Lisette Oropesa als unsittliches Stepford Wife in "Il Turco en Italia" am Teatro REal Madrid

23. Juli 2023

Rubrik Oper

©Javier de Real / Teatro Real Madrid

Sprudelnd, überschäumend und witzig von der ersten bis zur letzten Minute, so gestaltet sich das inszenatorische Werk des Regisseurs Laurent Pelly, der mit seiner Interpretation von Rossinis Opera buffa " Il turco en Italia" keinen Stein auf dem anderen lässt.

 

Mit viel Spaß an kleinbürgerlicher Nostalgie und einer offensichtlichen Comic-Leidenschaft verwandelt der Regisseur die erotisch angehauchte Geschichte um einen verwegenen Türken, der sich auf italienischem Boden in eine gelangweilte Hausfrau verliebt, in  ein 50er-Jahre Spektakel, das die "Frauen aus Stepford" vor Neid nur so erblassen lässt. 

 

Im Mittelpunkt der urkomischen Handlung findet sich die Sopranistin Lisette Oropesa wieder, die als Donna Fiorilla im gepflegten Garten ihres Einfamilienhäuschens ein vermeintlich unaufgeregtes Vorstadtleben mit ihrem wohlhabenden Langweilergatten Don Geronio führt.

 

Der Realität entkommend, vertröstet sich die flott herausgeputzte Möchtegern-Diva allerdings mit ihrer Affäre Don Narciso den schnöden langen Tag und verpasst ebenfalls keine Ausgabe ihres vor Romantik triefenden Liebescomics.

 

Notorisch romantische Verirrungen und lodernde Leidenschaft erlebt die sinnliche Ehefrau nämlich nur im Liegestuhl, tief eintauchend in die Herz-Schmerz-Geschichten ihrer Groschenromanlektüre.

 

©Javier de Real / Teatro Real Madrid

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©Javier de Real / Teatro Real Madrid

Doch während Donna Fiorilla nichts ahnend ihrer Lieblingsbeschäftigung ausdauernd und von gelegentlichen Schmachtseufzern begleitet nachgeht, kündigt sich die Ankunft des türkischen Edelmannes an, der es schon bald auf die lockenköpfige Schönheit à la Sophia Loren abgesehen hat.

 

Aus dem oberen Rand eines überdimensionierten Groschenromans lugend, der recht omnipräsent in das Bühnenbild hineinragt, tritt der türkische Selim erstmals in Erscheinung - und geht nicht klassisch von Bord seines Schiffes, sondern hüpft keck und munter aus dem Comicbild in die Realität der trügerischen Vorstadtidylle geradewegs in die Arme der wunderschönen Donna Fiorilla.

 

Beide verlieben sich auf der Stelle ineinander, was Don Narciso und Don Geronio in wutschäumende Rage versetzt und auch anderweitig testosterongesteuertes Gerangel um "La Donna" auf die Tagesordnung setzt.

 

Die kleinbürgerliche Weltordnung scheint aus den Angeln gehoben und alle sind sie plötzlich außer Rand und Band, dem Wortsinn sei Dank, denn Laurent Pellys Protagonisten hüpfen wie in Mussorgskis "Bilder einer Ausstellung" tatsächlich aus den einzelnen Comicsequenzen heraus.

 

Und so werden Donna Fiorillas fiktive Romanfiguren zum Leben erweckt, alles Fantastische wird zur gelebten Realität.

 

Wenn Märchen wahr werden, dann kann das auch nach hinten losgehen.

 

©Javier de Real / Teatro Real Madrid

©Javier de Real / Teatro Real Madrid

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©Javier de Real / Teatro Real Madrid

©Javier de Real / Teatro Real Madrid

Lange Rede, kurzer Sinn: Das böse Erwachen lauert tatsächlich am Ende dieser bigott amourösen Reise, denn nachdem Selim der Liebe Donna Fiorillas überdrüssig wird und sich alsbald wieder auf und davon macht, bleibt die Verlassene wie eine räudige Hündin ausgesperrt vor ihrem ehelichen Zuhause im Regen stehen.

