos.
Doch nicht so der Schuster Hans Sachs, der sich nicht nur in Dichtung und Komposition gut auskennt, sondern auch weiß, wie ein Preislied beschaffen sein muss. Da Sachs Mitleid mit dem verliebten jungen Mann hat, bietet er ihm seine bedingungslose Unterstützung an und verhilft Stolzing so zu einem Preislied mit Gewinnerpotenzial.
Als der Tag des Wettbewerbs näher rückt, buhlt Stolzing nicht alleine um die Hand des liebreizenden Evchens. Beckmesser, ein Konkurrent und Mitglied der Gilde, und Stolzing treten mit dem gleichen Preislied gegeneinander an. Doch Beckmesser, der sich aus der Dichtung Sach‘s keinen Reim machen kann, entstellt den Sinn und die Komposition des Liedes so dermaßen, dass er sich beim Publikum vollends lächerlich macht.
Stolzing hingegen singt aus voller Inbrunst und aufrichtiger Liebe sein Preislied, trifft den Nerv der Zuhörerschaft und gewinnt am Ende nicht nur den Wettstreit, sondern darf sein geliebtes Evchen endlich zu seiner angetrauten Ehefrau nehmen. So weit, so gut die Geschichte!
© Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper
© Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper
Musikalisch zieht sich Wagner´s Meisterwerk extrem in die Länge. Fast sechs Stunden, inklusive Pausen, werde ich an das Opernhaus gekettet. Man benötigt somit sehr viel Sitzfleisch, um diesen Opernmarathon durchhalten zu können. Auch muss man sich der erhabenen und fast unwirklichen Musik hingeben können. Doch es gelingt Wagner tatsächlich, mich zu verzaubern und fast schon willenlos an meinen Sitzplatz zu fesseln. Die Sogkraft dieser gewaltigen, über einen einstürzenden Klangexplosionen ist heftig, stark und zieht einen in die ureigensten Tiefen dieser beseelten, magischen Musik. Ich fühle mich dabei wie in einem Rausch und bin bereits mit der Overtüre gefangen in diesem Labyrinth aus wundersamen Tonfolgen und melodischen Phrasierungen. Samten umschließt mich die Welt aus orchestralen, mal wuchtigen Spannungsbögen, die in fließenden weichen Eufonien verebben.
Als Daniel Kirch, der Ersatz für Jonas Kaufmann, endlich auf der Bildfläche erscheint, in Lederkluft, lässiger Jeans und modischen Sneakern, bin ich in angespannter Erwartung auf das, was da kommen mag. Jonas Kaufmann hätte ich von der ersten Sekunde an vertraut, hätte mich fallen lassen in seinen baritonalen, warmen Klangtiegel. Doch bei Daniel Kirch weiß ich noch nicht, ob mir gefallen wird, was ich gleich zu hören bekomme.
© Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper
Gespannt, wie ein Flitzebogen, lausche ich den ersten Tönen und bin wider Erwarten total überrascht! Die Stimme ist gut. Sie ist sogar so gut, dass mein Gehör nicht Alarm schlägt und auf taub umschaltet. Ganz im Gegenteil: Die Stimme von Daniel Kirch geht mir sofort in den Gehörgang. Angenehm weich, warm und gleichermaßen baritonal gefärbt, wie die Stimme von Jonas Kaufmann, nur insgesamt weniger kraftvoll.
Jetzt will ich mehr hören und fiebere bei jedem Einsatz und jeder Arie mit Herrn Kirch mit. Ehrlicherweise wünsche ich ihm im Stillen ganz viel Erfolg bei dieser Aufführung, denn den hätte sich der "Kaufmann-Ersatz" auch redlich verdient, obgleich Kraft und Atemtechnik noch Luft nach oben haben. Hörbar abgesetzt klingen die Atempausen. Beim Legato hapert es ebenfalls. Und ich merke, wie ich dazu neige, Herrn Kirch an Herrn Kaufmann zu messen! Wie kann ich bloß von Daniel Kirch auf Jonas Kaufmann schließen. Erstens ist das sehr unfair und zweitens kann es nur einen weltbesten Tenor geben. Die anderen Operngrößen müssen sich daher zwangsweise in der Liga darunter bewegen. Aber Daniel Kirch ist mit Abstand der Beste aller Zweitliga-Tenöre, die ich bislang zu hören bekommen habe. Ich bin mir noch nicht einmal sicher, ob ich ihn da überhaupt einordnen möchte, denn ich mag die Stimme und tauche immer tiefer in den Hörgenuss ein.
