21. März 2023
Rubrik Oper
©Marty Sohl / Met Opera New York
Die Metropolitan Opera in New York ist eine Reise wert. Das wird einem spätestens dann bewusst, wenn man in den Genuss kommt, sich den neuesten Coup des Regisseurs François Girard live an Ort und Stelle oder aber per HD-Live-Übertragung im Kino anzuschauen.
Von einem mystischen Zauber ummantelt, taucht der Zuhörer auf der Stelle ein in das musikalische Spektakel der unübertrefflichen Superlative.
Es ist Wagners Meisterwerk Lohengrin, dass sich in einer sagenhaften Neuinszenierung inmitten von archaisch futuristischen Fantasy-Welten bewegt und der Handlung wie auf den Leib geschneidert scheint.
Spannung liegt gleich von der ersten Sekunde an in der Luft. Und noch während man meint, der vierstündige Opernmarathon könne einen ganz schön schlauchen, stellt man überraschenderweise fest, dass die packende Inszenierung mit all ihren gut überlegt eingesetzten Bühneneffekten eine aufregende Eigendynamik entwickelt, die einen einfach nicht mehr loslässt.
In einem verwurzelten Erdreich, von dem aus eine gigantisch kraterhafte Öffnung den Blick auf einen sternenbesetzten Nachthimmel freigibt, zirkulieren Himmelskörper in einer scheinbar endlosen Umlaufbahn einer nach dem anderen über der Stadt Brabant dahin.
Doch plötzlich färbt sich einer von ihnen glutrot, dreht sich schneller und immer schneller, bis sein Urknall das Universum in ein feuerspeiendes Farbenmeer verwandelt.
So gestaltet sich der spektakuläre Auftakt zu einer Geschichte, die sich um den Schwanenritter Lohengrin dreht, der an diesem Abend von keinem anderen als dem polnischen Tenor Piotr Beczala zum Besten gegeben wird.
©Marty Sohl / Met Opera New York
©Marty Sohl / Met Opera New York
©Marty Sohl / Met Opera New York
Eine Geschichte wie aus dem fantastischen Buch der Sagen, mit einer Moral versehen, wie sie auch die Märchenerzählungen kennen.
"Nie sollst Du mich befragen", so ruft singend der Protagonist seiner angetrauten Elsa vor der Verehelichung ins Gewissen. Mit dieser einen Frage, die niemals gestellt werden darf, steht und fällt das Schicksal der beiden sich Liebenden.
Doch Elsa gibt keine Ruhe, bis sie Lohengrin dazu genötigt hat, ihr seinen Namen und seine Herkunft zu verraten, ein weitreichender Fehler, wie sich herausstellt, der Elsa zu guter Letzt die gemeinsame Zukunft mit Lohengrin kostet.
Oft als philosophisches Gedankenspiel in das Zentrum der Inszenierung gestellt, wird man auch in dieser Produktion dazu animiert, sich mit dieser einen wichtigen und alles entscheidenden Frage auseinanderzusetzen. Warum muss Elsa wissen, wer ihr Schwanenritter ist?
Welchen Unterschied macht es, wenn sie seinen Namen in Erfahrung bringt, weiß sie doch längst, mit welch edlen Charaktereigenschaften Lohengrin ausgestattet ist.
Auch in der heutigen Gesellschaft ist es nach wie vor eine erprobte Unart, Menschen sofort nach ihrem Status, ihrer Herkunft und ihrem Berufstitel zu befragen, obgleich sich aus ihnen keinerlei Informationen über den Wesenskern des Gegenübers und dessen menschliche Qualitäten ableiten lassen.
Und dennoch tun wir es. Wir fragen und lassen uns von banalen Oberflächlichkeiten blenden, die bedeutungslos sind und am Ende unserem Lebensglück sogar im Weg stehen können.
Denn unser eiskaltes Kalkül lässt uns die Persönlichkeit hinter der schillernden Fassade nicht sehen wollen, zu fixiert sind wir auf Status, Macht und Titel. Schlussendlich können wir von Letzterem deutlich besser profitieren. Welch unsäglicher Verrat am Menschsein.