 

Don Geronio hat genug von den erotischen Eskapaden seiner Noch-Ehefrau. Am liebsten würde er sie in die Wüste schicken und dann... auf Nimmerwiedersehen.

 

Doch was wäre eine komische Oper, wenn nicht nach all den Irrungen und Wirrungen ein Ende mit gutem Ausgang locken würde. Donna Fiorilla und ihr "Göttergatte" versöhnen sich zu guter Letzt doch noch, denn wie heißt es so schön bei den Märchen und Liebesgeschichten: Ende gut, alles gut! 

 

Und apropos gut! Nicht nur die Inszenierung von Laurent Pelly staubt locker 100 Punkte ab, auch die gesanglichen und darstellerischen Qualitäten der Interpreten überzeugen in dieser Produktion in herausragender Weise.

 

Allen voran Lisette Oropesa, die es so ausgezeichnet versteht, mit Charme und komödiantischem Talent den Charakter der Donna Fiorilla so formidabel auf den Punkt zu bringen. Absolut rollenversiert, mimisch, gestisch und im Charakterfach tief verankert, übertrifft sich die charismatische Sopranistin fast schon selbst, was man absolut auch von ihren gesanglichen Leitungen behaupten kann.

 

©Javier de Real / Teatro Real Madrid

©Javier de Real / Teatro Real Madrid

Mit ihrem herrlich farbenreichen Timbre, ihrer saturierten Mittellage, die warmgolden und dennoch elegant, zuweilen silberzart anmutet, betört Lisette Oropesa ihr Publikum und besticht zudem ganz besonders durch ihren ausgeprägten Koloraturreichtum. Technisch raffiniert, zartschimmernd, äußerst biegsam, ganz besonders in den exponierten Höhen, gelingt jeder Lauf und jeder Ton sitzt wie auf Maß gefertigt. Dass dabei auch die Emotionen nicht zu kurz kommen, dafür sorgt die technisch ausgereifte Versiertheit der Vokal-Athletin.

 

Stimmungen, emotionale Temperaturen, obgleich doch die leichte, lockere und unbestechlich humoristische Seite einer dramatischen Tiefe überwiegt, transportiert die Sopranistin mit ausdrucksstarker Verve ins Publikum.

 

In jeder vokalen Regung, ob heiter, beschwingt, traurig oder gar verzweifelt, spürt man die Klangbreite der Emotionen, die Lisette Oropesa anzubieten hat.

 

Auch Don Geronio der von Misha Kira zum Besten gegeben wird, überzeugt als etwas einfältiger Ehegatte des sexy Sophia-Loren-Verschnitts. Vorzüglich mimt er den Betroffenen, den Gehörnten, der nichts anderes will als um seine Frau kämpfen, bis ihm irgendwann vor Resignation und Gefühlstaubheit die Luft ausgeht.

 

Nicht so beim Singen: Da fährt der temperamentvolle Bariton alle Register auf, die sein Vokalinstrument hergibt. Vollmundig, satt und rund, so muss es tatsächlich klingen, wenn stimmliche Attribute wie dunkelsamtig und schokoladensatt auf gaumenrund treffen sollen.

 

Besonders erwähnenswert ist auch die Interpretation des Protagonisten Selim, der mit stimmlicher Inbrunst und sonorer Tiefenwirkung den verwegenen Türken gibt und mit seiner potenten Männlichkeit auch darstellerisch ganz gewaltig aus dem Vollen schöpft. 

 

Wirklich grandios und unverwechselbar sind natürlich auch Edgardo Rocha, der den Liebhaber Don Narciso gibt, Zaida, die Zigeunerin, die von Paola Gardina temperamentvoll zum Leben erweckt wird so wie Albazar, der ebenfalls formvollendet von Pablo García-López zum Besten gegeben wird.

 

 

Raffiniert, leicht und mit duftigem Esprit schafft es zu guter Letzt Maestro Giacomo Sagripanti das buffoneske Stück in einem klanglich erfrischend modernen Kontext zu verhaften.

 

Bravo a tutti! Ein gelungenes Meisterwerk der Zeitlosigkeit!


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