Auch schauspielerisch überzeugt mich der lässige Typ, a la James Dean, der sich so gar nicht aus der Ruhe bringen lässt. Nonchalant und mit der gehörigen Portion Selbstsicherheit spielt Kirch seine Rolle überzeugend und mit Leidenschaft, vielleicht nicht immer ganz textsicher.
© Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper
Auch Wolfgang Koch als Hans Sachs brilliert stimmgewaltig und überzeugend in einer Paraderolle, die den Löwenanteil in dieser epischen Opernaufführung einnimmt. Somit verwundert es auch keinen, dass Herr Koch am Ende der Aufführung tobenden Beifall, Standing Ovations und einen nicht abebben wollenden Applaus einkassiert.
Was die Inszenierung anbelangt, so wissen wir alle um den Drahtseilakt, eine alte Geschichte in einen modernen Kontext zu bringen. Viele Opern lassen es einfach nicht zu, aus den Urtiefen der Vergangenheit in die Gegenwart katapultiert zu werden. Doch David Bösch hat mit seiner 50iger Jahre Nummer im Rockabilly Stil einen Nerv bei mir getroffen. Ich muss dabei spontan an den ZDF-Dreiteiler Ku´damm 59 denken, der die Gegensätze aus Tradition und Moderne gekonnt aufgreift. Sehr passend scheinen hier die Parallelen ineinanderzugreifen, denn Evchen und Stolzing sind meines Erachtens die Rebellen, die sich gegen verstaubte Konventionen und Verpflichtungen auflehnen und den veralteten Wertvorstellungen den Zahn der Zeit ziehen wollen.
Frei und unabhängig jagen sie ihren Träumen hinterher und blicken dabei gelassen und voller Zuversicht in die Zukunft. Ihnen, den jungen Aufmüpfigen von heute, gehört die Welt!
Bösch versteht es ganz und gar, den Generationenkonflikt in zuckersüßen Rock´n roll zu verpacken. Ja, er fordert regelrecht dazu auf, sich mit diesem ewig aktuellen Thema auseinander zusetzten. Er hinterfragt, das Alte und das Neue, die Tradition und die Moderne, stellt alles wieder und wieder auf den Prüfstand und lässt die Extremen dennoch in friedlicher Koexistenz nebeneinander her leben. Ich kann nur sagen: einfach ganz große Oper!
© Bayerische Staatsoper / Videomagazin
Eine ausführliche Geschmacksprobe der "Meistersinger von Nürnberg" bietet das informative Video Magazine der Bayerischen Staatsoper. Hier erzählen die Rollendarsteller, Regisseure und Dirigenten über das Meisterwerk Wagners sowie über die musikalische und szenische Interpretation, und was es bedeutet eine zeitlose Geschichte in einen modernen Kontext zu setzten.
© Bayerische Staatsoper
Vertiefende Fragen zu der Rolle des Hauptprotagonisten Stolzing, die Jonas Kaufmann überzeugend verkörpert, werden im Kurzinterview aufgeworfen und eruiert. Warum ihn die Rolle so reizt, was es gesanglich bedeutet, sich auf diese Partie einzulassen und noch viel mehr, erfahrt ihr in diesem Videopreview der Bayerischen Staatsoper.
Bayerische Staatsoper
Max-Joseph-Platz 2
80539 München
Programmübersicht und Kartenverkauf
Website: www.staatsoper.de