27. April 2023
Rubrik Oper
©Jörg Landsberg / Staatsoper Hamburg
Wer David Böschs Operninszenierungen kennt, weiß in der Regel, was er an ihnen schätzen kann. Ob nun die Rockabilly-intensive 50er-Jahre Nummer von Wagners epischen Meistersingern an der Bayerischen Staatsoper oder aber die in Donald-Duck-Manier gestaltete Tresorszene in Donizettis belustigender Oper Don Pasquale an der Hamburgischen Staatsoper:
David Bösch inszeniert mit sehr viel Liebe zum Detail und mit ebenso viel Respekt vor der Musik und dem Werkgedanken. Nie wird es einem bei einer von Böschs inszenierten Oper auch nur im Ansatz langweilig, denn der eigenwillige Regisseur versteht es nicht nur, die Operngeschichten immer wieder neu und erfrischend modern auf die Bühne zu bringen, sondern sie niemals auch nur um ein MÜ aus ihren kontextuellen Zusammenhängen zu reißen oder gar komplett zu entfremden.
Ganz im Gegenteil versteht man so auch Mozarts "Entführung aus dem Serail" als eine zeitlose Liebesgeschichte, in der zwei Männer um eine Frau buhlen, der eine chancenlos, aber mächtig und einflussreich: Bossa Selim.
Der andere ein armer Schlucker, der lediglich mit der Kraft seiner ungebrochenen Liebe zu Konstanze das schier Unmögliche wagt und die scheinbar unangreifbare Festung des Bossa Selim mit trojanischer List und intelligenter Tücke einnimmt, um so Konstanze aus den Fängen eines unerfüllten, leidvollen Daseins zu befreien.
©Jörg Landsberg / Staatsoper Hamburg
©Jörg Landsberg / Staatsoper Hamburg
Während wir uns gleich im ersten Akt nach einer orgastischen Haremsnacht dem leidklagenden Bossa Selim gegenübersehen, der zwar nur redend seinen Kummer über seine unglückliche Liebe zu Konstanze kundtut, läuft im Hintergrund auf einer großen Bühnenleinwand ein Comic im Graffiti Stil à la Banksy, der uns die Entführung aus dem Serail in Kurzfassung als "Beinahe-Daumenkino" nahe bringt.
Verniedlicht, auf jeden Fall zauberhaft, flimmern die Protagonisten Bossa Selim, Konstanze, Belmonte, Padrillo und Blonde als zeichentrickverliebte Figuren über die Leinwand. Innerhalb weniger Minuten hat man die komplette Handlung erfasst und kann sich nun auf die darstellenden Sänger fokussieren.
Toll gemacht, lieber Herr Bösch. Sogar ein Kind hätte innerhalb kürzester Zeit begriffen, was die Handlung will und auf den Punkt genau zum Ausdruck bringen möchte, denn aus jeder Pore dringt hier Liebe. Wirklich in allem trägt Liebe die Handschrift und Überschrift - und das auch noch mit ganz viel Spannung, Spiel und... na, Abenteuer!
"Für mich soll´s rote Rosen regnen!" Ja, ein Meer von Rosen projiziert sich immer mal wieder, so zwischendrin, herabregnend auf die Leinwand. Und auch in echt liegen am Boden zerstreut überall Rosen.
Mit Rosen wird in dieser Inszenierung ganz klar verschwenderisch umgegangen, symbolisiert doch die Blume der Liebe schließlich, was Liebe alles kann, nämlich ein pickender Dornenwald und eine erblühende Schönheit zugleich sein.
Und während der Bossa Selim sich aus unerwiderter Liebe mal verzweifelt die Knarre an die Schläfe hält, um sich just in der nächsten Sekunde den Lauf in den Mund zu halten, drehen wir unseren Kopf ein wenig seitlich, um nicht bei einem sich zufällig lösenden Schuss das blutige Malheur mit ansehen zu müssen.
Ja, David Bösch legt die Wunde der Liebe tief. Es sind verzwickte Beziehungskonstrukte, bei den Liebe und Leid rauschhaft beieinanderliegen und sich symbiotisch anziehen.
In dieser Inszenierung erblüht nicht nur die reine, wahrhafte und schöne Liebe, sondern auch das Leid, der Schmerz und die Seelenpein scheinen ebenfalls schmerzhaft stark ausgeprägt zu sein.
©Jörg Landsberg / Staatsoper Hamburg
Und so wird man zwar sehr heftig vom Bühnenwerk vereinnahmt, das sich ohne Weiteres auch hätte "Mozart goes Banksy, goes love" nennen können. Doch ohne seine darstellenden Akteure, die sich mit singender Inbrunst Herz und Gehör des Publikums an diesem Abend erobern, wäre es schlichtweg nur halbfertige Kunst gewesen.
