07. Juni 2022
Rubrik Oper
©Brinkhoff/Mögenburg
In einer Welt, in der Geld so gut wie alles kaufen kann und dabei sogar noch die Moral besticht, lebt es sich als wohlhabender Don Pasquale angenehm und unbehelligt in den Tag hinein.
In David Böschs spritzig frecher Inszenierung des Donizetti-Klassikers an der Hamburger Staatsoper fallen am Premierenabend provokativ die rosa Spitzenhüllen, wird verschwenderisch mit Bergen von Geldscheinen um sich geworfen.
Und der Überraschungseffekt: Im Zentrum des progressiven Regiewerks steht nicht, wie vermutet, der einflussreiche alte Mann, sondern die raffinierte, aber mittellose Norina, die sich ganz flugs in einer Nacht-und Nebel-Aktion den reichen Don Pasquale schnappt, um sein Vermögen sogleich mit vollen Händen auszugeben.
"Kapitalismus für alle" steht ganz laut zwischen den Zeilen der szenischen Interpretation, die sich so charmant und keck in den Vordergrund drängt, dass man beinahe schon über den Irrsinn unserer kapitalistisch geprägten Gesellschaft schmunzeln muss.
In einem überdimensionierten Tresor auf einem großen Geldhaufen sitzend genießt Don Pasquale gleich zu Beginn des 1. Aktes seinen unermesslichen Reichtum.
Parallelen zu Dagobert Duck scheinen nur allzu offensichtlich, obgleich der monetär übersättigte Mann von Welt sich nicht einmal die Mühe macht, eine Runde in seinem Geldhaufen zu schwimmen.
©Brinkhoff/Mögenburg
©Brinkhoff/Mögenburg
Doch ob er nun auf dem Geld sitzt oder darin schwimmt. Die szenisch versinnbildlichten Redewendungen treffen so dermaßen ins Schwarze, dass die Werte des Kapitalismus aufs Genaueste porträtiert und so konturiert herausgearbeitet werden, dass es beinahe schon schmerzt.
David Bösch scheint die moderne Gesellschaft mit ihren materiellen Anhäufungen und Errungenschaften nicht nur "Opera bufferesque" aufs Korn zu nehmen, sondern in einem übertriebenen Zerrbild der Realität schonungslos der Lächerlichkeit auszusetzen.
Massiv überlagert wird all das nur noch vom rauschhaften Konsumzwang, dessen sich Norina wie einer devot praktizierten Religion hingibt. Klamotten über Klamotten. Pakete über Pakete mit der Aufschrift "xalando". Welcher Internetgigant könnte sich in der realen Welt wohl dahinter verbergen?
Ob Partys, Status, Konsum, alles dreht sich in Norinas kleingeistigem Kosmos um Scheinwelten, Banalitäten und Oberflächlichkeiten.
Für den tieferen Sinn des Lebens scheint gerade mal so viel Platz zu sein, wie in den liebeslustigen Chatverlauf einer abgespeckten What´s App Nachricht hineinpasst.
Willkommen in der hochtechnologisierten Welt der Zukunft. Willkommen in der emotionslosen Geld- und Menschen verbrennenden Maschinerie des Kapitalismus.
©Brinkhoff/Mögenburg
©Brinkhoff/Mögenburg
©Brinkhoff/Mögenburg
©Brinkhoff/Mögenburg
Was für ein Glück, dass am Ende dennoch jeder kriegt, was er verdient und auch die Liebe nicht am langen Selfie-Arm verhungern muss.
Alles wird gut, auch wenn das Kapital weiterhin die Welt regieren wird, so kann es sich Gefühle um der Liebe Willen dennoch nicht erkaufen.
Wenn das die Moral von der Geschichte sein soll, dann hat David Bösch auf intelligent humorvolle Weise ein wunderbares Exempel für eine moralisch unantastbare Gesellschaft statuiert, die nicht bereit ist, alles für materiellen Status zu opfern, schon gar nicht die Liebe.
Mit dem italienischen Bariton Ambrogio Maestri hat sich die Hamburger Staatsoper an diesem erinnerungswürdigen Premierenabend einen besonders großen Gefallen getan. In der Protagonistenrolle des Don Pasquale überzeugt der Kellermeister der baritonalen Untiefen mit ausgesprochenem Witz und intelligenter Komik.
Ob auf dem Drahtesel sportelnd oder gar den verliebten Gockel spielend, Maestri ist in allen schauspielerischen Belangen multifacettiert und ausgesprochen bühnenpräsent.
Gesangliche Ozeane tun sich auf, wenn der korpulente Italiener luftschöpfend ausholt, um sich gleich darauf kraftvoll in die tiefen Tonalregister zu versenken.
