10. April 2023
Rubrik Oper
©Marion Ritterhaus
Bei manchen Inszenierungen versteht man einfach nur Bahnhof. Man rätselt herum, was uns ein gewisses Bühnenbild, was uns die Requisiten - was uns das ganze Musiktheater überhaupt sagen soll? Sind wir dann frustriert, wenn wir nicht gleich auf der Stelle verstehen, was uns der Regisseur geistreich in unseren Verstand träufeln will?
Von genau so einer Inszenierung kann am letzten Aufführungstag einer Vorstellungsserie auch der Startenor Jonas Kaufmann gleich mehrere Lieder singen, denn Wagners Tannhäuser wird in der szenischen Umsetzung durch den italienischen Regisseur Romeo Castellucci in wabernde, fluid wirkende und zuletzt morbide Körperwelten transferiert.
Überall sichtet man fleischige Körper: Von verführerisch barbusigen Amazonen, die in ästhetischer Anmut Pfeile auf ein überdimensioniertes Auge schießen, bis hin zu einem konvulsivisch zuckenden Fleischberg, in dessen wabernder, amöbenhafter Masse sich Tannhäuser von der fettleibigen Venus hinfort kämpfen will. Was für eine höchst unappetitliche Darstellung der Venus mitsamt dem antivoluptuösen Venusberg. Zwei in einem: So verschwimmen Körperwelten ineinander, so ragt die Venus aus dem stilisierten Venusberg und scheint doch eins mit dem undefinierbar schwabbeligen Schlachtabfällen zu sein.
Doch es kommt noch viel hässlicher, denn im letzten Akt verführt ein schwarzer mit teerähnlicher Farbe übergossener gesichtsloser Spiderman-Verschnitt Tannhäuser zu einem makabren Kampfgerangel? Was für ein Alptraum. Dabei färbt die schwarze Masse auf das unbefleckte weiße Gewand des Ritters ab. Skurril und extrem überzogen wird Wagners romantische Oper in drei Akten aus der verklärten Welt in ein abstoßendes Fantasiegebilde katapultiert, das dennoch fesselt und auf eigentümliche Weise eine nahezu hypnotische Faszination auf den Betrachter ausübt.
Und auch das Morbide, der Verfall des menschlichen Körpers wird hier nur allzu drastisch auf schwarzen Altären bildlich seziert. Zu Staub zerfallen liegen am Ende des dritten Aktes nur noch die Skelette der sich Liebenden: Elisabeth und Tannhäuser! Fast wie auf einem Obduktionstisch als Galgenmahlzeit dem schockierten Auge schonungslos serviert, so dass man kaum noch weiß, ob man sich auf die Sänger oder die Leichenschau konzentrieren soll.
Was für ein gruseliger, höchst makabrer Anblick, bei dem die Zeit Sekunden, Tage, Wochen, Monate, Jahre, Jahrzehnte, Jahrhunderte und bald schon Milliarden Jahre verstreichen lässt. So lange scheint es in dieser waghalsigen Inszenierung zu dauern, bis das Elisabeth und Tannhäuser sich in ihre jeweiligen Staubpartikel vollends aufgelöst haben und miteinander zu einer homogenen Masse verschmelzen. Im Tode endlich vereint, na dann! Es wurde auch höchste Zeit.
©Marion Ritterhaus
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Doch was sollen die anfänglich verstörend erotischen Körperwelten dem Zuschauer wohl sagen? Worum geht es überhaupt in dieser mit Symbolen ausgekleideten Inszenierung, wenn Wagners romantische Oper viel mehr den Zwiespalt zwischen profaner und sakraler Liebe thematisieren wollte und es in ihrer Kernessenz doch um die letztendliche Erlösung durch die Liebe geht?
Von einem erotisch-morbiden Körperfetisch und symbolischer Antimystik war dabei ganz sicher nicht die Rede! Oder etwa doch. Fakt ist, dass Tannhäuser den sinnlichen Genüssen der Venus bereits im ersten Akt überdrüssig wird und sich von der profanen Liebe abwendet, um sich so der reinen, wahrhaften Liebe zu Elisabeth hinzugeben.
Doch genau dieser Drahtseilakt gelingt ihm nicht ohne Weiteres, sodass er zur Strafe und Läuterung auf Rom-Pilgerschaft geschickt wird.
Der Geist ward willig, der Körper dennoch schwach. Mit Tannhäuser wird dieser Leidensweg zum personifizierten Abbild menschlicher Abtrünnig- und Sündhaftigkeit, denn ist es nicht viel zu oft der menschliche Wesenskern körperliche Gelüste über die geistige Macht der Liebe zu stellen?
Romeo Castelucci zeigt in dieser mehr als philosophisch durchwirkten, obgleich skurrilen Inszenierung, dass der Körper schwach, sündig und höchst vergänglich ist.
Der Geist hingegen ein Krieger, der sich jedweder Versuchung widersetzen kann, versucht nach ethischer Vollkommenheit und Reinheit zu streben und immer dabei auch das Wahrhafte im Blick zu behalten.
Ist der Geist nicht geklärt oder gar erlöst, kann der Körper nicht von der Welt ablassen oder aber er verkümmert noch lange vor seiner Zeit.
Lebendig tot sein ist eben auch eine Option, wenn auch eine quälende, die sich laut Castelucci mal so eben Milliarden von Jahren dahinziehen kann. Gute Nacht, kann ich da nur sagen.
Und ist die Liebe nicht sakral, zerfällt des Menschen Körper einfach nur zu Staub. Das energetische Vermächtnis unserer Liebe - auf immer und ewig "Vom Winde verweht."
