Queen of Drama Sondra Radvanovsky brilliert als Amok laufende Medea an der Met

25. Oktober 2022

Rubrik Oper

©Marty Sohl / Met Opera

Eine Frau am Boden zerstört! Medea ist die tragische Antiheldin der griechischen Mythologie, die in der Neuinszenierung des schottischen Regisseurs David McVicar an der Metropolitan Opera in New York eine odysseenhafte Leidensgeschichte durchläuft, bei der einem buchstäblich Hören und Sehen vergeht.

 

Rache schwörend stielt sich die vom Ehemann verstoßene, unliebsame und gedemütigte Medea alias Sondra Radvanovsky an den Hof von Korinth, um mit mörderischer List und subtiler Heimtücke die kurz bevorstehende Hochzeit ihres Mannes mit der neuen Frau an seiner Seite zu vereiteln.

 

Klagend kämpft die Seelengeschundene und sozial Gebrandmarkte zu Beginn um ihre verlorene Liebe und wird entgegen aller Liebesmüh gnadenlos wie ein räudiger Hund brutal vom Hof gejagt. Mann und Kinder wird sie nie wiedersehen. Verbannt von allem gesellschaftlichen Wirken, verstoßen und bis ans Ende ihrer Tage in Einsamkeit zubringend keimt der Galle Gift in der Geächteten hoch.

 

Ein bitterböser Plan reift nun in Medea heran und verwässert sogar die Liebe zu ihren beiden Kindern. Hin- und hergerissen zwischen Mutterliebe, Vergeltung und Hass obsiegt am Ende die blinde Rage und Zerstörungswut, mit der Medea ihre eigenen Kinder, die Frau des einst geliebten Mannes, sich selbst und ein ganzes Königreich dem Untergang weiht.

 

©Marty Sohl / Met Opera

©Marty Sohl / Met Opera

©Marty Sohl / Met Opera

©Marty Sohl / Met Opera

David McVicars Inszenierung um eine Verstoßene der Gesellschaft, die um ihren sozialen Status, ihre menschlichen Errungenschaften und ihre Existenz beraubt wird, zeichnet ein messerscharfes Porträt einer Amokläuferin, die aus der schieren Verzweiflung der Aussätzigkeit heraus keinen anderen Ausweg mehr sieht, als alles zu zerstören, was ihr einmal lieb und teuer war.

 

Denn wenn ein Mensch nichts mehr zu verlieren hat, weil er bereits alles samt seiner Restwürde verloren hat, kann das Chaos der Gewalt unkontrolliert Besitz ergreifen und so in eine willkürliche Affekthandlung mit Blutbad umschlagen.

 

Äußerst schockierend macht uns McVicar klar und deutlich, dass diese mythologische Geschichte nur allzu real und aktuell ist und keinesfalls einer grausamen Märchenerzählung aus der fernen Vergangenheit entspringt.

 

Vor dem szenischen Hintergrund einer feudalen Gesellschaft, die an einer üppig gedeckten Tafel der Völlerei erliegt und vor korporaler und geistiger Übersättigung kaum noch einen Gedanken für die marginalisierten Randgruppen der Gesellschaft erübrigen kann, dringt Medea als Vertreterin genau dieser sozialen Minderheit in das vermeintlich heile Idyll ein.

 

Extreme Kontraste schaffend, gesellschaftskritische Anspielungen evozierend und ein Konfliktpotenzial innerhalb eines bereits instabilen, dysfunktionalen Gesellschaftssystems heraufbeschwörend, führen zum unausweichlichen Untergang eines menschenverachtenden Systems, das zum Scheitern prädestiniert ist und lediglich den letzten Tropfen benötigt, der mit Medeas Erscheinen das Fass zum überlaufen bringt.

 

©Marty Sohl / Met Opera

©Marty Sohl / Met Opera

©Marty Sohl / Met Opera

Szenisch brillant zum Leben erweckt schwelgt man in historiengetreuer Kostümopulenz à la Jane Austen, nur nicht in die Zeitepoche der griechischen Antike versetzt.

 

Doch die epochale Verschiebung in ein jüngeres Jahrhundert tut der Handlungslogik keinen nennenswerten Abbruch. Ganz im Gegenteil: Klassisch, zeitlos und extrem atmosphärisch, so wird man szenisch gleich zu Beginn in die temporeiche, spannungsgeladene Handlung hineingezogen, die Mystik versprüht und sogar mit düsteren Elementen des Gothic-Kults liebäugelt.

 

Wüsste man es nicht besser, so könnte man durchaus meinen, McVicar hätte sich von einem Horror-Schocker als Vorlage für seine apokalyptisch infernale Inszenierung inspirieren lassen.

 

Großartig und raumöffnend scheint auch die Idee einer Spiegelwand zu sein, die das Bühnengeschehen aus der Vogelperspektive reflektiert und dem Werk eine zweidimensionale Sichtweise verpasst, die das Handlungsgeschehen dynamisch noch intensiver verdichtet.

 

Zumindest hat man das Gefühl, einen kinematografischen Abriss omnipräsent an einem vorbeiflimmern zu sehen und sich dabei stets mittendrin im bewegten Auge des Thrillersturms zu befinden.

 

©Marty Sohl / Met Opera

©Marty Sohl / Met Opera

©Marty Sohl / Met Opera

Brillant, um nicht zu sagen genial erlebt man die US-amerikanische Sopranistin Sondra Radvanovsky in einer der wohl dramatischsten Rollen des Opernfachs, wenn nicht sogar in einer der charakterstärksten Rollen des Musiktheaters überhaupt.

