29. April 2023
Rubrik Oper
©Luciano Romano / Teatro San Carlo
Nach vollendeten Renovierungsarbeiten erstrahlt das beeindruckende Opernhaus in Neapel endlich wieder in neuem Glanz: das Teatro San Carlo.
Und dieser Glanz wird selbstredend auch noch durch einen Stargast potenziert, der in einer Inszenierung des italienischen Regisseurs Federico Tiezzi aus dem Jahr 2005 für Aufsehen sorgt: Tenor Jonas Kaufmann.
In Wagners Walküre, die 2. Oper aus dessen epischem Ringzyklus, erlebt der Zuschauer nämlich ein szenisches Werk, das nicht vor neoavantgardistischen Requisiten zurückschreckt. Geometrien, architektonische Gebilde von akkurater Formgebung bilden dabei den zentralen Raum des Handlungsgeschehens.
Wer auf ein fantasievolleres "Herr-der-Ringe" Spektakel gewartet hat oder gar auf ein verklärtes historienverliebtes Bühnenbild, muss sich enttäuscht von derlei Abstraktion desillusioniert geschlagen geben. Hier geht es nicht darum, eine mystisch angehauchte Märchenstimmung zu verbreiten, sondern vielmehr darum, das Hauptaugenmerk auf die Handlung, die Darsteller und die Musik zu lenken.
Wie immer bei solch modernen Inszenierungen muss die Fantasie des Publikums schalten und walten. Wer sich mit dem Thema der Geschichte weitestgehend auseinandergesetzt hat, ist klar im Vorteil. Allen anderen hilft vorab auch das Lesen eines gut sortierten Opernführers, denn selbsterklärend ist in der Regieführung von Tiezzi so rein gar nichts.
Was erleben wir also, wenn wir uns das Bühnenbild einmal näher betrachten?
Da wäre zum einen ein überdimensionierter neunzelliger Kubus, der zwar nicht kniffelig auseinander und ineinander gedreht wird, aber mit allerlei Requisiten versehen im ersten Akt eine stilisierte Holzesche mit dem sagenhaften Schwert Notung beherbergt - das Schwert wohlgemerkt in einem zersprungenen Spiegel versenkt, der in einem goldenen Bilderrahmen quasi an den Eschenstamm rangetackert scheint.
Symbolismen, Abstraktionen, alles lädt in dieser Inszenierung zu "Über-den-Tellerrand" anregenden Denkanstößen ein.
©Luciano Romano / Teatro San Carlo
©Luciano Romano / Teatro San Carlo
In der zweiten Szene dann wird der Würfel durch riesengroße Gesteinsbrocken, ähnlich meteoritenhaften Gebilden, vereinnahmt, so als hätte in der Walhall eine Bombe eingeschlagen. Die Weltordnung scheint zumindest angeschlagen, zerstört, aus den Angeln gehoben?
Warten wir ab, was sich der Regisseur überraschenderweise für den letzten Akt ausgedacht hat. Nun, da hängen im kniffeligen Kubus goldene Bilderrahmen, die anstatt einer Leinwand mit Torsi griechischer oder römischer Kriegshelden bestückt sind.
Zwischenzeitlich aber pilgern Jonas Kaufmann alias Siegmund und Sieglinde alias Vida Miknevičiūtė verloren durch das Weltall der Weltalle. Himmelskörper aller nur erdenklichen Größen, viel zu viele an der Zahl, die einander wie irre zu umkreisen scheinen, aus ihren jeweiligen Umlaufbahnen entgleist, potenzieren das Bild einer angegriffenen Ordnung, die scheinbar nicht wiederherstellbar, durcheinander und im Chaos endend erscheint.
Ein bisschen Star Wars vermischt mit einer Prise Shakespeare-Charme, so wirken auch die Kostüme der Darsteller. Alles in allem ist die Inszenierung ein wunderliches Stück Regiearbeit, das man als großartig, aber auch ebenso befremdlich empfinden kann, insbesondere wenn man sich die letzte Szene vorknöpft, in der sich die Walküren anatomisch an einer aufgebahrten Heldenleiche zu schaffen machen.
