22. April 2022
UNAUFGEFORDERTE WERBUNG
©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper
Von Otto Schenk kann man mittlerweile sagen, dass er als Regisseur der Wiener Staatsoper eine institutionelle Koryphäe darstellt, denn seine rokokolastigen, rüschigen, stark angestaubten und irgendwie längst aus der Mode gekommenen Inszenierungen scheinen sich auch noch in das Jahr 2022 gerettet zu haben und bestechen fast schon provokativ mit einer altbewährten Regierezeptur aus dem Neuinszenierungsjahr 1968.
So feierte der Theatertitan mit seinem unverwüstlichen szenischen Werk 2019 sogar die 1000 Aufführung an der Wiener Staatsoper. Und auch 2022 bleibt alles beim Alten. Wie eh und je zeigt sich Richard Strauss Rosenkavalier galant und charmant wie ein märchenhafter Dornröschenprinz.
Nur die zartesten Geschmeide, Samt, Brokat, Spitze und eine große Prise zuckersüße Romantik übergießen das spätromantische Werk des alpenländischen Komponisten mit noch mehr wohlgefällig zeitloser Bühnenopulenz.
Ein starkes Gegenprogramm zum allgemeinen Zeitgeist, der doch fast ausschließlich nur noch moderne Interpretationen, politisch angehauchte Inszenierungen und sozialkritische Betrachtungsweisen zulässt.
Nur Schenk hält vehement und unbeirrbar an der Zeitlosigkeit und ein bisschen auch an den historischen Geschmacksnerven fest, die sich stoisch weiterhin in der digitalen Welt behaupten und ihr frech und aufbegehrend den analogen Kampf ansagen.
©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper
©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper
©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper
Ganz klar beweist Schenk einen ebenso ausschweifend wie ausdauernd langen Atem. Und der Faktor Zeit scheint bei ihm auch keine übergeordnete Rolle zu spielen, obgleich die Marschallin ihrem alternden "Ich" in Form des jungen, unverbrauchten Octavian gegenübersteht.
Jedem Betrachter müsste es da eigentlich wie Schuppen von den Augen fallen, dass eine gewisse Dame in den besten Jahren die Zeichen der Zeit mit einem jüngeren Geliebten blindlings einfach nur wegwischen will.
Was andere Opernregisseure gleich als Basis für einen sozialkritischen Diskurs in den musikgeschwängerten Raum stellen, unterliegt in Schenks Inszenierung absoluter Diskretion.
Ein Techtelmechtel mit einem Jüngeren, ein Leben so ausschweifend wie es nur bei den Reichen und Schönen möglich scheint. Schenk tischt uns eine Heile-Welt-Illusion auf, die wir als ach so süße Pille doch viel zu gerne schlucken.
Und warum eigentlich auch nicht? Die Welt ist schließlich gerade voll von Trümmerhaufen, sozial gespaltenen Gesellschaften und kriegerischen Auseinandersetzungen.
Das Gegenprogramm mit sehr viel leidenschaftlichem Herzschmerz und einer Handvoll Puderzucker obendrauf lindert da so manch eine kleinere oder gar größere Seelennot im Nu.
©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper
©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper
Grandios besetzt erlebt man auch die Darsteller in absoluten Paraderollen, die ihnen in perfekter Maßarbeit für just dieses Bühnenwerk wohl auf den Laib geschrieben worden sind.
Christine Bock als Octavian, Maria Bengtsson als Feldmarschallin, Luise Alder als Sophie und Günther Groisböck als Ochs von Lerchenau führen an diesem Abend ganz selbstverständlich und mit einer gesanglichen Beschwingtheit durch die dreiaktige Oper.
So durchbrechen die ersten erfrischenden Töne im Liebesgemach der Marschallin den orchestralen Klangteppich. Maria Bengtsson mit ihrem jugendlich strahlenden Sopran überzeugt gleich zu Beginn des ersten Aktes mit ihrer lyrisch ausgereiften und dennoch zarten Stimme.
