La Traviata kurz und bündig im Opernloft Hamburg

26. Februar 2023

Rubrik Oper

©Silke Heyer

Kurz und bündig, aber nicht zu knapp fällt Verdis La Traviata am heutigen Abend im Hamburger Opernloft aus. 90 Minuten geballte Showtime für ein melodramatisches Werk, das sich unter regulären dreiaktigen Opernbedingungen in langatmigen zweieinhalb Stunden über einen ergießt.

 

Denn Opern ziehen sich normalerweise immer etwas in die Länge, was höchstwahrscheinlich auch der Grund dafür ist, dass viele potenzielle Opernnovizen vor einem Besuch der erlauchten Musentempel ehrfürchtig zurückschrecken.

 

Die Angst vor zu viel zähflüssiger Länge muss man im Opernloft in Hamburg wirklich nicht haben. Dort nämlich präsentiert man dem Zuschauer die schwere, oftmals unzugänglich und langatmig erscheinende Opernkost in der Light-Variante, lediglich reduziert auf die musikalische Kernessenz und dabei auch noch äußerst unterhaltsam und dermaßen spannend gestaltet, dass man es kaum glauben kann, wie so eine erfrischend moderne Inszenierung mit interaktiven Highlights gespickt, höchsten Unterhaltungswert in überschaubar intimer Runde bieten kann.

 

Knapp 100 Zuschauer, verteilt über die gesamte Fläche des Lofts und somit clever integriert in das 360 Grad Bühnenspektakel, halten an diesem Abend als stille Statisten der Inszenierung begeistert her.

 

An Billard- und Roulettetischen sitzend, werden sie im Laufe der Spieldauer immer mal wieder von den singenden Croupiers bespaßt und zum Glücksspiel aufgefordert. Und wenn die Roulettekugel ins Rollen kommt, heißt es "Rien ne va plus", denn die Handlung, man ahnt es schon, spielt sich in einem Casino ab.

 

©Silke Heyer

©Inken Rahardt

In dieser ultramodernen Neuinterpretation erlebt man die Kurtisane Violetta als eine selbstbewusste, dynamische Geschäftsführerin eines Casinos, die nicht an den Folgen ihrer Schwindsucht stirbt, sondern von ihrer Geschäftspartnerin Flora kaltblütig ermordet wird.

 

Warum das?

 

Nun, Violetta verliebt sich gleich zu Beginn der Handlung in Floras Bruder Alfredo, der im Verlauf des 90-minütigen Opernvergnügens der Spielsucht verfällt. Krank, weil spielsüchtig, ist demnach also nicht Violetta, sondern ihr geliebter Alfredo. Und der muss vor seinen Leiden unbedingt bewahrt werden.

 

Gesagt, getan! Als beide mit Violettas Anteilen aus dem Casino stiften gehen wollen, um sich ein neues Leben abseits der spielsüchtigen Welt aufzubauen und damit wissentlich die Existenz der zurückbleibenden Flora zerstören, erschießt diese Alfredo und Violetta ohne lang zu fackeln. Ein Ende mit tödlichem Ausgang, nur dass in diesem Fall, konträr zur Originalfassung, zwei Menschen sterben müssen.

 

Inken Rahardt, die Intendantin des Opernlofts und Regisseurin dieser Inszenierung, beweist mit ihrem Verständnis für szenische Gegenwärtigkeit, dass Oper nicht nur deutlich kürzer geht, sondern auch mit einem progressiven und realitätsnahen Erzählstil ein Publikum begeistern kann.

 

Dass es für diesen intimen Rahmen mit Exklusivitätsgarantie auch kein Orchester braucht, um große Kunst zu machen, ist nicht gleich auf den 1. Hörversuch selbstredend. Die Skepsis überwiegt noch in den ersten Minuten. Doch dann wird klar, das Opernloft hat Format, weil es anders als in einem Opernhaus, sein Publikum hautnah am Geschehen teilhaben lassen kann.

 

©Silke Heyer

©Inken Rahardt

Auch die Zusammenstellung der Instrumente, bestehend aus Klavier, Querflöte und Saxophon ist eine klanglich geniale Mischung, die in einem hausmusikähnlichen Kontext dem Loft-Charakter voll und ganz gerecht wird. Und auch der Gesang mengt sich fantastisch unter die Leute, obgleich von einer großartigen Akustik im Saal sicherlich keine Rede sein kann.

 

Einzig das Gefühl inmitten der Musik, inmitten des Klangs und der Harmonien zu schwimmen und die Sänger so direkt und unmittelbar neben sich stehen zu haben, während die schönsten Töne aus nächster Nähe lautstark vibrierend sofort ihren Weg in den Gehörgang finden, macht die Opernerfahrung zu einem absoluten live & unplugged Erlebnis der Superlative.

 

Das kann ein Opernhaus doch auch, denken Sie jetzt! 

 

Nun, stellen Sie sich doch einfach mal vor, ein Jonas Kaufmann würde auf einem Billardtisch direkt vor ihrer Nase sitzend "Nessun Dorma" auf Sie heruntersingen und ihren Gehörnerv mit vokal satten "Dolby Surround" qualitativen 3000 Hertz auf das Intensivste überschütten. 

