Jonas Kaufmann hochdramatisch als Peter Grimes an der Wiener Staatsoper

28. Januar 2022

UNAUFGEFORDERTE WERBUNG

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

Der einsame Mann und die gefährlichen Tiefen des Meeres. Tobend, aufbrausend, wütend, unergründlich, unberechenbar und eiskalt steuert das melodramatische Schauspiel des Komponisten Benjamin Britten gleich mit der gewaltig markanten Ouvertüre auf das unausweichlich fatale Schicksal des Fischers und Hauptprotagonisten der gleichnamigen Oper Peter Grimes zu.

 

Als unangepasster, jähzorniger Sonderling, der in der dörfischen Gemeinschaft eines verschlafenen Fischerdorfes aufgrund seiner Andersartigkeit aneckt, beschreitet der Welttenor Jonas Kaufmann in seinem Rollendebüt an der Wiener Staatsoper einen herausfordernden Weg in die Musik der Moderne.

 

Gesanglich hochanspruchsvoll, verlangt die Partie des Peter Grimes ein ebenso tiefenpsychologisches Einfühlungsvermögen in die mehr als brutal verzweifelte und in sich zerrissene Persönlichkeit, die von Erfolg und Anerkennung besessen eine ewig getriebene Seele bleibt.

 

An seiner Seite brillieren in ebenso charakterstarken Paraderollen als Lehrerin Elen Orford und Freund Balstrode die norwegische Sopranistin Lise Davidsen und der walisische Bassbariton Bryn Terfel.

 

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

Sie geben Grimes Halt in einem uferlosen Mikrokosmos, in dem Außenseiter radikal geächtet und verstoßen werden.

 

Als Allegorie auf das Unwesen gesellschaftlicher Dynamiken und deren oftmals disbalancierter Psychogramme, zeichnet die Regisseurin Christine Mielitz ein düsteres, beengendes Bild einer zwanghaft stigmatisierenden Gesellschaft, die stets nach einem Sündenbock für ihre eigenen Unzulänglichkeiten und Verfehlungen sucht.

 

Wie durch ein Brennglas verschärfen sich in der Langeweile des Alltags die emotionalen Missstände und die unaufgeregten Monotonien jedes Einzelnen.

 

Nur durch das hochbrisante Ereignis eines schockierend tragischen Zwischenfalls, der Grimes des Mordverdachts an seinem Lehrling bezichtigt, erwachen die Einwohner des Dorfes endlich aus ihrem lethargischen Dornröschenschlaf und sehen sich abgelenkt von ihrer Sinnleere den Fokus und all ihre Energie auf das auserwählte Opferlamm Grimes richten.

 

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

Szenisch in eine rabenschwarze Nacht getaucht, von der sich lediglich die Bühnendarsteller abheben, führt eine von Lichtern flankierte Rampe auf eine Klippe zu.

 

Ab und an wird die Rampe hoch- und runtergefahren. Dann wieder sieht man Peter Grimes auf einem viel zu kleinen Boot mit einem Lehrling zum Fischfang aufbrechen.

 

Trostlos, ausweglos, hoffnungslos!

 

Perfekt inszeniert in der Leere einer gnadenlosen, von Willkür getriebenen Welt, die nur die friedliche Konstante der unendlich horizontalen und vertikalen Weite des Meeres kennt, erscheint der Mensch als solcher klein, nichtig, ja nahezu unwichtig und wird zu guter Letzt sogar von der Natur auf Nimmerwiedersehen verschlungen.

 

Peter Grimes findet keine Ruhe und keinen Ausweg und wählt in letzter Instanz  den Freitod auf offener See.

 

Die brutale Wirklichkeit, aus der sich vielleicht sogar die Erkenntnis der existenziellen und menschlichen Bedeutungslosigkeit des Verlierers Peter Grimes klar konturiert herausschält, schlägt in Bejamin Brittens 1945 uraufgeführter Oper dramatisch zu Buche und lässt sich, wenn überhaupt, nur schwer verdauen.

 

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

Jonas Kaufmann, der im dramatischen Rollenfach immer mehr seine Wurzeln schlägt und bereits in Verdis Otello mehrmals bravourös bis an das Limit der kontrollierten Ekstase gegangen ist, behauptet sich souverän als psychisch labiler Fischer Peter Grimes.

