08. Januar 2024
Rubrik Oper
©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper
Die Fledermaus ist los. Komplett im neuen inszenatorischen Gewand und dabei einmal rabiat auf links gekrempelt, kommt einen die Operette des walzersüchtigen Komponisten Johann Strauß ein paar Takte schneller vor.
Nicht in die Jahre gekommen, sondern aus ihnen heraus in die Gegenwart erhoben, wird das dreivierteltaktige Meisterwerk des Walzerkönigs einer szenisch radikalen Frischzellenkur unterzogen - ein gewagt risikobehaftetes Unterfangen wohlgemerkt.
Von Nicole Hacke
Doch mit der nostalgieüberzuckerten Moral des Regisseurs Otto Schenk kann Barry Kosky nichts anfangen. Er bevorzugt es, sich der großen Leidenschaft skandalträchtiger Lebensgeschichten zu bedienen und doppelmoralische Verhältnisse und Stereotypen konturiert an das Licht einer progressiven, zum Teil massiv unangepassten Gesellschaftskultur zu befördern.
Die Fledermaus ist nicht nur los, sie ist in dieser Inszenierung auch außer Rand und Band. Gendervielfalt wird unter Kosky gefeiert, als gäbe es kein Morgen. Alles darf, alles geht aber nichts muss.
Eine aufgeweichte Doppelmoral, gebrochene Tabus, orgiastisches Treiben im "Disco-Glitter-Glamour-Look". Und mittendrin der ach so anständige, sittsame Herr von Eisenstein mit seiner ebenso ehrvollen Gemahlin Rosalinde. Wer es glaubt, wird selig!
Aller Scheinheiligkeit zum Trotz wird das Leben der beiden "Schwerenöter" überraschenderweise im öffentlichen Raum ausgetragen und nicht wie gewohnt in den sicheren vier Wänden einer äußerst gepflegten Vorzeige-Vorstadtvilla.
©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper
©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper
Im 1. Bezirk der Wiener Altstadt, vor den Augen der Öffentlichkeit, leben die Herrschaften Eisenstein ihr Privatleben ganz ungeniert aus.
Unmittelbar vor der eigenen Haustür, vor den Pforten der hochherrschaftlichen Villa, aus dessen hohen Fenstern das Zimmermädchen Adele trällernd in den Tag startet, wacht die Dame des Hauses Rosalinde bester Laune in quietsche rosafarbener Satinbettwäsche auf. Was für ein Anblick! Was für eine Szene!
Noch während der geräderte Herr Gemahl von Eisenstein einem nächtlichen Alptraum erlegen und von wildgewordenen Fledermäusen gejagt und verfolgt wurde, träumt sich das Weibchen, alle "Viere" lustvoll von sich streckend, in die Arme ihres Geliebten Alfred.
Schon jetzt nimmt die Geschichte mit Spannung ihren Lauf!
Ein Brief von Ida an ihre Schwester Adele, eine Einladung vielmehr, sich auf einen Ball einzufinden - ein Ball des Grafen Orlofsky, auf dem die feine Gesellschaft erscheinen soll, maskiert oder inkognito.
Vor Freude lässt es einem das Herz in der Brust auf und ab hüpfen, denn das Verwechslungsspiel des Dr. Falke spinnt sein Netz großzügig über die freiwillig unfreiwilligen Protagonisten, die Opfer dieser gemeinen Intrige werden.
Und auch der Ball ist kein gewöhnlicher! Kunterbunte "Artenvielfalt" menschlicher Gelüste, Neigungen und Vorlieben. Transvestiten, Lesben, schillernde Paradiesvögel flimmern tänzelnd lasziv in Strapsen, kokettierend und flirtend über die Bühne.
Es ist ein Spektakel unsittlicher Superlativen. Und wenn es kein Morgen gibt, dann tanzt man sich berauscht vom Champagner in den tiefsten aller Abgründe.
©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper
©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper
"Glücklich ist, wer vergisst... was doch nicht zu ändern ist." Nach dem rauschhaften Fest folgt sodann der Katzenjammer und, na was? Die Reue!
Rosalinde und Gabriel von Eisenstein liegen sich, nachdem sie sich auf der "Party" des Prinzen Orlofsky unter falscher Identität miteinander betrogen haben, reumütig wieder in den Armen. Alle Animositäten sind vergessen, verziehen und... überhaupt hat es eigentlich nur der Champagner verschuldet.
Großartig inszeniert und mit einem gehörigen Schuss Provokation lassen sich auch die Hauptakteure dieses aufregenden Bühnenspektakels nicht lumpen. Allen voran Diana Damrau, die mit ihrem jüngst erschienenen Operetten-Album "Wien-Berlin-Paris" bereits Gelegenheit hatte, gesanglich vor der großen "Fledermaus-Party" vorzuglühen.
Doch irgendwie will das mit den halsbrecherischen Koloraturen der Sopranistin an diesem Abend nicht ganz so salopp, flott und flink werden.
Nicht sauber ausgesungen und somit leicht verwaschen, wenn nicht sogar etwas gemogelt erscheint einem die ansonsten tendenziell feiner perlende Gesangsakrobatik der bayerischen Sängerin, die anstatt farbenprächtig, etwas blass und kraftlos wirkt.
