Lachsalvenstarke "Le nozze di Figaro" an der Wiener Staatsoper

28. März 2023

Rubrik Oper

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

Unterhaltsam, komödiantisch und eine quirlig lachsalvenstarke "Nozze di Figaro": Für so eine außerordentlich starke Inszenierung hat sich der australische Regisseur Barrie Kosky für den Mozart-Da Ponte-Klassiker an der Wiener Staatsoper diesmal schwer ins Zeug gelegt.

 

Nicht, dass sehr viel an den Requisiten oder gar an der rokokoüppigen Schlossmenagerie verändert wurde. Ganz im Gegenteil: Der Pomp vergangener Tage haftet dem barocken Stück historiengetreu an, macht Spaß und verbreitet gute Laune.

 

Vermengt mit einer Prise Retrocharme und den entsprechend 70ies-lastigen Kostümen gelingt der Brückenschlag vom Alten zum Neuen und somit Zeitgemäßen!

 

Genau so kann man eine Mozart-Oper genießen, denn ihr Kondensat besteht Gott sei Dank nicht aus einer szenisch abstrahierten und künstlerisch wertvollen Vordergründigkeit, sondern baut auf dem Substrat seiner einzigartig individuellen Charaktere auf.

 

Die beleuchtet Kosky nicht nur mit sehr viel Liebe zum Detail, nein, er leuchtet sie auch in all ihren Eigenarten, Unzulänglichkeiten, Fehlbarkeiten und Unverwechselbarkeiten aus.

 

Heraus kommt dabei ein authentisch lebendiges Porträt eines gesellschaftlichen Kaleidoskops, durch das dem Zuschauer ein verschärfter Blick auf die Männerwelt im Allgemeinen und im Speziellen möglich wird. Im Fokus steht, wie sollte es anders sein, der Graf Almaviva, der schürzenjägerhaft jedem Rockzipfel nachsteigt und sich in seiner unreifen, wenig intelligenten Art schlussendlich in seiner Liebesmanie so dermaßen versteigt, dass er von seiner eigenen Frau überführt, am Ende als Verlierer dasteht.

 

Dass die Zofe Susanna, ihr bald angetrauter Figaro, die Gräfin selbst und auch der Cherubino ihre Hände im Spiel der Intrigen spinnenden Verschwörung gegen den Liebessüchtigen haben, steigert die Spannung und den komödiantischen Effekt des Stückes ins nahezu Unermessliche.

 

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

Ob man bei all dem verwechslungsintensiven Hin- und Her den tieferen Kern moralischer Abtrünnigkeit suchen sollte, bleibt dem Zuschauer selbst überlassen. Fest steht jedoch, dass Oper in einer so famosen Sängerkonstellation zu einem musikgenussintensiven Erlebnis wird.

 

So stehen an diesem Abend Andrè Schuen (Graf Almaviva), Hanna-Elisabeth Müller (Gräfin Almaviva), Patricia Nolz (Cherubino), Peter Kellner (Figaro), Josh Lovell ( Don Basilio) und Ying Fang (Susanna) gemeinsam auf der Bühne und bieten ein vokalathletisches Spektakel auf höchstem Niveau, wobei Letztere nur stumm ihre Lippen zum Gesang bewegt, der von Maria Nazarova aus dem Orchestergraben vielversprechend erklingt.

 

So viel "Jungspunderei" geballt auf einem Fleck, kann manch einem schon mal zu viel werden. Doch wenn gesangliche und darstellerische Leistungen auf so professionell hohem Niveau dargeboten werden, ist der Anblick einer jungdynamischen Sängergarde eben auch mal ein Fest fürs Auge. 

 

Andrè Schuen, der als Graf Almaviva Susanna, der Kammerzofe seiner Frau, hinterherstellt, glaubt sich in einem geschickt eingefädelten Techtelmechtel wiederzufinden, indem er aber nicht der Strippenzieher, sondern die Marionette eines ausgeklügelten Schachzugs seiner Gattin ist und dabei dem Komplott seiner Dienerschaft zum Opfer fällt.

 

Völlig im Dunkeln tappend, ein wenig naiv und ahnungslos in sein amouröses Verderben rennend, schmachtet der Graf Susanna bei jeder sich bietenden Gelegenheit hinterher. Während er rücksichtslos seiner Liebschaft hinterherstellt, kontrolliert er, der Brunfthirsch in Person, ganz nebenbei auch noch das Treiben seiner gedemütigten Ehefrau, die sich zur Abwechslung ein wenig mit dem liebestollen Pagen Cherubino die langweilige Zeit vertreibt.

