03. November 2023
Rubrik Oper
©Charles Duprat / Opéra national de Paris
Als ob der Mensch von grausigen Kriegsdramen aktuell nicht längst genug hätte, erschlägt einen die Lohengrin- Inszenierung des russischen Regisseurs Kirill Serebrennikov an der Pariser Oper mit aller Gewalt.
Ein Horrorschauplatz, der die Magie von Wagners epischem Meisterwerk so dermaßen entmystifiziert, dass eigentlich nur noch die nackte Realität obsiegen kann.
So mittendrin im Krieg und im katastrophalen Tumult menschenverachtender Verhältnisse spielt die Sage um den Schwanenritter und polarisiert ungemein.
Welch pure Offenbarung dagegen doch Serebrennikovs Inszenierung des Parsifal an der Wiener Staatsoper vor einigen Jahren war, auch wenn sich über jene szenische Umsetzung die Geister gewaltig aneinander geschieden haben, so erschien sie insgesamt grandios, augenöffnend und bis auf den brutalen Häftlingsmord, der jeglicher Schwanenromantik entbehrte, ziemlich genial.
Umso schockierter ist man jetzt über die dem Werk entrückte Interpretation, die den Zauber einer hochromantischen Musik völlig auflöst und in den kriegerischen Wirren vordergründiger Darstellungskunst komplett untergehen lässt.
Was man auf der Bühne sieht, hat nichts mehr mit der Musik und der Intention des Komponisten zu tun.
Wie kann dieses Werk noch auf einer märchenhaften Sage basieren, wenn doch überall verwundete Soldaten und in Müllsäcken verpackte Leichen herumliegen und eine komplett verwirrte Elsa in dreifacher Ausführung über die Bühne wirbelt, als wäre der Ausnahmezustand das neue Normal.
©Charles Duprat / Opéra national de Paris
©Charles Duprat / Opéra national de Paris
Verrückt ist diese Inszenierung und scheinbar nicht mehr geradezubiegen, genauso wenig wie der verwirrte Geist Elsas, der ziemlich schnell im Irrenhaus medikamentös ruhiggestellt wird. Dabei passieren merkwürdige Dinge, die man womöglich nur unter Drogeneinfluss wahrnehmen kann.
Dass sich plötzlich die Mauern um Elsa schließen, sie förmlich in die fensterlose Enge treiben, ihr den Atem rauben und klaustrophobische Schreie in ihr auslösen, potenziert den Effekt von Beklemmung, Depression und Angst.
Verklärte Märchenwelten gibt es in diesem Regiewerk nicht. Und auch der Schwanenritter ist nur ein einfacher Soldat, der sich durch die geistige Entgleisung Elsas kämpft, um sie kämpft, mit ihr ringt, um sie am Ende ihrem Schicksal wieder zu überlassen.
Diese Interpretation macht keinerlei Hoffnung auf eine bessere Welt. Vielmehr ist es der Hohn des Regisseurs, der uns Menschen den Spiegel einer apokalyptischen Wahrheit schonungslos vor Augen hält.
Wir sind verloren, wenn wir uns bekriegen und uns gesellschaftlich entzweien! Ausnahmslos verloren!
Dass die Irren dabei schon längst unter uns weilen, womöglich sogar in uns, veranschaulicht der kontrovers diskutierte Regisseur mit plakativer Direktheit.
©Charles Duprat / Opéra national de Paris
©Charles Duprat / Opéra national de Paris
Was Krieg in uns auslöst und wie er uns trifft, demonstrieren auch die kinematografischen Sequenzen, die Leid, Elend, Not und Tod auf den Plan holen und einen provokanten Kontrast zur monumentalen Musik Wagners setzten.
Mit einem Dream-Team von Opernsängern, die einfach Weltklasse sind, versöhnt die zutiefst verstörende Inszenierung zumindest auf gesanglichem Terrain.