Tatsächlich entbehrt die Stimme einem strahlkräftigen Esprit. Zurückgenommen klingt es, wenn es bei "Klänge der Heimat" von Lebenslust singt. Nicht sehr viel ist davon zu spüren. Auch das Temperament will und will nicht so richtig lodern. Zart aufflackernd trifft es da vielmehr. Sehr schade für eine Königin, die normalerweise ganz locker die Nacht zum Tag werden lässt.
Dafür überschlägt sich die Frohnatur schauspielerisch und übertrifft alles Gesangliche und merzt es mit darstellerischer Verve wieder aus.
©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper
©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper
©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper
Georg Nigl in der Rolle als Gabriel von Eisenstein macht eine passable, wenn auch nur halbwegs gute Figur. So richtig scheint er dem "Bonvivant" Eisenstein nicht den nötigen gesanglichen Charme verpassen zu können.
Sehr akkurat, sauber und adrett gesungen, hört man gefühlt den Wiener Sängerknaben immer wieder durchklingen.
Es fehlt die Erotik in der Stimme, das gewisse unwiderstehliche Etwas, die Ecken und Kanten, das kernig Männliche, die gelebte Erfahrung, die Gabriel von Eisenstein zum gelassenen Lebemann "par excellence" machen.
Einen Deut zu nervös, zu wenig gesetzt, dafür aber irgendwie gehetzt und unausgeglichen wirkt auch das Schauspiel des österreichischen Baritons.
Lustig, erheiternd, witzig: All diese Attribute, nun ja, transportiert der Opernsänger gekonnt auf seine eigene Art. Und dennoch: Es fehlt ein wenig die vereinnahmende augenzwinkernde Nonchalance!
Besonders überzeugend hingegen wirkt an diesem Abend Martin Winkler in der genialen Rolle des Gefängnisdirektors Frank.
Was der Mann sich auf der Bühne alles gefallen lassen muss, kommt einem im wahrsten Sinne des Wortes beinahe schon wie ein göttliches Schauspiel vor.
©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper
©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper
©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper
Nachdem die wilde Party vorbei ist, geht nämlich für "Frank" der "Punk" erst so richtig ab. Spärlich bekleidet bis auf ein kleines neckisches spitzendurchwirktes Höschen, fast oben "Ohne" bis auf die mit Pailletten besetzten Brustwarzenkappen und die zu hohen Damenpumps, erlebt das Publikum einen Gefängnisdirektor auf burlesken Abwegen. Dass der nach seinem Schlüssel suchende Lustmolch deutlich tiefer greifen muss, will man eigentlich gar nicht so genau wissen.
Lachen tut man trotzdem. Zu komisch ist die Sache doch.... Findet auch Katharina Konradi, die als liebreizende Adele aus der komischen Sache ein Potpourri koloraturintensiver Klangfarben zaubert. Ein wahrer Hochgenuss!
Das Max Pollack, der als Gefängniswärter Frosch einen ebenso grandiosen Auftritt hinlegt, überhaupt nicht langweilt und auch gar nicht mit seiner Showeinlage aufhält, liegt wohl daran, dass er mit einer gekonnt pfiffigen Stepptanz-Einlage à la Marika Röck beeindruckt und noch dazu "Body-Percussion-Klänge" aus sich herauszaubern kann. Wer kann so etwas schon?
Das macht gute Laune und überbrückt die Zeit bis zur nächsten melodischen Operetten-Verführung.
Was allerdings gar nicht geht ist die Besetzung des Prinzen Orlofsky: Ein Countertenor als Transe in Straußenfedermontur gekleidet geht wirklich absolut gar nicht, da es weder sexy, noch erotisch und auch gesanglich wenig attraktiv in der Rolle wirkt. Schade!
Exakt an der Stelle bekommt diese durchweg interessante Inszenierung einen peinlichen Stilbruch, für den man sich ein wenig fremdschämen muss, auch wenn an dieser Stelle Genderversatilität offen thematisiert werden soll. Aber bitte nicht so platt und offensichtlich geschmacklos!
Versöhnend kommt das flotte Dirigat von Vladimir Jurowski zum Zug. Es bleibt in beschwingter Erinnerung, noch lange nach Ende der Vorstellung. Mit viel Spaß, guter Laune und einer großen Portion dynamischem Feuer geht die Musik des Operettenkomponisten Johann Strauß direkt ins Blut. In den Kopf steigt sie einen übrigens auch- so wie der Champagner! Tralalalalala!!!
©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper
©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper
©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper
Musikalische Leitung
Vladimir Jurowski
Inszenierung
Barrie Kosky
Choreographie
Otto Pichler
Chor
Christoph Heil
Dramaturgie
Christopher Warmuth
BESETZUNG
Gabriel von Eisenstein: Georg Nigl
Rosalinde: Diana Damrau
Frank: Martin Winkler
Prinz Orlofsky: Eric Jurenas
Alfred: Sean Panikkar
Dr. Falke: Markus Brück
Dr. Blind: Kevin Conners
Adele: Katharina Konradi
Ida: Miriam Neumaier
Frosch I: Max Pollak
Bayerisches Staatsorchester
Bayerischer Staatsopernchor