26. Mai 2023
Rubrik Oper
©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper
Dialogues des Carmélites, eine Oper von Francis Poulencs, die tief bewegt und so sehr erschüttert, weil gerade die Handlung auf einer Tatsache beruht, die außerordentlich verstörend ist:
16 Nonnen, die ihrem Glauben während der Wirren der Französischen Revolution nicht abschwören wollen, werden als Märtyrerinnen auf dem Schafott eine nach der anderen hingerichtet. Musikalisch höchst eindrücklich und beklemmend traurig instrumentalisiert, schafft es die 1957 uraufgeführte Oper des französischen Komponisten, Gemüter zu erschüttern.
Inszenatorisch verwirrt die bühnenbildliche Komposition allerdings durch ein klosterähnliches Holzkonstrukt mit offenen Wänden, durchlässig und panoptikumgleich.
Immer wieder dreht es sich mit dem Handlungsstrang in die nächste Szene, die von wechselnden religiösen Bildnissen über dem offenen Dachgiebel komplementiert werden.
Doch zu Beginn des ersten Aktes befinden wir uns im Wohnhaus der Protagonistin Blanche de la Force, die hypersensibel und mit großem Schrecken auf jeden Schatten an der Wand und jedes noch so kleine Geräusch reagiert.
Für die lärmend turbulente Welt nicht gemacht, bittet sie ihren Vater, sie in ein nahegelegenes Convent zu entlassen, wo sich Blanche alsbald in die Ordensgemeinschaft der Schwestern einfügt.
Dort begegnet Sie der Mutter Oberin, die sofort ein beschützendes Auge auf Blanche wirft. Doch das "Mutter-Tochter" Idyll hält nicht lange, denn die gebrechliche Priorin erliegt ihrem Leiden und stirbt im Todeswahn.
©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper
©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper
Nun muss Blanche sich mit der neuen Mutter Oberin Marie arrangieren, die gehässig, bösartig und umtrieben ihre Macht demonstriert und kaltherzig ausspielt. In der Ordensschwester Constance jedoch findet Blanche eine Verbündete, ja sogar eine Freundin, die ihr liebevoll und mit einem gewissen Schalk im Nacken, devot und gottesfürchtig, zur Seite steht.
Das Regiewerk von Magdalena Fuchsberger lässt sehr viel Interpretationsspielraum zu. Szenisch festgezurrt ist hier nichts so richtig. Symbolismen, ikonenhafte Bildprojektionen und ein paar wüst-zottelige Maschkera, die das todbringende Unheil heraufbeschwören, beleben immer wieder die Szene.
Treiben Letztere vielleicht sogar den Glauben an das Gute aus?
Philosophisch umtriebig sind in jedem Fall die Dialoge, die existenzielle Ängste, theologische Zweifel und Existenzfragen in den Raum stellen. Der Sinn des Lebens in einer Zeit, die von politisch gefärbten Umbrüchen charakterisiert wird, beschäftigt das Nonnendasein und die damit einhergehende Rolle der Frauen in der klösterlichen Gemeinschaft.
Doch am Ende bringt nichts sie davon ab, stoisch an ihrem Glauben festzuhalten, ihn als Antidote gegen Gewalt und Hass einzusetzen für den Preis, den sie mit ihrem eigenen Leben bezahlen müssen.
©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper
©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper
©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper
Mal wieder hat es die Wiener Staatsoper geschafft, ein grandioses Sänger-Ensemble auf die Bühne zu bringen. Mit Nicole Car als Blanche de la Force, Maria Nazarova in der Rolle der Soeur Constance, Eve-Maud Hubeaux als Mère Marie und Michaela Schuster als Priorin Madame de Croissy, gelingt ein Gesamtkunstwerk, das orchestrale Tristesse mit schauspielerisch-gesanglicher Grandesse vereint.
Allen voran Nicole Car, die in ihre extreme Rolle der jungen, verloren wirkenden Frau überzeugend hineinwächst: Blanche de la Force ist eine hypersensible Persönlichkeit, die voller Angst vor der Welt in den vermeintlich sicheren Hafen des Klosters der Karmeliterinnen flieht, um dort nicht nur Zuflucht, sondern eine Seelenheimat zu finden.
