07. Dezember 2022
Rubrik Oper
©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper
Grau ist er geworden, reifer und vielleicht sogar ein wenig gesetzter. Und dennoch nimmt man Jonas Kaufmann die Interpretation des Andrea Chénier aus Umberto Giordanos gleichnamiger Verismo-Oper immer noch ab.
An der Wiener Staatsoper in einer Otto Schenk Inszenierung, die manch einem recht verstaubt und in die Jahre gekommen erscheinen mag, dreht die Französische Revolution primär durch das darstellerische Vermögen ihrer Akteure zu 100 Prozent auf.
Das statische, minimal ausstaffierte Bühnenbild mit lediglich ein paar samtbezogenen Barockstühlen, das, im Vergleich zu Philipp Stölzls lebendiger Puppenhausnostalgie in der Münchner Inszenierung vor ein paar Jahren, wenig aktionsreich und vergleichsweise sparsam in Requisiten und Opulenz daherkommt, wirkt zuweilen antiquiert und museal in sämtlichen Ausstattungselementen.
Pudrige Perücken, barocke Kostümopulenz: Nun, was den Adel anbelangt, so mag die optische Pracht einer Herrlichkeit gleichkommen, die eine heile, unbefleckte Welt verspricht, in der man an Köpfe rollende Exekutionen nicht zu denken mag.
Auch Andrea Chénier wirkt in seiner opulenten Ausstaffierung wie ein pfauenschöner Gockel, der so prächtig, stolz und eitel dem heiteren, noch unbesorgten Leben des hohen Adelsstandes frönt.
©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper
©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper
©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper
Dass der Dichter und Freiheitskämpfer elend zwischen die Fronten des revolutionären Mobs und des elitären Standes gerät, macht die dramatische, liebesgespickte Geschichte ohne Happy End zu einem der musiktheatralisch aufregendsten Werke des Opernkosmos.
Verismo heißt hier das Zauberwort. Wahre Gefühle, großer Pathos und ein spannungsgeladener Plot, wie er nur in einer der besten historischen Thriller nachzulesen ist, machen aus Giordanos epischem Drama eine Tour de Force überschwappender Emotionen und ekstatisch-eruptiver Musikergüsse.
Schwer begreiflich, dass diese Oper selten in das Repertoire kleiner Opernhäuser aufgenommen wird. Noch schwerer zu begreifen ist allerdings die Tatsache, dass wenige Musikliebhaber diese besonders süffige Oper mit ihren eingängigen und mitsummenswürdigen Arien überhaupt kennen.
Und wenn sie denn dann irgendwann mal wieder auf dem Spielplan eines renommierten Hauses landet, dann selbstverständlich nur in einer Besetzung, die den Besuch einer solchen Aufführung auch wirklich lohnt.
©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper
©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper
An der Wiener Staatsoper agieren an diesem Abend des 30. November 2022 der Tenor Jonas Kaufmann als Andrea Chénier, die Sopranistin Maria Agresta als Maddalena und der Bariton Georg Petean als Gérard.
Während Jonas Kaufmann mit stimmlichen Anlaufschwierigkeiten kämpft, wohl auch, weil er verschnupfterweise leicht indisponiert ist, steigert sich der Tenor von Akt zu Akt kontinuierlich in seine Bestform hinein und klingt zum Ende der dreiaktigen Oper gaumenrund und honigsatt timbriert.
Rollenversiert und auch gesanglich überzeugend präsentiert sich die Sopranistin Maria Agresta als Debütantin an der Wiener Staatsoper in einer passgenauen Rolle.
Die liebende Frau des Dichterhelden verkörpernd, verliert sich ihre Stimme in schimmernd golddurchwirkten Facetten. Heroisch, stählern und kraftvoll berauscht die Schlussarie im gemeinsamen Duett mit Jonas Kaufmann. Gemeinsam in den Tod, so herzzerreißend authentisch und gefühlsbetont kann es klingen, wenn zwei Gesangsakrobaten Herz und Stimme aus einer Seele sprechen lassen.
©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper
©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper
©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper
©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper
Bleibt nur noch der Dritte im Bunde, obgleich "Drei immer einer zu viel sind." Georg Petean als flammender Revoluzzer überzeugt mit seinem vollmundigen Bariton, der sich zu Beginn geschmeidig säuselnd um das geliebte Weib Maddalena windet, später aber in aufbrausender Manier stentorkräftig revolutioniert.
Das Dirigat des Italieners Francesco Lanzillotta wirkt an diesem Abend nicht übereifrig. Solide und eher umsichtig gestaltet sich die leidenschaftliche Liebesgeschichte in den Wirren der Französischen Revolution als musikalisch einheitliche, wenig aufbegehrende Klanguntermalung.
Daran ist, weiß Gott, nichts auszusetzen. Allerdings hätte der orchestralen Gestaltung mehr Autonomie gut gestanden.
Insgesamt ein schöner Abend mit nostalgischen Ausflügen in eine aufregende Zeit des Umbruchs.
©Marcia M. / Jonas Kaufmann Wiener Staatsoper
Jonas Kaufmann singt die Arie "Un dì all´azzurro spazio" aus dem ersten Akt der Revolutionsoper Andrea Chénier des Komponisten Umberto Giordano.
Lmz (Dienstag, 13 Dezember 2022 16:24)
Wie großartig ist doch eine "altmodische" Inszenierung mit großartigen Sängern ! Publikum und Darsteller fühlen sich gleichermaßen "fortgetragen" von der Musik.
Martin Cordes (Dienstag, 13 Dezember 2022 11:32)
Seit Mario del Monacos Chenier habe ich die Arie Un di all'azurro spazio noch nicht wieder so eindrucksvoll gehört wie hier bei Jonas Kaufmann. Bravo!