Das man auf diese Weise langfristig emotional am langen Arm verhungert und damit Lebensqualität einbüßt, das thematisiert Wagners epische und meistgesehene Oper Lohengrin an diesem Abend eindrücklich in Ton und Bild.
©Marty Sohl / Met Opera New York
©Marty Sohl / Met Opera New York
Mit einer großartigen Cast, kann sich die Metropolitan Opera in dieser Produktionsserie glücklich schätzen, denn was die musikalischen Qualitäten und die Erzählkunst der Sängerinterpreten anbelangen, steht einer dem anderen kaum in etwas nach.
Piotr Beczala, der den ritterlichen Helden Lohengrin gibt, überstrahlt gleich zu Beginn des ersten Aktes das opulent bestückte Bühnengeschehen. Hell leuchtend schimmert sein Vokalinstrument in die sphärische Weite des Universums, als er mit glockenhellem Klang seinen lieben Schwan verabschiedet.
Stentoral über all drei Akte hindurch, wirkt der Tenor gesanglich unermüdlich frisch und strotzt nur so vor vokaler Virilität.
Magisch und absolut höhepunktreif gestaltet sich auch seine Gralserzählung im letzten Akt. Mit einem Pianissimo erklingen die ersten Phrasen, leicht, duftig und so hauchzart wie eine seidenfeine Textur.
Fast hält man den Atem an und staunt leise in sich hinein, als sich die vokale Kraft zunehmend immer mehr aufbäumt und in ekstatische Klangwelten abdriftet. "Ein Ritter, ich bin Lohengrin genannt". Heroisch schmettert der Künstler mit der unverwechselbar jugendlichen Stimme die letzten Töne kristallklar ins Auditorium.
Was für ein absoluter Hochgenuss. Doch auch Günther Groissböck als König Heinrich beeindruckt gesanglich auf ganzer Linie. Mit voluminöser Saturation durchdringt sein sattes, gaumenrundes Vokalinstrument den gigantisch großen Saal. Selbst im Kinosessel beschleicht einen das Gefühl, dass die Wucht seines ozeanischen Klangkörpers ganze Leinwände zum Vibrieren bringen könne.
Als König Heinrich ist Günther Groissböck auch darstellerisch ein absoluter Gewinn. Souverän und autoritär spielt er seine Rolle wahrhaft königlich.
©Marty Sohl / Met Opera New York
©Marty Sohl / Met Opera New York
©Marty Sohl / Met Opera New York
©Marty Sohl / Met Opera New York
Und auch Tamara Wilson, die zum ersten Mal in der Rolle der Elsa debütiert, betört das Publikum mit ihrem holden, zartschimmernden Sopran.
Darstellerisch eher zurückhaltend, obgleich die Rolle auch nicht sehr viel darstellerisch gestaltenden Spielraum lässt, überzeugt das Gesamtpaket einer 1 A Sopranistin.
Christine Goerke, die wirklich eine gruselig schöne Charakterrolle erwischt hat, zeigt mit ihrem abgedunkelten Sopran, was sie als Ortrud intriganterweise so alles auf die Beine stellen kann.
Das klappt stimmlich auch ganz besonders darstellerisch. Da punktet die Interpretin und übertrumpft alle anderen Darsteller um Längen. Böse, böse ist das Weib. Oh ja. In der Beziehung können wir von Christine Goerke ganz viel lernen.
Zum Dahinschmelzen ist sicherlich auch das Dirigat von Yannick, der mit totaler Hingabe am Taktstock herumlaboriert.
Fein, zart und schwebend schön verselbstständigen sich die Orchesterklänge gleich mit der Ouvertüre. Es ist ein Traum, wie irisierend die Klangfarben nahezu sphärisch entrückt wirken.
Bravo Maestro! Das war ein Lohengrin, den ich so gerne auch Live an der Met gesehen hätte.
©Marty Sohl / Met Opera New York
©Marty Sohl / Met Opera New York
©Met Opera New York / Ken Howard
Selten auf die Opernbühnen der Welt gebracht und dennoch eine Verismo-Praline der Superlative! Umberto Giordanos Fedora ist ein so satter Hörgenuss und ein gleichermaßen packendes Opernepos, dass man des Komponisten vermeintlich grandiosestes Werk Andrea Chénier glatt dafür vergessen könnte.