In ihrer besonders charakterlich schwierigen Partie, die nicht nur gesangstechnische Perfektion, sondern einen gleichermaßen hohen Grad an schauspielerischem Vermögen abfordert, zeigt sich die Kunst der Nicole Car von ihrer schönsten, obgleich traurigsten Seite.
Verstört, verängstigst, unsicher und sich dennoch festklammernd an ihrem Glauben, erlebt der Zuschauer eine extreme Persönlichkeit, die hin- und herschwankend im Sturm ihrer eigenen Gefühle mit den Märtyrerinnen gnadenlos untergeht.
Mit ausdrucksstarker vokaler Durchdrungenheit gelingen ambitusreiche Passagen, elegante Phrasierungen, hell schimmernd und duftig leicht. Ihr Timbre ist betörend schön - und das bei einer musikstilistischen Achterbahnfahrt, die der Sängerin stimmlich sehr viel abverlangt.
©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper
©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper
©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper
Besonders zauberhaft erlebt man die Sopranistin Maria Nazarova, die als Soeur Constance mit frechem Esprit ein wenig naiv, aber ausgesprochen liebenswert daherkommt. Ihr Schauspiel ist allererste Sahne, absolut überzeugend und so nah dran am Rollencharakter, dass man förmlich in die berührende Interpretation hineingezogen wird.
Zusammen mit Nicole Car steht ein schwesterliches Traumpaar auf der Bühne. Man muss sie einfach lieb haben diese beiden reizenden Persönlichkeiten, von der die eine mit ihrer quirligen Art und übersprudelnden Heiterkeit ein wenig Licht in die tieftraurige Handlung bringt.
Und auch gesanglich sticht Maria Nazarova aus der Masse deutlich hervor. Vokaler Feinschliff, brillante Höhen, strahlend und von einer leuchtenden Textur ummantelt, noch dazu so elastisch und biegsam: Stunden könnte man der Stimme der zierlichen Sopranistin zuhören, wie sie sich mühelos in die exponiertesten Registerhöhen hinauf schwingt.
Und erst die letzten zaghaften Töne, die mit ihrer Hinrichtung verstummen. Was für ein Drama, wenn wir die verzweifelte Blanche zu ihrer Ordensschwester hinaufblicken sehen, wenn wir beobachten können, dass beide den letzten Blickkontakt so lange zueinander halten, bis dass auch Soeur Contances Leben von einer Sekunde auf die nächste für immer ausgehaucht wird.
©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper
©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper
©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper
Es ist kaum zu fassen, was im letzten Akt auf der Bühne vor sich geht. Das "Salve Regina" singen die 16 Nonnen noch stimmgewaltig, laut und heroisch unisono, bis dass das erste imaginäre Fallbeil eine der Nonnen exekutiert. Zähflüssig verstreichen die nächsten Sekunden, bis auch die zweite, dann die dritte und alle weiteren verbleibenden Nonnen nach und nach der Guillotine zum Opfer fallen.
Immer leiser wird der Chor der Stimmen, wieder rauscht ein Fallbeil auf eine der Nonnen herab und lässt ihren Gesang abrupt verstummen. Am Ende bleibt nur noch eine übrig. Doch auch ihr Gesang bleibt nur ein flüchtiger Gruß an das Leben, verstummt mit allen anderen Stimmen und vergeht in Schall und Rauch.
Stille! Beklemmend und fast unerträglich. Auch wenn einem jetzt zum Applaudieren so überhaupt nicht zumute ist, kann man die Darsteller zu ihrer enorm herausragenden Leistung nur beglückwünschen.
Besonders erwähnenswert sind auch die Rolleninterpretationen von Michaela Schuster und Eve-Maud Hubeaux, die sowohl gesanglich als auch darstellerisch extreme Grenzen ausgetestet haben.
So packend dramatisch und dem Wahnsinn nahe hat man selten eine Priorin sterben sehen. Und Eve-Maud Hubenaux als Mère Marie begeistert als wirklich abgrundtiefe Personifizierung des Bösen.
Bleibt nur noch das Dirigat und ein Bertrand de Billy, der mit äußerster Feinfühligkeit und Sensibilität eine tragische Geschichte orchestral auf den Siedepunkt der Emotionalität gebracht hat.