Fast beißt sich der Schrank von einem Mann klangvoll in ihnen fest. Zumindest aber steht felsenfest: Der Bariton mit der überschwappenden Klangfülle hat einen gesanglich so gewaltigen Biss und ein gleichermaßen vervenhaftes Durchhaltevermögen, dass selbst der marathonverdächtige Weltrekordversuch im Schnellsingen alles überbietet, was das Stimmvermögen des gemütlich wirkenden Opernsängers im vermeintlich ruhenden Zustand hergibt.
©Brinkhoff/Mögenburg
©Brinkhoff/Mögenburg
Danielle de Niese, die in der charakterstarken Rolle der Norina ganz besonders darstellerisch überzeugt, muss sich hingegen gesanglich unheimlich anstrengen, um mit der Stimmpotenz- und Qualität des Italieners mithalten zu können.
Eigentlich täte genau das noch nicht einmal not, würde sich die australische Sopranistin nicht so angestrengt und gequält in die exponierten Höhen schrauben müssen.
Etwas zu schrill, gepresst und forciert schallt es genauso metallisch scheppernd in den Wald, wie es gleichsam tönend aus ihm heraus donnert.
Die raffiniert prickelnden Koloraturen klingen aus de Nieses Mund schwammig, unsauber und leider sehr undifferenziert verblendet.
Mühevoll und bemüht, so als wäre jedes koloraturintensive Aufbäumen ein absoluter Kraftakt, scheint die australische Sopranistin nicht vollends "Herr" über ihr mittellagig vollmundiges Vokalinstrument zu sein. So jedenfalls sollte Schöngesang nicht klingen und Spitzentöne sollten spitze tönen.
Darstellerisch hingegen verliebt man sich auf den ersten Bühnenblick in die kesse und offensichtlich sehr temperamentvolle Rolleninterpretin.
Anfänglich noch verschämt, dann zunehmend kühner, ausgebuffter und mit einem eiskalt kalkulierenden Selbstbewusstsein ausgestattet, manövriert sich die Rollendarstellerin durch die tümpelhaften Gewässer der Geld regierenden Männerdomäne und krempelt mit nur einem Fingerschnipsen die auf wackeligen Säulen manifestierte Machtzentrale des Don Pasquale auf links.
©Brinkhoff/Mögenburg
Und plötzlich steht die Welt der schöpfenden Herrscher kopf. Dottore Malatesta alias Kartal Karagedik, der die ungleiche Liaison der Norina mit Don Pasquale eingefädelt hat, sieht sich nunmehr verdattert zwischen den Stühlen der toxischen Beziehung stehen.
Was nun?
Äußerst glaubhaft verkörpert das Ensemblemitglied der Staatsoper Hamburg die komische Partie des übereifrigen Verkupplers. Gesanglich geschmeidig, wendig und koloratursicher besticht die leicht vibratolastige Stimme mit gaumiger Saturation.
Zwar längst nicht so bassig eingefärbt wie Maestris sonores Organ, dafür deutlich leichter und angenehm belcantistisch klingend, hört man sich die trällernde Nonchalance der komischen Figur, die der Dottore so manches Mal abgibt, mit Vergnügen ganz hörgenüsslich an.
Auch der verliebte, vor Liebessehnsucht nach seiner Norina dahinkränkelnde Levy Sekgapane in der Partie des Ernesto überzeugt als Bühnendarsteller ungemein. Sich vor Leidenschaft und Liebeskummer verzehrend, sieht man ihn ungeduldig What´s App-Nachrichten an seine Angebetete schreiben.
Gesanglich sehr hell eingefärbt, verlautbart sich das Vokalinstrument des afrikanischen Tenors mit einem jugendlichen, um nicht zu sagen, recht infantilen Timbre.
Das kann, aber muss nicht unbedingt gefallen. Technisch sitzt die Stimme punktgenau und lässt sich in jedem Fall sehr gut hören.
Temporeich, sprudelnd und voller irisierend süffiger Klangfarben mäandert das komische Werk des Komponisten Donizetti durch die belcantistischen Traumwelten der Opera buffa.
Unter der musikalischen Leitung von Matteo Beltrami gelingt an diesem Abend etwas musikalisch Erfrischendes, das noch lange nach Ende der Vorstellung im Gedächtnis und Gehörgang wie überschäumende Champagnerperlen vor sich hin prickelt.
©Staatsoper Hamburg / Video über youtube zur Verfügung gestellt
Wer hat den "Don Pasquale" an der Hamburger Staatsoper noch nicht live erlebt? Kein Problem, denn auch der Trailer gewährt kurze, aber knackige Einblicke in die spannungsgeladene Komödie mit Happy End.
©Staatsoper Hamburg / Video über youtube zur Verfügung gestellt
Die beiden Hauptprotagonisten Danielle de Niese und Levy Sekgapane sprechen ausführlich über die Moral von der Geschichte und geben persönliche Einblicke in die Interpretation ihrer Rollen.