Passgenau auf den Leib geschneidert: Jonas Kaufmann als Peter Grimes an der Bayerischen Staatsoper

30. September 2022

Rubrik Oper

©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper

Wie lebt es sich, wenn man als kauziger, verschroben andersartiger Mensch in einer Gemeinde sein Dasein fristen muss, die sich bigott in ihrer kleinen spießbürgerlichen Welt scheuklappenartig verhält und außer festgelegter Dogmen keine tellerrandlosen Meinungsbilder zulässt, als die eingefahrenen Überzeugungen, von denen nur die kleinste Abweichung einer Gotteslästerung gleichkäme.

 

Vereinsamt und mit sich, dem Meer und lediglich einem engen Freund und einer fürsorglichen Dorflehrerin im Reinen durchlebt Jonas Kaufmann als Peter Grimes in Benjamin Brittens gleichnamiger und sehr polarisierender Oper eine menschliche Odyssee, die ihn zu guter Letzt an den Rand des Wahnsinns und in seiner ausweglosen Verzweiflung in den ebenso einsamen Tod treibt.

 

Ob der Regisseur Stefan Herheim in dieser realitätsnahen Inszenierung sein Augenmerk wohl mehr auf die gesellschaftlichen Zwänge, die Konformitäten einer normativen Mehrheit legt oder aber Einsamkeit und Alleinsein in einem direkten Dialog mit dem Einzelkämpfertum des Peter Grimes stehen?

 

Fakt ist: Einfach alles macht in dieser Inszenierung Sinn, denn Andersartigkeit, Abgrenzung und Nonkonformität führen immer wieder auf den steinigen Pfad menschlicher Isolation und damit unumgänglich in die Einsamkeit. Wer sich nicht anpasst, nicht zu einer Gemeinschaft dazugehören will oder aber so verquert von der Norm abweichend ein Leben führt, das sich nicht mit den gesellschaftlichen Standards vereinbaren lässt, muss wohl oder übel auf grausamste Weise geächtet, ausgestoßen und mental gequält werden.

 

©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper

©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper

©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper

Dass es in so einer hochbrisanten Konstellation nur wenige Wegbegleiter gibt, die sich in Toleranz, Nächstenliebe und Aufopferung gegen alle gesellschaftlichen Widerstände stark machen, ist auch nichts Neues.

 

Gesellschaften funktionieren anscheinend nur konform, wohl auch aus Angst vor dem Unbekannten, den Grenzüberschreitungen und dem Wagnis, seinen Geist womöglich strecken zu müssen, um sich auf Neues, Unerprobtes und Risikoreiches einzulassen.

 

Welch unkalkulierbares Wagnis, das man im weitesten Sinne auch immer für sein Gegenüber eingehen muss - und dann noch bei einem Mitmenschen, den man absolut nicht kennt. Und eben, weil man ihn nicht kennt, weder einschätzen noch wertschätzen kann für das, was ihn eventuell fremd, exotisch, unberechenbar und dennoch besonders und einzigartig  macht, schließt man ihn vorsichtshalber gleich per se aus der vermeintlich starken Gemeinschaft aus.

 

Nichts ist bequemer und unkomplizierter als das Fremde auszublenden, es erst gar nicht in sein Leben zu lassen und es einfach an den Rand der Gesellschaft zu drängen, bis es dort, wo es verortet wird, über den Tellerrand fällt und nicht mehr gesehen ward. So schnell lösen sich Probleme.

 

Herheim beleuchtet das perfide Konstrukt einer eingeschworenen Dorfgemeinschaft, die sich im subtilen Kampf für die Demoralisierung des Fischers Peter Grimes stark macht, sodass diesem am Ende nichts anderes bleibt, als sich im Freitod auf hoher See von der grausamen Ungerechtigkeit der Menschheit zu erlösen.

 

©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper

©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper

©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper

In einer Traumpartie, die dem gebürtigen Münchner Jonas Kaufmann passgenau auf den Leib geschneidert scheint, erlebt man als Zuschauer eine intensive, facettenreiche Ausgestaltung des schwierigen, äußerst wechselhaften Rollencharakters Peter Grimes.

