06. Dezember 2023
Rubrik Oper
©Turandot / Wiener Staatsoper
Während die Mailänder Scala am 7. Dezember einen Saisonauftakt der ästhetischen Superlative plant, stehen die Zeichen an der Wiener Staatsoper just an genau demselben Tag auf Sturm, denn mit Asmik Grigorian und Jonas Kaufmann wird ein eisiger Wind die Opernbühne schaurig kalt erwischen.
Puccinis letztes Meisterwerk "Turandot" wird dort als quasi "Rocky-Horror-Picture-Show" zum Fürchten modern und schonungslos psychogrammatisch inszeniert. Keine güldenen Tempel, kein fantasievolles märchenverzauberndes Niemandsland einer gnadenlosen Prinzessin, der es Männer mordend nach immer mehr Blut dürstet.
Nein, Turandot ist kein "Grimm´sches Märchen", bei dem sich der handlungsintensive Horror am Ende in Wohlgefallen auflöst. Und auch die Moral von der Geschichte braucht es nicht, denn Moralvorstellungen sind in dieser anatomisch-psychologischen Interpretation der Charaktere wirklich fehl am Platz.
Stattdessen bekommt der Zuschauer eine traumatisierte Kindfrau auf dem Goldtablett serviert und muss sich damit abfinden, dass diese eigentlich nur aus einem Grund grausige Mordtaten an unschuldigen Männern vollbringt: Sie weiß einfach anders nicht mit ihnen umzugehen!
Ausgetickt in ihrem krankhaften Psychowahn rollen also Köpfe. Und auch das Blut fließt - und gar nicht zu knapp. Was sich der Regisseur Claus Guth dabei wohl gedacht hat?
©Turandot / Wiener Staatsoper
©Turandot / Wiener Staatsoper
Vielleicht, dass Turandot keine überbordend kitschigen Szenen braucht, die von der Grausamkeit einer Frau lediglich nur ablenken wollen und ihr perfides und abgründiges Spiel mit dem Tod nur verharmlosen sollen (es ist doch nur ein Märchen)!
Claus Guth setzt auf schonungslose Realitätsnähe und lässt nicht nur Blut fließen, sondern Köpfe rollen. Geschmacklos erscheint das Ganze auf den ersten und auch auf den zweiten Blick. Irgendwie mag man gar nicht mehr hinschauen, wenn Asmik Grigorians Hand schemenhaft auf der großen Bühnenbildfläche zu erkennen ist, und plötzlich dickflüssiges Blut an ihr klebt, mit dem die reine, weiß Wand alsbald besuhlt wird.
Eklig. Abstoßend, einfach widerlich!
Aber ja! So ist nun mal die Welt, grausam! Potenziert wird der Horror durch die scheinbar jungfräulich unschuldig wirkende Turandot, die im weißen Gewand mit ebenso weißer "Walle Mähne" wie abwesend über die Bühne schreitet.
Könnte diese Frau überhaupt irgendeiner Fliege etwas zu Leide tun. Nun, das ist doch der springende Punkt. Schließlich kann man niemanden hinter die Fassade schauen. Und eine "weiße Weste", die kann man sich ergaunern oder eben einfach auch reinwaschen.
©Turandot / Wiener Staatsoper
©Turandot / Wiener Staatsoper
Dass Jonas Kaufmann alias Calaf überhaupt auf so eine Frauengestalt steht, die ihre Männer wie die "schwarze Witwe" gewissenlos verschlingt, erscheint abstrus und völlig abwegig.
Doch Calaf scheint auch nicht ganz bei Trost zu sein. Besessen von dieser Frau, deren Namen er gefühlt 100- mal ausruft, gerät er in ihren eiskalten Bann und lässt sich unbeirrt auf diese "Wahnsinnige" ein.
Wie besessen hämmert er sogar brutal gegen das große Eingangsportal, das zu Turandots Gemächern führt.
Endlich, so scheint es, hat ein Regisseur es geschafft, diese Wahnsinnsgeschichte kontextuell so zu verhaften, dass sie glaubhaft wirkt und eben nicht wie ein unrealistisches Märchen aus längst vergangenen Tagen anmutet.
Schließlich kann man Brutalität nicht einfach schön und verklärt inszenieren, ebenso wenig, wie man diese doch sehr schrille und untypische Musik Puccinis in einen "goldenen Käfig" sperren sollte.
Und was die beiden Protagonisten anbelangt, so scheinen Asmik Grigorian und Jonas Kaufmann ein perfektes Match zu bilden: Sie die Unnahbare, Unterkühlte und er, der warmherzige Prinz, der alles dafür tun würde, das kalte Herz der Turandot zum Schmelzen zu bringen.
©Turandot / Wiener Staatsoper
Sehr gut kann ich mir vorstellen, dass das Haus am Ersten Ring morgen so richtig beben wird.
Das Wenige, das man gesanglich und darstellerisch im folgenden Videomaterial einsehen und hören kann, klingt jedenfalls sehr vielversprechend und lässt darauf hoffen, dass Asmik Grigorian eine sensationelle Turandot verkörpern wird, während Jonas Kaufmann seine Darstellungskunst als Calaf auch stimmlich auf den absoluten Höhepunkt zusteuern lassen wird.
Ich sage nur "Nessun Dorma"! Wenn diese Inszenierung keine schlaflosen Nächte bereiten sollte, dann weiß ich es auch nicht besser!
©Turandot - Wiener Staatsoper
Ein Auszug aus den aktuellen Vorbereitungen zur Premiere der Neuinszenierung der Turandot mit den Hauptakteuren Jonas Kaufmann und Asmik Grigorian.
©Turandot - Wiener Staatsoper
Der Trailer zur aktuellen Neuproduktion der Turandot an der Wiener Staatsoper mit Asmik Grigorian und Jonas Kaufmann.