 

Tief beeindruckend interpretiert die Sängerdarstellerin die Zerrissenheit, die ohnmächtige Wut und den tobenden Hass der Medea, die am Ende von ihren negativen Gefühlen zerfressen wird und das schier Unvorstellbare tut: sich und ihre Familie samt Königreich auszulöschen.

 

Wie Sondra Radvanovsky diese körperlich und gesanglich hochanspruchsvolle Marathonrolle in darstellerisch und vokalathletischer Perfektion beherrscht und quasi den zweiten und dritten Akt nahezu im Alleingang meistert, bleibt mir ein übergroßes Rätsel.

 

Doch die Faszination, das Brennen für diesen schwierigen Rollencharakter treibt die Königin des dramatischen Fachs zu fast schon übermenschlichen Höchstleistungen an: Ausdauernd, agil und mit einer vervehaften Energie ausgestattet, die mitreißt und einem den Puls so hochtreibt, dass man das Adrenalin durch seine Adern rauschen hört, erklimmt Sondra Radvanovsky den schwindelerregenden Gipfel des Sängerolymps mit waghalsiger Risikofreude.

 

Bis zum Schluss hängt man an Radvanovskys Darstellung, an ihren Lippen hängt man sowieso von der ersten Sekunde an. Ob in leidender Melancholie, hysterischem Zorn oder ekstatischem Hass. Die gesammelte Palette aller negativen Gefühlszustände werden vokal passgenau bedient. Dabei stört es auch nicht, dass die Perfidie sich zuweilen in der Stimme wohl dosiert Raum verschafft und eine klangfarbliche Hässlichkeit hervorblitzen lässt, die einmal mehr zeigt, was Stimmbeherrschung auch noch alles kann. 

 

©Marty Sohl / Met Opera

©Marty Sohl / Met Opera

©Marty Sohl / Met Opera

Denn dass die Sopranistin mit den multifacettierten Klangfarben auch den Schöngesang beherrscht, merkt man, wenn sie sich nahezu lyrisch in der Hoffnungslosigkeit ihres melancholischen Ichs mit hauchzarten Pinanissimi ergibt.

 

Von irisierend weichem Körper, betörend und zirzenhaft schimmert genau dann das in der warmgoldenen Mittellage verankerte Stimmmaterial dahin. Schrill, hysterisch und metallisch scharf durchdringt die Sopranistin an höherer Stelle die Schallmauer der exponierten Spitzentöne und setzt damit großartige Akzente.

 

Schreiend singt sie, singend schreit sie, lamentiert, resigniert und erliegt auch immer wieder ohnmächtigen Hasstiraden. Es ist phänomenal und fast nicht zu begreifen, wie eine Stimme eine Vielzahl verschiedenster emotionaler Aggregatzustände an einem Abend produzieren kann und dabei so packend und ergreifend zugleich agiert, dass es einem jedes Mal heiß und kalt den Rücken herunterläuft.

 

Im Ernst: Wer soll diese einzigartige Interpretation noch toppen können?

 

Eine wahrhaft berechtigte Frage, insbesondere, wenn man bedenkt, dass sich die Met bei ihrer Auswahl der Rolleninterpreten nie mit der zweitbesten Wahl zufriedengibt. Nur die erste Garde, die Fettaugen auf der Hühnersuppe, die Crème de la Crème - mit weniger lässt sich das größte Opernhaus der Welt nicht abspeisen.

 

©Marty Sohl / Met Opera

©Marty Sohl / Met Opera

Und so verwundert es auch kaum, dass alle weiteren Rollen mit Sängergrößen wie der Mezzosopranistin Ekaterina Gubanova, dem Tenor Matthew Polenzani und dem Bariton Michele Pertusi besetzt werden.

 

Auch wenn diese vergleichsweise kleiner ausfallen, so zeigt sich in der gesanglichen Kürze des Auftritts ebenfalls eine raffinierte Würze. Zu überbieten ist die Sängercrew jedenfalls nicht. Sie hat Klasse und gehört zu den international führenden Athleten des klassischen Gesangs.

 

Virtuos gestaltet sich auch das Dirigat des Italieners Carlo Rizzi, der mit der Musik des Komponisten Luigi Cherubini meisterliche Perfektion aus dem Orchestergraben herausholt.

 

Weniger untermalend als vielmehr begleitend und als orchestrales Stimmungsbarometer fungierend, schafft es das differenzierte Dirigat Rizzis, dem musikalischen Werk Kontur und Ausstrahlung zu verleihen. Als Barockoper im Jahr 1797 in Paris uraufgeführt, erlebt man an diesem Abend eine Musik, die so progressiv, zeitlos und fast schon modern erscheint, dass man sie überhaupt nicht im Barock verhaftet sieht.

 

Als kompositorische Wandlerin zwischen den Welten der klassischen und romantischen Epoche hört man sowohl Beethoven als auch Wagner aus Cherubinis Meisterwerk heraus und staunt mit offenen Ohren, wie das wohl möglich sein kann?

 

Medea: Eine Oper, die vollends überzeugt und in dieser Künstlerkonstellation einfach nur süchtig macht.


©Met Opera New York

Eine kleine Geschmacksprobe von Cherubinis Oper Medea bietet der Trailer der Metropolitan Opera New York. Kurz und abstrahierend wird ein Rundumriss in musikalischer, szenischer und handlungsweisender Manier gemacht. Eine gelungene Zusammenfassung eines außerordentlich hochdramatischen Meisterwerks. 

 

©Met Opera New York

Aus dem Leben einer Diva: Die Met gibt erstmals Einblicke in den arbeitsintensiven Alltag und die probenreiche Arbeit der Sopranistin Sondra Radvanovsky.


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