 

Bis ans Limit der emotionalen Gefühlspalette mäandert Kaufmann durch die sowohl stürmisch aufbrausenden Wogen düsterer und jähzorniger Empfindungen als auch durch die sanftmütigen, melancholischen und zum Teil apathischen Emotionswellen eines verklemmt schüchternen Zeitgenossen, der sich eigentlich nichts anderes erträumt, als einfach nur seinen rechtmäßigen Platz im Leben der Gesellschaft zu finden, ohne sich dabei verbiegen zu müssen.

 

Gesanglich strahlt der Barde mit dem baritonal eingedunkelten Klangschmelz leuchtend hell an diesem Abend. Anders als Stuart Skelton, der mit großer dynamischer Wucht noch im März 2022 den überzeugend polternden Seebären gab, zeigt sich Jonas Kaufmann seinen Zuhörern hingegen vokal differenziert und von magisch elektrisierender Strahlkraft.

 

Lupenrein strömt die Stimme, mäandert im rauschend irisierenden Klangstrudel, mal heroisch aufbegehrend in astralreine Tonalhöhen, um kurz darauf wieder in monotonen Sequenzen und legatoschwelgerischer Mittellage hypnotisch vereinnahmend zu verebben.

 

Hineingezogen in diesen vokalen Sog aus transzendenter Magie, fühlt man sich wie berauscht in einer unwirklichen Klangwelt wieder, die einen in musikalisch andersartigen Welten vollends gefangen nimmt.

 

©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper

©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper

©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper

Auch Rachel Willis-Sørensen, die sich bereits im März 2022 in der Rolle der Ellen Orford beweisen konnte, blüht in ihrem Rollencharakter zum wiederholten Mal voller Pracht auf.

 

Vokalsatt und mit samtfeiner Eleganz durchdringt die warmgoldene Sopranstimme das Auditorium mit beseelter Brillanz und punktet sowohl in den exponierten Tonlagen mit zartschimmernder Noblesse als auch in der überaus farbenreichen Mittellage, die raumgreifend voll und süffig klingt.

 

Die Stimme dieser Frau ist so biegsam, wandelbar und ausgesprochen vielschichtig in Klang und Ausdruck, dass sie der Charakterdarstellung der Dorfschullehrerin mit ebenso perfekt austarierten emotionalen Temperaturen die nötige Kontur verleiht.

 

Ein Sopran dieses Kalibers muss sich für so eine anspruchsvolle Rolle erst mal finden. Mit Rachel Willis-Sørensen hat die Bayerische Staatsoper wohl einen Volltreffer gelandet.

 

Und auch Christopher Purves überzeugt auf ganzer Linie in seiner Rolleninterpretation des gutmütigen Balstrode, der Peter Grimes mit Rat und Tat zur Seite steht. Ozeanisch tief und von enormer Klangdichte bringen gefühlte 100 Dezibel den Theatersaal zum Schwingen.

 

©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper

Orchestral erweckt Erik Nielsen mit seinem Dirigat das tiefe, unergründliche Meer zum Leben. Man hört es rauschen, sieht die Gischt sprühen, wenn sie mit der Brandung eine Geschichte voller Melancholie, Trauer, Leid und Sehnsucht gegen die kargen Klippen zerschellen lässt.

 

Dunkelblau bis nachtschwarz sind die Klangfarben, die durchzogen von silberfarbenen Schlieren das melodiöse Bild eines kompositorischen Meisterwerks beschreiben.

 

Ein ungewöhnlich außergewöhnlicher Abend geht an der Bayerischen Staatsoper zu Ende. Jonas Kaufmann und Rachel Willis-Sørensen haben sich in einer tragischen Geschichte um einen Verlierer verstrickt, wie sie das Leben tatsächlich immer wieder schreibt - traurig schön und ganz schön traurig.


©Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper

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©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

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Der einsame Mann und die gefährlichen Tiefen des Meeres. Tobend, aufbrausend, wütend, unergründlich, unberechenbar und eiskalt mäandert das melodramatische Schauspiel des Komponisten Benjamin Britten...

 



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