Gleich mit Adela Zaharia, die in der Rolle der Konstanze wirklich und wahrhaftig zu voller Schönheit erblüht, präsentiert sich die Kraft der Kunst in all ihrer vokalen Pracht. Die Stimme der rumänischen Sopranistin ist ein kaleidoskopisches Erlebnis irisierender Klangfarben, die sich dem Höhenrausch des exponierten Registers souverän hingibt.
Nein! Fallen lassen trifft es wohl eher, denn ihre koloraturreichen Läufe kennen keinen doppelten Boden. Waghalsig, mutig und mit dem gewissen Quäntchen Risikofreude begeistert die charismatische Sopranistin ihr Publikum auf eine fast schon hypnotisierende Weise.
Hängt man an ihren Lippen? Definitiv. Auch fiebert man mit, dass wirklich jeder Ton sitzen möge. Doch die Bedenken kommen erst gar nicht auf. Technisch so perfekt wie ein athletisch seiltanzender Akrobat überstrahlen die schillernden Höhen wirklich alles, was jüngst auf der Hamburgischen Staatsoper da gewesen ist.
Kennt Adela Zaharias Stimmapparat überhaupt Grenzen? Scheinbar nicht, denn Limitationen scheinen bei den Stimmbändern kaum vorhanden zu sein.
Es ist wirklich ein absolutes Vergnügen, Adela Zaharia beim Singen zu beobachten und ihr mit höchsten Genuss auch dabei zuzuhören, was man selbstredend auch von ihrem überzeugend authentischen Schauspiel behaupten kann.
©Jörg Landsberg / Staatsoper Hamburg
Solche Lichtwesen braucht es, damit Oper immer öfter zu einem erlebten Faszinosum werden kann.
Ebenfalls auffallend positiv gestaltet Narea Son ihre Rolle als Blonde beziehungsweise blonder Punk. Keck, frech und vorlaut und das auch noch mit einer Vokalpräsenz, die so manch einen Kollegen locker gegen die Wand fegen könnte.
Alle Achtung! Narea Son schauspielert nicht nur gekonnt, gewitzt und sehr präsent, sondern singt auch noch mit Verve, Leidenschaft und einer so perfekten Technik, dass einen Augen und Ohren gleichermaßen übergehen.
Tenoral wird der Zuschauer ebenfalls verwöhnt.
Das verlockend auf Schöngesang getrimmte Vokalinstrument des aus Turkmenistan stammenden Sängers Dovlet Nurgeldiyev trägt problemlos frisch durch alle Akte, ermüdet nicht ein einziges Mal und ist so schön anzuhören, dass man geneigt ist, sich auch mal entspannt in die Untiefen seines Sessels zu versenken und mit geschlossenen Augen einfach nur zu lauschen - auf diese balsamisch hell klingende und angenehm gehörschmeichelnde Stimme.
Bravo, Herr Tenor!
Und was ist mit dem wütenden, axtschwingenden Osmin, der sich als Bewacher Konstanzes versteht und sie nicht einen Augenblick aus den Augen verliert, es sei denn, der gewiefte Padrillo setzt den raubeinigen "Schlächter" mit ein wenig Alkohol außer Gefecht.
Von Thomas Faulkner zum Besten gegeben, gelingt eine bühnenpräsente, charakteristisch vereinnahmende Interpretation der Rolle. Mit ozeanischem und emotionalem Tiefgang kommt der Bösewicht stimmlich konturiert zur Geltung.
Bleibt nur noch der Gärtner, der in dieser Inszenierung nicht der Mörder ist, sondern ein fleißiger Kuppler und Helfershelfer in Liebesdingen: Padrillo.
Ein erheiterndes Stimmchen, das wohltimbriert fließend vor sich dahinplätschert. Überhaupt hat die Cast an diesem Abend samt Chor und Dirigat so vollends überzeugt, dass man sich wirklich überlegen muss, ob der Hamburgischen Staatsoper nicht deutlich mehr Aufmerksamkeit zuteil werden sollte.
Es lohnt sich doch zunehmend, dieses Haus regelmäßiger aufzusuchen, denn viele Sängerperlen liegen tatsächlich dort versteckt und wollen entdeckt werden, auch wenn Sie irgendwie immer auf der Durchreise scheinen.
© Wilfried Hösl /Bayerische Staatsoper
Was macht ein einflussreicher Vater, der einer traditionellen singenden Zunft angehört, die längst schon an Popularität eingebüßt hat und wieder zu neuem Leben erweckt werden soll? Er initiiert einen Gesangswettstreit unter den Meistersingern von Nürnberg und bietet dem Sieger des besten Preisliedes die Hand seiner Tochter Evchen.
©Brinkhoff/Mögenburg
In einer Welt, in der Geld so gut wie alles kaufen kann und dabei sogar noch die Moral besticht, lebt es sich als wohlhabender Don Pasquale angenehm und unbehelligt in den Tag hinein. In David Böschs spritzig frecher Inszenierung des Donizetti-Klassikers an der Hamburger Staatsoper...