Irgendwie erinnert mich das ein wenig an die Leichenschau der Tannhäuser-Inszenierung bei den jüngst stattgefundenen Osterfestspielen in Salzburg.
©Luciano Romano / Teatro San Carlo
©Luciano Romano / Teatro San Carlo
Und in welche Schublade stecken wir nun dieses wenig wirkungsvolle szenische Regiegebilde? Welchen Namen sollten wir ihm geben?
Endzeitstimmung im Weltall?
Tatsächlich bleibt es ein mehr oder minder großes Rätsel, worauf uns die Regiearbeit des Italieners stoßen will. Offensichtlich aber ist in jedem Fall, dass den Akteuren auf der Bühne sehr viel Handlungsspielraum zuteil wird und auch der musikalischen Essenz viel Raum zur künstlerischen Entfaltung geboten wird.
Dass der Aktionsreichtum der singenden Zunft dennoch etwas zu kurz kommt, liegt vielleicht an dem irritierenden, entmystifizierten und stark abstrahierten Regiekonzept, zu dem einen aber auch wirklich die Worte fehlen dürfen.
Dafür kann man im Gegenzug nicht genügend Worte für die durchweg grandiose Interpretation der Sängerdarsteller verlieren, allen voran Jonas Kaufmann, der sich stimmlich von seiner virilsten Seite zeigt. Gesund, frisch und ausdauernd tönt die kernige Stimme gaumenrund und tatsächlich unangestrengt durch alle drei Akte mit unermüdlichem Esprit.
Besonders ansprechend, wenn nicht sogar immer ansprechender, schimmert Kaufmanns goldene Mittellage in den Orbit des Auditoriums. Warm, dunkel und von einer schokoladensatten Textur haben wir es hier mit einem einzigartigen, absolut unverwechselbaren Timbre zu tun, was das bruststimmenbasierte Alleinstellungsmerkmal des Tenors um so viel mehr auszeichnet als jedes noch so athletisch geschmetterte hohe C.
Wirklich nichts gegen das Hohe C. Aber ehrlich, es macht noch lange kein Rundum-Sorglos-Tenorpaket!
©Luciano Romano / Teatro San Carlo
©Luciano Romano / Teatro San Carlo
©Luciano Romano / Teatro San Carlo
©Luciano Romano / Teatro San Carlo
Auch schauspielerisch ist Jonas Kaufmann sehr bei der Sache, versenkt sich dabei voll und ganz in seiner Rolle und macht wett, was einem Regie und Bühnenbild vereiteln.
Ebenso grandios erlebt man die Sopranistin Vida Miknevičiūtė, die als Sieglinde darstellerisch und stimmlich auf ganzer Linie überzeugt. Schnörkellos, hell schimmernd und von einer fein nuancierten Leichtigkeit strahlt das Vokalinstrument der zierlichen Sängerin frisch und dynamisch sprudelnd von einer formschönen Phrase zur nächsten, unermüdlich, eifrig und absolut ausdauernd - und vor allem mit jugendlichem Elan.
Okka von der Damerau, die in der Partie der Brünnhilde glänzt, besticht mit kraftvoller Inbrunst, wenn auch zuweilen in den exponierteren Lagen etwas schrill und nicht ganz perfekt austariert.
Dennoch überzeugt ihr authentisches Darstellungsvermögen und die virile Stimmwucht, mit der sie schmetternd das Publikum in ihren Bann zieht.
Bleiben noch Christopher Maltman, der als Wotan sehr präsent, sowohl rollenversiert als auch gesanglich auf den Punkt genau performt und das Walküren-Oktett, das sich auch nicht wirklich in den Schatten stellen lässt.
©Luciano Romano / Teatro San Carlo
©Luciano Romano / Teatro San Carlo
©Luciano Romano / Teatro San Carlo
Dan Ettinger, der die Dreidimensionalität der orchestralen Ausgestaltung wie vielleicht kein anderer Dirigent versteht, schafft es auch in dieser Interpretation höchst lebendige Klangteppiche zu erzeugen, die eine magische Anziehungskraft entwickeln.
"Wagner at his best" mit einer Cast, die rundum glücklich macht. Musik kann so schön sein, wenn alle Komponenten der Virtuosität ineinandergreifen.