 

Andrè Schuen verkörpert die Rolle des einerseits eifersüchtigen, anderseits umtriebigen Gatten ganz vorzüglich. Mit Verve, stentoraler Sangeskunst und einem schololadensatten Klangschmelz verführt er nicht nur seine weibliche Anhängerschaft auf der Bühne, sondern ganz bestimmt auch die Damenherzen im Publikum, was man übrigens auch von Peter Kellner in der Rolle des Figaro behaupten kann.

 

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

Der nämlich sprüht nicht nur vor Witz, Charme und intrigantenhaftem Ideenreichtum, sondern brilliert mit einem ausgewogen dunkelsamtigen Bariton, der jugendlich strahlend und dennoch männlich verwegen klingt und sich stimmlich agil durch alle vier Akte windet, ebenso gekonnt wie seine ausgeklügelten Lügengespinste, die er dem Grafen Almaviva wohl dosiert in den Gehörgang einträufelt.

 

Überhaupt hat man den Eindruck Peter Kellner lebt förmlich in seiner Rolle auf, je intensiver er sich in seinen fiktiven Charakter hineinversenkt.

 

Susanna, die Angetraute des Figaro, versteht es ebenso, ihre Partie ausgezeichnet zu interpretieren, auch wenn ihr an diesem Abend aufgrund gesundheitlicher Indisposition wirklich kein einziger Laut von den Lippen kommen will. Zumindest funktionieren Mimik und Gestik ganz hervorragend. Großartig geschauspielert, versteht man sofort, welch federführende Macht Susanna in der Intrige gegen den Grafen Almaviva innehat. 

 

Souverän, gewieft, aber immer dezent im Hintergrund serviert das pfiffige Weibsbild auf flirtive Art ganz ruhig und gelassen den lästigen Grafen ab. Der merkt nicht wirklich, dass er einen Korb bekommt und probiert sein verbotenes Glück ganz ungeniert immer wieder aufs Neue.

 

Fantastisch gesungen, wenn auch im Orchestergraben versenkt, erlebt man eine Maria Nazarova auf dem stimmlichen Olymp der Perfektion. Ihr Gesang ist auf dem Punkt, koloratur- und höhensicher, zartschimmernd und von solch irisierendem Timbre, dass einem ganz butterweich ums Herz wird. 

 

Perlend rein, kristallklar und zuweilen sphärisch entrückt mutet der elegante, silberfeine Klang der russischen Sopranistin an. Andächtig lauscht man Susannas Arie im letzten Akt, in der man klangströmend mitgerissen wird, so betörend schön dringt die Stimme Maria Nazarovas aus dem Orchestergraben wie aus einer anderen Welt.

 

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

Und auch Hanna-Elisabeth Müller, der man die einsame und gedemütigte Gräfin auf Anhieb abnimmt, überrascht mit ultraleicht fließenden, melancholisch eingefärbten Klängen.

 

Ihr Vokalinstrument beherrscht die kühl wirkende Schönheit an diesem Abend vorzüglich. Exponierte Tonalhöhen scheint Hanna-Elisabeth Müller ohne großen Anlauf zu nehmen. Dabei klingt die Stimme frei und schimmert multifacettiert ins Auditorium.

 

Himmlisch und einfach zum Wegschmeißen komisch brilliert auch die Mezzosopranistin Patricia Nolz in ihrer genderfluiden Rolle als Cherubino. Burschikos, aber mit einem femininen Touch verschwimmt die Figur zwischen Männlein und Weiblein, und irgendwie weiß man nicht so ganz genau, ob der Knabe ganz ein Knabe oder doch eher ein androgynes Fräulein darstellen soll. Absicht oder Zufall?

 

Auf jeden Fall wird man vom Schauspiel der jungen Mezzosopranistin von der ersten Sekunde an völlig absorbiert, denn wie ein Wirbelwind stobt Patricia Nolz immer wieder wie ein Derwisch über die Bühne, meistens auf der Flucht vor dem eifersüchtigen Grafen.

 

Lachend krümmt man sich fast so wie Frau Nolz, die mitsamt Jackett an einem Kleiderhaken aufgehängt, alsbald plumpsend wie eine reife Frucht auf den lieblosen Boden der Tatsachen fällt, denn mal wieder wurde Cherubino bei einem verbotenen Tête-à-Tête erwischt. 

 

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

Josh Lovell, der gesanglich unglaublich positiv auffällt und auch rollenversiert äußerst gekonnt auf der Bühne agiert, gibt einen wirklich überzeugenden Don Basilio.

 

Wohlverdient ist zu guter Letzt auch der bunte Blumenstrauß, der an den Meister des Taktstockes geht. Nicht nur damit beschäftigt, sich der orchestralen Musikpracht zu widmen, sondern auch am Hammerklavier hammerstarke Töne zu produzieren, beklatscht das Publikum lautstark Philip Jordan, dem sowohl sein Dirigat als auch der virtuose "Hammeranschlag" wirklich ausgesprochen wunderbar gelungen ist.

 

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper


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