Warlikowskis Psychogrammatischer Macbeth bei den Salzburger Festspielen, eine umjubelte Asmik Grigorian und ein gefeierter Jonathan Tetelman

07. August 2023

Rubrik Oper

©Bernd Uhlig / Macbeth Salzburger Festspiele

Blutrünstig, abgrundtief böse und so kalt wie der Nordpol. In Warlikowskis moderner Interpretation des Shakespeare-Klassikers und Verdi-Tonwerks Macbeth liefern sich die Protagonisten nicht nur physisch ans Messer, sondern auch psychisch geht es in dieser über Leichen gehenden Machtbesessenheitsorgie ans Eingemachte.

 

Obgleich die dramaturgische Tiefenschärfe etwas aus den Angeln gehoben wird, unterhält der polnische Regisseur sein Publikum auf das Beste.

 

Vielleicht an der einen oder anderen Stelle zu viel des Guten, fühlt man sich durch die kinematografischen Landschaften, die einem fortwährend vor den Augen zu flimmern drohen, penetrant vom eigentlichen Bühnengeschehen abgelenkt.

 

Ständig ist man versucht, auf die im Hintergrund der Bühne applizierten Leinwände zu starren. Tut man es, kann man kaum noch seinen Blick davon lassen, denn die Großaufnahmen der Protagonisten ziehen einen regelrecht in den Bann gestischer und mimischer Perfektion.

 

Ausgezeichnet schauspielert Asmik Grigorian gleich in der ersten Szene beim Gynäkologen auf dem Behandlungsstuhl. Außer ihrem Gesicht sieht man nicht viel. Nur der leidvolle Ausdruck, der sich aus tiefster seelischer und körperlicher Pein speist, lässt einen geradezu den Atem anhalten.

 

Noch nicht eine einzige Note gesungen und doch bereits so präsent. Was ist die Grigorian doch für eine grandiose Schauspielerin. Alles wirkt echt, auch das bitterböse Lachen unmittelbar nach dem Königsmord, das hysterisch scheppernd ihrer Kehle entweicht.

 

Mit einer unbeteiligten Kaltschnäuzigkeit, völlig empathielos und extrem gefühlskalt erleben wir eine Lady Macbeth, in der sich nur ganz wenig regt. Beängstigend ist aber genau diese Facette des Bösen, bei der sich das Bild einer lauernden Schlange vor dem inneren Auge verselbstständigt.

 

©Bernd Uhlig / Macbeth Salzburger Festspiele

©Bernd Uhlig / Macbeth Salzburger Festspiele

©Bernd Uhlig / Macbeth Salzburger Festspiele

Während fratzenhaft maskierte Kinder immer und immer wieder tumulthaft in das Handlungsgeschehen eindringen, es beleben und chaotisieren, bricht nach dem zweiten Mord an Banco nicht nur Panik, sondern der blanke Wahnsinn über Macbeth herein, der zum Erschauern fürchterlich ist.

 

Verrückt werdend, bleibt seine Ehefrau die gottverlassene Ruhe vor dem Sturm. Das ungleiche Pärchen schrammt in konträrer Dynamik immer wieder aneinander vorbei, reibt sich kurz am jeweils anderen auf, heizt lauwarme Emotionen ein und geht doch emotional eigentlich getrennter Wege.

 

Diese zwischenmenschliche Verbindung hat tatsächlich nur einen gemeinsamen Nenner: Machtherrschaft - und das um jeden Preis!

 

Doch das Böse, das im Kern eines jeden von uns steckt, wenn es denn aktiviert wird, setzt nicht nur zerstörerische Gewalt nach außen, sondern letztendlich auch nach innen frei.

 

Und so kommt es, wie es leider in jedem nervenaufreibenden Thriller kommen muss: Macbeth implodiert schlussendlich emotional und seine eiserne Lady sieht keinen anderen Ausweg, als sich, man mag es kaum glauben, das Leben zu nehmen.

 

Viel zu viel Blut ward vergossen, zu viel Sünde begangen, als das die menschliche Seele diesem Druck hätte standhalten können. Deshalb muss sie irgendwann an ihren Todsünden auch ersticken, traumatisiert und gebrochen.

 

Warlikowski hat es wahrlich geschafft, ein lupenreines Psychogramm des Bösen, der rabenschwarzen Seite der menschlichen Seele zu zeichnen - und das auf eine so exzellente Art, dass sich Schauspiel, Gesang und die emotionalen Temperaturen in der Musik zu einem plausiblen Ganzen vereinen.

 

Dass die kinematografischen Effekte und das bunte Treiben auf der Bühne Distraktion verursachen, mag eine gewünschte Begleiterscheinung sein, an der man sich stören kann oder aber auch nicht.

 

©Bernd Uhlig / Macbeth Salzburger Festspiele

©Bernd Uhlig / Macbeth Salzburger Festspiele

©Bernd Uhlig / Macbeth Salzburger Festspiele

Gelungen ist in jedem Fall das Gesamtkunstwerk dieser sicherlich polarisierenden Inszenierung. Doch als ganz besonders herausragend kann man die darstellerischen und gesanglichen Leistungen aller Protagonisten an diesem Abend bezeichnen.

 

Allen voran Asmik Grigorian, die entgegen meiner Annahme sehr überzeugend und genussvoll in ihren Rollencharakter abtaucht. Vielleicht nicht ganz die typische Lady Macbeth, die vor Brutalität schäumend rabiate Impulsivität versprüht oder gar leidenschaftlich böse agiert, sondern eher eiskalte, mafiose Gleichgültigkeit an den Tag legt.