©Marion Ritterhaus
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Wenn es das ist, was der Regisseur interpretatorisch in die Waagschale werfen will, dann ist es eine gelungene Inszenierung, die ganz sicher nachdenklich und eventuell sogar den ein oder anderen philosophisch stimmen mag.
Was auch stimmt und durchaus und mit wenigen Einschränkungen stimmig ist: Das Ensemble!
Operngrößen wie Jonas Kaufmann als Tannhäuser, Marlis Petersen als Elisabeth, Georg Zeppenfeld als Landgraf und Christian Gerhaher als Wolfram geben sich an diesem Abend im Salzburger Festspielhaus die Ehre.
Solch ein Aufgebot zieht selbstredend viele Opernenthusiasten an den wohl gefragtesten Standort für besondere Festspiel-Highlights, wohl auch, weil ein gewisser Jonas Kaufmann sein Rollendebüt in dieser Inszenierung feiert.
Und das tut er auf eine Art, die man nicht unbedingt als absolutes Highlight titulieren kann, denn die gesangliche und darstellerische Darbietung ragt über die solide Basis der sängerdarstellenden Möglichkeiten nur marginal hinaus.
Stimmlich in technisch einwandfreiem Zustand, ergreift einen das Gefühl, dass genau die vokale Emotionalität in der doch sehr gespaltenen Persönlichkeit des Tannhäusers nur partiell und eher blässlich zum Ausdruck kommt.
Wohltimbriert in der schokoladensamtenen Mittellage, pinpoint phrasiert und anmutig strömend, lockt uns das Vokalinstrument des Ausnahmesängers auf wirklich überzeugend ästhetische Art - tatsächlich ganz besonders in seiner wirklich goldenen Mittellage. Schöngesang ist es in allen Stimmlagen dennoch nicht zu 100 Prozent, denn es mangelt an Glanz und leuchtender Strahlkraft. Leicht gepresst klingt es daher zusehends, wenn die vokale Luft für den Tenor in den exponierten Höhen zunehmend dünner zu werden scheint.
Auf Grund dessen schwappen auch die Emotionen eher verhalten und maßvoll ins Auditorium. Statt eines ausbruchsintensiven Gefühlsfeuerwerks erlebt man einen eher abflauenden Wellengang emotionaler Beherrschtheit, was den dramatischen Höhenflügen passagenweise leider ein wenig den Wind aus den Segeln nimmt. Schade.
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Auch Marlis Petersen überzeugt in ihrer Rolle als Elisabeth nur eingeschränkt, denn auch sie kann ihre Vokalpracht in den oberen Registern nicht vollends auf erblühen lassen. Dennoch versprüht ihr silbrig zartschimmernder Sopran eine zuweilen wohldosierte und dezente Erotik, die verführt.
Und das steht dem Rollencharakter ausgezeichnet, und porträtiert eine liebende und in Leidenschaft erglühende Frau, die sich ihren Gefühlen für Tannhäuser ausnahmslos hingeben will.
Auch wenn die Sopranistin ihre erste Wagner-Rolle bekleidet und nicht wirklich im dramatischen Fach beheimatet ist, so scheint ebendies der Reiz ihrer unverwechselbaren Interpretation zu sein.
Groß in Form an diesem Abend ist definitiv Christian Gerhaher, der als Wolfram unglaublich stimmmächtig, ausgewogen und in balsamisch fließenden Klangwogen, Stimmmystik auf der Bühne und im Saal verbreitet.
Wenn einer eine gesangliche Glanzleistung abliefert, dann ist es der Bariton, der mir persönlich nicht unbedingt liegt. Starke Registerbrüche und ein Stimmmaterial, das wenig aus einem Guss erscheint: Diesen Stempel hätte ich Christian Gerhaher nur allzu gerne weiterhin aufgedrückt.
Doch mit dieser uneingeschränkt fantastischen Interpretation des Wolfram werde ich den Bariton wohl schleunigst in eine neue Schublade einsortieren und meine Meinung grundlegend justieren müssen. Ich komme auch nicht umhin, schließlich ist der tobende beifallsbekundende Konsens des Publikums beim Schlussapplaus eindeutig. Christian Gerharher ist der absolute Star des Abends.
©Marion Ritterhaus
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Von herausragend ozeanischer Klangtiefe überzeugt der Bassist Georg Zeppenfeld, der als Landgraf raumgreifende Klangwellen ins Auditorium absetzt. Nicht zu wuchtig, nicht zu überladen oder gar aufdringlich penetrant verströmt Georg Zeppenfeld mit seiner Stimme hoch konzentrierte Eleganz.
Doch bei allem Respekt vor den Sängerdarstellern gebührt ein großes Lob dem Leipziger Gewandhausorchester, das unter der Leitung von Andris Nelsons Wagners sphärisch-entrückte Musik ein würdiges Denkmal setzt. Vielleicht um ein paar Nuancen zu langsam, zu gedehnt und in die musikstilistische Länge gezogen, wirkt die künstlerisch eigensinnige Handschrift Andris Nelsons dennoch wie pure Offenbarung und ist dem Werk Wagners durchaus zuträglich.
Ich finde sogar, der Mann am Taktstock hätte sich mit seinem Dirigat gerne noch ein bisschen mehr Zeit lassen können. Der Schwebezustand, in dem ich mich während der Aufführungsdauer befand, kam beinahe einem transzendenten Gefühl gleich.
Maestro, Sie haben alles richtig gemacht!