Piotr Beczala, der sich bereits Anfang des Jahres als Lohengrin an der Metropolitan Opera in New York behauptet hat, verliert trotz der deprimierend düsteren Inszenierung nicht seine vokale Strahlkraft.
Tatsächlich setzt er irisierend schöne Klangakzente, singt mit einer jugendlichen Elastizität, eleganten Phrasierungen und differenziert eingesetzter Dynamik.
Seine Gralserzählung treibt den musikalischen Genussmoment auf die Klimax zu. Sie ist ein Erlebnis emotional eingefärbter Gesangskunst, die einen Vollblutakrobaten unter den Tenören feiern darf.
Im Schauspiel hingegen hapert es allerdings gewaltig. Überzeugen kann die Rolle des Soldaten Lohengrin nicht ansatzweise, was sicherlich mit der schwer zu durchdringenden Inszenierung zusammenhängt.
Überraschend hinreißend, mitreißend und bahnbrechend grandios zeigt sich Johanni von Oostrum in der Rolle der Elsa. Ihre Stimme ist sattgolden timbriert, warmschmelzend und lupenrein in den exponierten Tonlagen, lebendig, frisch und jung und mit einer gehörigen Portion Esprit versehen, dass man sich kaum von dieser herrlichen Stimme lösen mag.
©Charles Duprat / Opéra national de Paris
©Charles Duprat / Opéra national de Paris
Auch ihr Schauspiel überzeugt auf ganzer Linie. Viel verrückter kann man eine Rolle auch kaum noch spielen, zumal auch die spastischen Anfälle im Irrenhaus beeindruckend echt wirken.
Warum sie im zweiten Akt ihre Haare lassen muss und ob sie eventuell sogar an Krebs erkrankt ist, scheint in dieser Inszenierung in ein sozialgesellschaftliches Bild zu passen, dass neben Krieg, Seuchen und Tod selbstverständlich auch schwerwiegende Krankheiten auf den Plan ruft.
Ortrud und Telramund, das brabantische Grafenpärchen, das sich an Elsa und Lohengrin rächen will, wirkt in dieser Inszenierung deplatziert. Als Psychiater-Ehepaar einer Klinik kommt das Schauspiel der beiden Darsteller mehr lauwarm als leidenschaftlich rüber.
Und auch gesanglich überzeugt die dramatische Mezzosopranistin Ekaterina Gubanova als Ortrud nicht wirklich. Zu schrill und hysterisch mutet ihr Gesang an und quält sich gefühlt durch die oberen Tonregister.
Würde es nicht immer wieder so metallisch scheppern, könnte man der Rolleninterpretation zumindest gesanglich noch sehr viel abgewinnen.
Wolfgang Koch als Friedrich von Telramund zeigt sich in konstant guter vokaler Hochform. Satt und rund dringt sein sonorer Bariton in alle tiefen Lagen vor und lässt sich angenehm hören.
Mehr passiert allerdings auch nicht, was sehr bedauerlich ist, aber ob der konfusen Inszenierung auch verständlich.
©Charles Duprat / Opéra national de Paris
©Charles Duprat / Opéra national de Paris
Orchestral schwappen die emotionalen Temperaturen nicht über. Die opiatisch wirkende Musik Wagners verliert durch die schockierende Inszenierung ihren Glanz, ihre Strahl- und Aussagekraft.
Mystifizierende Klänge, berauschende Klangwogen, überbordend narkotische Instrumentalmagie wird durch die szenisch-dramaturgische Ausgestaltung komplett eliminiert.
Das Werk ist in seinem musikalischen Charakter kaum noch wiederzuerkennen. Die Musik klingt so anders, so verändert und modifiziert, dass man sich wahrlich fragt, ob das wirklich Wagners Lohengrin ist.
Wie schade, wenn sich eine Inszenierung auf das Podest der künstlerischen, vielleicht sogar politisch motivierten Eitelkeit erhebt und sich radikal über die Musik hinwegsetzt, nur um ihrer unnötigen Überhöhung willen.