In der Rolle der herrschenden Dame des Hauses changiert ihr Charakter zwischen verspielt leichtsinniger Unbekümmertheit und ernsthaftem Verantwortungsgefühl ihrem Status, ihrer Stellung und ihres Standes gegenüber.
Zwischen zwei Welten hin- und herschweifend, verändert sich auch ihre Klangfarbe, die mal von irisierend verzaubernder Farbintensität, dann wieder von nobler Anmut kühl und kontrolliert in die Atmosphäre entgleitet.
©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper
©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper
Der wilde, ungestüme Octavian, der von der Mezzosopranistin Christine Bock zum Leben erweckt wird, ist voller Leidenschaft und großem Pathos.
Es schwappen die Gefühle haushoch über. Von üppigen mittellagigen Klangwogen bis hin zu zartschimmernden, feinnuancierten Tonalhöhen - aus Bock sprießen die Töne wie aus einem farbensatten bunten Frühlingsstrauss die Blumen.
Und auch schauspielerisch überzeugt die junge Mezzosopranistin auf ganzer Linie. Besonders berührend zeigt sich das ganze Ausmaß der stimmlichen Perfektion im gemeinsamen finalen Duett mit der geliebten Sophie, die von Luise Alder bezaubernd zum Klingen gebracht wird.
Beide Stimmen verschmelzen zu einer tonal farbintensiven Einheit, die sich in einem klangsatten, honigsüßen Guss strahlend verjüngt.
Gänsehautmomente sind hierbei ganz klar vorprogrammiert, so lieblich rein und abgöttisch sphärenhaft verselbstständigen sich die ausgesprochen zart timbrierten Stimmen mit jedem Ton leicht flackernd im Auditorium.
©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper
Günther Groisböck als einziger "Ochs vorm Tor" zieht an diesem Abend alle Trümpfe, die man als liebestrunkener Gockel wohl ziehen kann.
Polternd, unmanierlich, grobklotzig und so wenig weltmännisch wie man ungehobelt sein kann, genauso tölpelhaft wie es eben nur ein Hornochse ist, so elefantös benimmt sich auch der großartige österreichische Bass und zerdeppert fast die zarten Liebesbande, die sich um den Rosenkavalier und seine Sophie spinnen.
Stimmlich von ausufernd ozeanischer Tiefe steigt man mit Groisböck immer wieder hinab in die Untiefen des tonalen Weinkellers und erlebt ein Stimmorgan, das stark sonor von extremer vokaler Reife und einem vollmundigen Timbre ist, dass man sich wie in einer weichen Sofalandschaft nur allzu gerne darin versenken möchte.
Seine ausgesprochen präzise Diktion und die astreine Dialektik tun ihr übriges, dass man sich mit Herrn Lerchenau recht wohl fühlt, auch wenn man weiß, dass dieser impertinente Schürzenjäger schon dem nächsten Liebesabenteuer hinterherjagt.
©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper
©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper
Doch am Ende wird alles gut! Octavian bekommt seine geliebte Sophie, der Ochs von Lerchenau geht leer aus, bleibt aber letztendlich unbehelligt und kann somit seinen amorösen Verpflichtungen weiter nachkommen.
Einzig die Marschallin muss sich großmütig zeigen, ihrer Jugend endlich "Adé" sagen, um so Raum für zwei jungen Menschen in der Blüte ihres Lebens zu schaffen.
Nun ja, die Zeit spielt vielleicht keine übergeordnete Rolle in Schenks opulent historischer Inszenierung. Und dennoch ist sie am Ende reif... tja, für was eigentlich? Wohl für etwas Neues?
Mit Philippe Jordans umsichtigen Dirigat, das unangestrengt und leichtfüßig wirkt, verhallen die letzten Akkorde des Richard-Strauss-Klassikers, der im Laufe des dreiaktigen Bühnenmarathons immer wieder für herrlich stimmungsvolle walzerselige Dreivierteltaktmomente gesorgt hat.
©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper
Wer hat an der Uhr gedreht? Tatsächlich dreht sich in der Neuinszenierung des Rosenkavaliers an der Bayerischen Staatsoper recht viel um eine alte Standuhr...