 

Gesanglich ausdrucksstark und von tiefen Emotionen durchdrungen, wirkt Kaufmanns Vokalinstrument stellenweise brüchig, sein Timbre leicht angeraut und nicht annähernd so samtweich wie in den Glanzpartien der heldischen Verdi-Opern. Dabei kann der ansonsten so heroisch strahlende Schöngesang des Tenorissimo schwer gegen die schlichten tonalen Strukturen der Musik Brittens aufbegehren.

 

Doch am Ende tut genau das der musikcharakteristischen Interpretation keinen wertgesteigerten Abbruch, denn die facettierte Vielschichtigkeit der Persönlichkeit eines Peter Grimes verlangt ein im Verhältnis fast schon übergeordnetes Höchstmaß an schauspielerischer Versiertheit.

 

"Peter Grimes, Peter Grimes, Peter Grimes". So singt sich Kaufmann in einen wahnsinnigen Rausch der Verzweiflung und agiert dabei nicht minder desolat und apathisch - und das zum Erschaudern schön.

 

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

Kontrastiert von der betörend jugendlichen Strahlkraft der norwegischen Sopranistin Lise Davidsen, erfährt die Handlung der tragisch düsteren Oper einen positiven Hoffnungsschimmer.

 

Mit ihrer sanften und gutgläubigen Art glaubt sie an die Unschuld Grimes und verteidigt ihn ausdauernd und mutig vor der aufgebrachten Dorfgemeinschaft.

 

Gesanglich strömt die lange Stimme pinpoint phrasiert durch alle Registerhöhen- und Tiefen, besticht durch gewaltige Fortefortissimi, ausgedehnte Legati und messerscharfe Spitzentöne, die Lise Davidsen zur absoluten Heroine des Abends machen.

 

Bryn Terfel, der mit seinem gewaltigen Bassbariton und seiner charakterstarken Bühnenpräsenz oftmals als Bösewicht auf der Bühne glänzt, zeigt sich in der Rolle des Balstrode von sanftmütiger und kumpelhafter Natur. Als Freund des geächteten Grimes spielt er den treuen, umsorgenden Freund nicht nur überzeugend, sondern zutiefst berührend - und das mit markanter, gefühlsechter und ausdrucksstarker wagnerianischer Vokalkraft.

 

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

Orchestral behauptet sich die Britten-Expertin Simone Young mit leidenschaftlicher Hingabe am Dirigentenpult.

 

Energien freisetzend fordert sie die Instrumentalisten zu einem tonalen Tanz auf den wütend tobenden Wellen der rauen und gnadenlosen See auf.

 

Besonders beeindrucken dabei die Zwischenspiele, in denen die Naturgewalt des Meeres in musikalischer Bildsprache eindrücklich zum Leben erweckt wird.

 

Brittens unverwüstlicher Klassiker, der auf Gesellschaftskritik abzielt, trifft den Kern der Marginalisierung und der Exklusion gewisser Gesellschaftsgruppen so genau, dass man den Schmerz, die Verzweiflung und die Aussichtslosigkeit der Figur des Peter Grimes bis in die heutige Gegenwart überdeutlich nachzuempfinden vermag.


©Marcia M. / Video über youtube zur Verfügung gestellt.

Kurze Einblicke in die Produktion des Peter Grimes an der Wiener Staatsoper, Premierenausschnitte und ein Interview mit dem Startenor Jonas Kaufmann finden sich in diesem Videobeitrag wieder.


©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

Im Beisein des Publikums fand am 02. Februar 2022 die Ehrung zahlreicher Künstler an der Wiener Staatsoper statt. Unter anderem erhielt der Münchner Tenor Jonas Kaufmann die Auszeichnung zum Kammersänger, ebenso wie sein walisischer Kollege Bryn Terfel, der nun ebenfalls den österreichischen Berufstitel tragen darf.

 

Die Dirigentin Simone Young wurde nach der dritten Vorstellung des Peter Grimes zum Ehrenmitglied des hehren Musentempels ernannt.

 

Überreicht wurden die Auszeichnungen von Kunst- und Kultursekretärin Andrea Mayer und dem amtierenden Staatsoperndirektor Bogdan Roščić.

 

Alle drei Künstler des Hauses waren gerührt und bestärkten dies ausdrücklich in ihren jeweiligen Danksagungen. Jonas Kaufmann, der schon lange im Herzen Österreicher war, darf sich nun auch ganz offiziell als Österreicher fühlen.


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