 

Wenn Asmik Grigorian irgendeine Gefühlsregung von sich gibt, dann die der Eisprinzessin. Und genau diese Art der Interpretation fruchtet beim Publikum, auch wenn sie weniger vordergründig und dominant erscheint. Dafür liegt ihre charakterdarstellende Kraft in der gefährlich leisen Art mit reduzierten Gesten und einer exakt akzentuiert eingesetzten Mimik das volle Potenzial der Rollenfigur auszuschöpfen.

 

Und auch stimmlich passt ihr schneidend, oftmals in den exponierten Höhen schrill klingender Sopran zur Rolle, denn wenn es böse, niederträchtig, intrigant, menschlich verdorben klingen soll, dann braucht es ein Stimmmaterial, das nicht so sehr auf Schöngesang, sondern auf emotionale Temperaturen ausgerichtet ist.

 

Genau das kann die lettische Sängerin ganz formidabel an diesem Abend bedienen. Beeindruckend ist ebenfalls ihre durch und durch saturierte Mittellage, die kraftvolle und warmhölzerne Nuancen freilegt. Eine wirklich neue, beeindruckende Lady Macbeth, die umso interessanter wirkt, als dass sie untypischerweise völlig anders klingt.

 

Weniger Schöngesang, dafür mehr Charakter und auch ein paar Ecken und Kanten, die dem Gesang Kontur und Ausdruck verleihen: So muss man wohl das Ausnahmeinstrument der Asmik Grigorian bezeichnen, das sich wie ein Solitär von den aktuell gängigen Sopranstimmen abhebt.

 

©Bernd Uhlig / Macbeth Salzburger Festspiele

©Bernd Uhlig / Macbeth Salzburger Festspiele

©Bernd Uhlig / Macbeth Salzburger Festspiele

Und auch ein  Vladislav Sulimsky schafft eine Punktlandung in seiner Rolleninterpretation als Macbeth - und das vor allem als darstellender Vollprofi. Wie versetzt er doch die feiernde Gesellschaft nach seiner Krönung zum König in helle Aufruhr. Erscheinungen und Gespenster sehend, da, wo gar keine sind, spielt er so dermaßen überzeugend, dass man tatsächlich um den Verstand des Sängers fürchte muss.

 

Echt wirkende Wutausbrüche, dass einem im Parkett ein wenig Angst und Bang wird, explodieren mal so eben am Banketttisch aus ihm heraus. Und so schlägt er kraftvoll mit der Faust auf die hölzerne Unterlage ein.

 

Als gebrochener Mann im Rollstuhl sitzend, fällt der Antiheld wie ein Soufflee peu à peu in sich zusammen. Was für ein Häufchen Elend. Aber auch diese schauspielerischen Akzente kann der Mann mit dem voluminösen Bariton versiert bedienen.

 

Banco, der von dem Bassisten Tareq Nazmi dargeboten wird, ist sowohl ein vokaler als auch schauspielender Genusshappen. Zwar ist sein Auftritt relativ kurzlebig, ebenso wie es seine Rolle verlangt. Dennoch ist der bleibende Eindruck von Dauer, denn die Stimmgewalt, das ausufernd saturierte Timbre, das satt, vollmundig und gaumenrund in den Orbit des Auditoriums dringt, ist nahezu erotisierend.

 

©Bernd Uhlig / Macbeth Salzburger Festspiele

©Bernd Uhlig / Macbeth Salzburger Festspiele

©Bernd Uhlig / Macbeth Salzburger Festspiele

Gleichermaßen erotisierend spielt und singt sich auch der Tenor Jonathan Tetelman als Macduff in die Herzen seines Publikums. Mit absolut vokaler Strahlkraft, einer ausdauernd kraftvollen Tessitura und einem warmgoldenen Timbre stemmt der Künstler eine Rolle, die zwar klein, aber sehr viel schauspielerisches und gesangliches Potenzial birgt.

 

Von Warlikowski deutlich präsenter angelegt, spielt Jonathan Tetelman eine charakterlich gehaltvolle Rolle, die in der Kürze ganz viel emotionale Würze, Tiefgang und Kontur offenbart.

 

Entsprechend donnernd ist der Schlussapplaus, der sowohl für den Tenor als auch für Asmik Grigorian besonders intensiv und ausdauernd ausfällt.

 

Tatsächlich fühlt man das Auditorium applausstark beben. Und die Künstler haben Mühe, sich diesem Sturm an Begeisterung zu entziehen. Immer und immer wieder treten sie vor den Vorhang, verbeugen sich und strahlen Erleichterung aus.

 

©Bernd Uhlig / Macbeth Salzburger Festspiele

©Bernd Uhlig / Macbeth Salzburger Festspiele

Letztendlich können sie das auch, denn mehr "Hohe Kunst" wie an diesem Abend geht gar nicht mehr.

 

Gebührender und gleichermaßen stürmischer Applaus gilt auch dem Dirigat von Philip Jordan, der differenziert und nuanciert irisierend orchestrale Klangteppiche aus dem Graben auf die Bühne zaubert. 

 

Elegant den Handlungsstrang untermalend, gelingt ihm so eine emotional facettenreiche Interpretation, auf deren Fundament sich die Sänger künstlerisch voll entfalten können.


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