Weltpremiere von The hours: ein packendes Frauendrama an der MET in New York

11. Dezember 2022

Rubbrik Oper

©Marty Sohl / Met Opera New York

Drei Frauenschicksale, drei Leben, drei Epochen, verknüpft zu einem einzigartigen Gesellschaftsepos über die Sinnhaftigkeit des Lebens, die Stellung der Frau im Damals und Heute und die Frauenrechte als solches.

 

An der Metropolitan Opera in New York hat sich der Pulitzer-Preisträger Kevin Puts der kompositorischen Herausforderung angenommen, den im Jahr 1998 publizierten Roman "The Hours" des Schriftstellers Michael Cunningham in ein musikalisch tiefgründiges Meisterwerk zu verwandeln.

 

Im Mittelpunkt der uraufgeführten Oper stehen die Schriftstellerin Virgina Woolf, die Hausfrau Laura Brown und die Lektorin Clarissa Vaugham, deren Lebens- und Zeitgeschichten nicht divergierender sein könnten.  

 

Während Virginia Woolf verzweifelt an ihrem Erstlingswerk "Mrs. Dalloway" herumlaboriert und sich bereits dabei scheitern sieht, erleben wir Dekaden später eine Hausfrau der 50er-Jahre, die sich just in der Fiktion der Schriftstellerin verliert und davon träumt, ein Leben in Unabhängigkeit und Freiheit führen zu dürfen.

 

Eng verknüpft mit der Geschichte des Romans ist auch die Lektorin Carissa Vaugham, die beängstigend starke Parallelen zu Mrs. Dalloway aufweist, obgleich sie die vielleicht progressivste Helding der Geschichte ist.

 

Alle drei Protagonistinnen scheinen in Virgina Woolfs Erstlingswerk Anknüpfungspunkte zu finden. Alle drei Frauenschicksale zeigen frappierende Parallelen auf, die so aktuell und zeitunabhängig sind wie die Ängste, mit denen sich Frauen nach wie vor herumschlagen: Sich selbst und anderen nicht zu genügen. Am Leben und an sich selbst zu scheitern. Nicht autonom und selbstwirksam zu sein. Und der leisen Ohnmacht, dem Patriarchart auf ewig unterjocht sein zu müssen.

 

©Marty Sohl / Met Opera New York

Joyce DiDonato, René Flemming und Kelly O´Hara sind in dieser herausragenden Opernproduktion idealbesetzt, zumal die schauspielerischen Anforderungen den Künstlerinnen auf der Bühne eine Menge abverlangen. Dabei gehören eine überzeugende, authentische Charakterdarstellung ebenso dazu, wie eine ausgeprägte gesangliche Exzellenz, denn die Musik erschließt sich dem Zuhörer nicht auf Anhieb.

 

Wenige melodiöse Kantilenen, dafür umso mehr monologisierte Phrasen und tonale Selbstgespräche, die kaum als arios bezeichnet werden können.

 

Diese Oper ist eine Aneinanderreihung emotionaler Temperaturen, vielschichtig zwar, dafür nicht sonderlich eingängig und musikstrukturell schwer nachzuvollziehen.

 

Und dennoch fühlt man sich als Zuhörer vollständig hineingezogen in die innere Welt dieser drei Frauen, die so leer, so trost´- und hoffnungslos ist wie das tonale Stimmungsbarometer, das immer und immer wieder in melancholisch grau-marmorierte Klangwelten ausschlägt.

 

Trübsinnig wird einem zumute, wenn man den Erzählungen über die angstbesetzten Zweifel, die misslungenen Lebensentwürfe und das unzumutbare Elend des selbstauferlegten Ehediktats aufmerksam lauscht.

 

©Marty Sohl / Met Opera New York

©Marty Sohl / Met Opera New York

Obgleich alle drei Frauenfiguren gleich stark interpretiert werden und durch ihre künstlerischen Interpretinnen zu vokaler Hochform auflaufen, bleibt einem insbesondere die Rolle der Hausfrau Laura Brown prägnant im Gedächtnis verhaftet.

 

Gefangen in einem Familienkonstrukt, in dem das Vorzeigemodell eines "Stepford Wife" nach außen hin adrett, geschniegelt und gestriegelt wirkt, immer ein fröhliches Lächeln auf den Lippen hat und sich liebevoll umsorgend um den Sohn und die häuslichen Bedürfnisse ihres Ehegatten kümmert, erahnt man dennoch relativ schnell, wie diese Frau innerlich in ihrem goldenen Käfig zerbricht, der ihr null Freiheiten einräumt und sie noch dazu verdammt, pflichtbewusst die perfekte Hausfrau, Mutter und Ehefrau zu mimen.

 

Die Inkongruenz zwischen Lebenstraum, Wunschvorstellung und der nackten, schonungslosen Realität, die keinen Raum für Kompromisse zulässt, ist so spannungsintensiv, dass der innerlich zerrissenen Hausfrau nichts anderes übrig bleibt, als die Reißleine zu ziehen und aus der unerfüllten Ehegemeinschaft, in der sie seelisch schonungslos vor die Hunde geht, auszubrechen.

 

Kurz holt man Luft, weil man tatsächlich nachvollziehen kann, wie diese Frau leidet, wie sie sich missverstanden, deplatziert und identitätslos in einer Welt bewegt, die wirklich nicht die ihre ist.

 

Dass diese Frau am Ende auch ihr Kind für eine neugewonnene Freiheit aufgibt, schockiert im ersten Moment gewaltig und lässt das Bild einer fahnenflüchtigen Deserteurin in einem allzu grausamen Licht erscheinen.

 

©Marty Sohl / Met Opera New York

©Marty Sohl / Met Opera New York

Und auch der gescheiterte Selbstmordversuch der Schriftstellerin Virgina Woolf lässt in die tiefen Abgründe der weiblichen Seele blicken. Ungenügend und wertlos, weil kein Wort auf das leere Blatt Paper fließen will, so sieht die Künstlerin ihre kreativen Felle davonschwimmen - und damit zugleich ihren eigenen Wert als Frau und Mensch in Frage gestellt?

 

Kenvin Putts ist ein großartiges musikalisches Portrait dreier Frauen gelungen, die sich im gesellschaftlichen Strudel normativer Regeln und Rollenmuster verheddern und dabei immer wieder aufs Neue um ihr Wirken und um ihre Daseinsberechtigung kämpfen, jede mit ihren eigenen Mitteln.

 

"Ich versuche zu sein!", so singen alle drei am Schluss unisono, wollen sie doch wie jeder andere Mensch einen Fußabdruck auf dieser Welt hinterlassen und sich zudem als Frau respektiert, toleriert und gleichberechtigt fühlen dürfen.

 

The Hours, ein meisterlich inszeniertes Werk, das die ganze musikalische Bandbreite einer Gefühlswelt offenbart, die in so vielen Frauenseelen tief und leider auch oftmals unauffindbar begraben liegt.


©Met Opera New York

Ausschnitt aus dem zweiten Aufzug der Oper "The Hours" mit Joyce DiDonato als Virginia Woolf in ihrer Wahnvorstellung vom Ende, ihrem Ende.

 

©Met Opera New York

Kyle Ketelsen spielt den erwachsenen Sohn der Hausfrau Laura Brown und interpretiert nicht nur darstellerisch, sondern ganz besonders gesanglich seine Rolle perfekt. Im gemeinsamen Auftritt mit der Sopranistin René Flemming singt er sich in einen verzweifelten Rausch, denn er wollte als Schriftsteller doch etwas besonders Gutes schreiben.


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