 

Sie würden wahrscheinlich auch nie wieder einen Orchestergraben zwischen sich und der Bühne sehen wollen, oder?

 

Vielleicht wäre es Ihnen aber auch zu viel des sonoren Gesanges. Wer weiß! Lebendiger, aufregender, interaktiver und inspirierender ist es allemal, wenn man die Möglichkeit erhält, sich auf so ein totales Naherlebnis mit der Musik und dem Gesang einlassen zu können, ohne dabei einmal in seinem Leben Mäuschen bei einer Gesangsprobe spielen zu müssen.

 

©Inken Rahardt

©Inken Rahardt

©Silke Heyer

Apropos Gesang: Der ist tatsächlich umwerfend, insbesondere das koloratursichere Stimmvermögen der Violetta, die von der dänischen Sopranistin Feja Sandkamm dargeboten wird.

 

Die Frau hat Klasse, Temperament und fällt gleich von der ersten Sekunde schon allein wegen ihrer starken Bühnenpräsenz auf. Diese Violetta gefällt mir absolut. Versiert in allen Tonlagen und mit einem darstellerischen Talent gesegnet, dass man sich wirklich ernsthaft fragt, an welchen größeren Häusern diese Künstlerin wohl sonst noch auftreten mag.

 

Ja, von Frau Sandkamm möchte man nach diesem aufwühlenden Traviata-Erlebnis definitiv mehr sehen und hören. Letzteres sowieso, denn mit ihrer feinperlenden Stimme, die sich unglaublich mühelos und biegsam in die exponierten Tonregister schwingt, erobert sie nicht nur ihren heiß geliebten Alfredo, sondern auch ihr Publikum im Sturm.

 

Doch der arme Alfredo hat an diesem Abend irgendwie auf ganzer Linie Pech, nicht nur im Spiel und im fatalen Ausgang seiner hoffnungslosen Liebe zu Violetta, sondern leider auch stimmlich, denn gesundheitlich indisponiert, hat sein Vokalinstrument den Geist für den heutigen Abend aufgegeben.

 

Zum Glück hat das Opernloft schnell ein Gesangsdouble an Ort und Stelle, das sich nun im Hintergrund des Bühnengeschehens dezent positioniert, um dem gesundheitlich angeschlagenen Ljuban Zivanovic seine Stimme zu leihen. Das mutet zu Beginn etwas befremdlich an, sieht man doch ganz genau, dass der eigentliche Protagonist seine Lippen nur minimal bewegt. Dadurch büßt die Glaubhaftigkeit seiner gesanglichen Rolleninterpretation ein, was bedauerlich, aber aus stimmgesundheitlicher Perspektive nur allzu nachvollziehbar ist.

 

Auf jeden Fall beeindruckt Zivanovics Wutausbruch, der sich auf dem Roulettetisch über der ahnungslosen Violetta ergießt. Zusammengekauert liegt die geprügelte Geliebte wie ein Häufchen Elend am Boden, völlig am Ende mit ihrem Liebeslatein. 

 

©Inken Rahardt

©Inken Rahardt

©Inken Rahardt

Was die ebenso stimmgewaltige Flora alias Pauline Gonthier anbelangt, teilen sich an diesem Abend zwei starke Frauenpersönlichkeiten die Bühne: Violetta und Flora!

 

Mit ihrem gewaltigen Mezzosopran und einem saturierten Timbre gelingt es der Künstlerin, auch den Part des Germont ausdrucksstark und vokal konturiert zu interpretieren. Dabei betört die Stimme mit einem samtenen Glanz, der erst im Abgang weich und rund anmutet.

 

Francesco Sannicandro, der sich als Croupier an den Spieltischen zu schaffen macht, ist als Darsteller ein absoluter Gewinn für das Opernloft. Höhepunktreif ist dabei tatsächlich die Stripeinlage auf dem Roulettetisch, bei der er scheinbar jede Sekunde seines freizügigen Auftritts in vollen Zügen genießt. Und auch das Publikum ist begeistert von dieser Einlage, die nackte Haut blitzen lässt - aber auch nur so viel, das sich das Auge lediglich an einem Appetizer laben kann.

 

Summa summarum kommt die Idee, Oper in Kurzform und nur auf die ariosen Sahnehäppchen auszurichten, für den Opernpuristen möglicherweise einer Zerstückelung gleich. Aus der Sicht eines absoluten Novizen, der vielleicht zum allerersten Mal eine Oper erlebt, kann diese Erfahrung ein absoluter Augenöffner und potenzieller Anknüpfungspunkt an das Genre überhaupt sein.

 

Denn sind wir mal ehrlich. Oper wirkt aus der Ferne oftmals elitär, manchmal sogar einschüchternd auf jene Menschen, die einfach nicht wissen, wie sie sich a) auf die Oper vorbereiten sollen und b) total deplatziert unter den vermeintlichen Opernkennern fühlen, die eigentlich auch nicht mehr wollen und können, als die großen Gefühle auf der Opernbühne live mitzuerleben. 

 

Unkonventionell, erfrischend anders und eine Furt in die Welt der Oper schlagend: Mit dem einmaligen Konzept des Opernlofts gelingt genau dieser fließende Übergang. 


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