L´AUBERGE DU CHEVAL BLANC ALS REVUETHEATER AUF ARTE TV
09. Januar 2022
UNAUFGEFORDERTE WERBUNG
©Jean-Guy Python / Opéra de Lausanne
Gerne reist man nach Lausanne, um zum Jahreswechsel mit einer beschwingt heiteren Operette fröhlich und gut gelaunt in das neue Jahr zu rutschen.
Und wenn es dann noch heißt: Ab ins Weiße Rössl am Wolfgangsee, genau dort, wo das Glück vor der Tür steht, dann gibt es kein Halten mehr.
Denn glückselige Momente, ein bisschen tanzbare Melodik, Rhythmik und ein Plot, das komödiantische Spannung verspricht, bietet just genau die Operette des Komponisten Ralph Benatzky, die als Hybridmodell Tiroler Folklore, Berliner Kabarettmelodien und Wiener Walzerseligkeit gekonnt miteinander vermischt.
Dass das Werk der Zwischenkriegszeit in einer französischen Fassung gespielt wird, wirkt befremdlich. So versucht sich der französische Liedtext im bestmöglichen Sinne an das ursprüngliche Libretto heranzutasten.
Doch an den Tiroler Dialekt und den damit so eng verknüpften volkstümlichen Charme, wenn man ihn denn liebt, kommt diese Interpretation bei Weitem nicht heran.
©Jean-Guy Python / Opéra de Lausanne
©Jean-Guy Python / Opéra de Lausanne
©Jean-Guy Python / Opéra de Lausanne
So erlebt man eine dem Original entfremdete, abgespeckte zweiaktige Version, die durch die Regie von Gilles Rico zu einem burlesken Revuetheater modifiziert wird.
Verspielte Korsagen, schwarze Netzstrümpfe, erotisch neckische Livreés und kostümopulente Farbenpracht in dominierenden Lila-, Rosa- und Rottönen mit ausladend goldschimmernden Bühnenrequisiten verwandeln die in der normalerweise alpenländischen Zurückgezogenheit spielende Geschichte in eine von Glanz und Glamour überzogenen fantastische Hotelwelt, in der die edle Hotellobby im Zentrum des musiktheatralischen Geschehens steht und anstelle eines weißen Rosses von einer goldigen Edelstute in vierfacher Ausführung flankiert wird.
Sehr viel Froufrou, Cabaret, ein "petit peu" Moulin Rouge, darstellerisch übertriebene Albereien, Glitter, Glamour und Tam Tam wie es an diesem Abend wohl nur die französische L´Auberge du Cheval Blanc in Lausanne kann, schmücken die eigentlich zauberhaft elegante Operette wie einen grell blinkenden Weihnachtsbaum aus.
So recht überzeugt mich das ganze Theater nicht, zumal mich auch ein als rosa Pudel verkleideter Darsteller irritiert, der ganz devot an einer Leine folgsam über die Bühne einem attraktiven Zweibeiner hinterher kriecht.
Ist die Lausanner Interpretation des Operettenklassikers nun absoluter Kitsch, unterhaltsames Revuetheater oder schrammt es deutlich an der musikalischen und darstellerischen Qualität einer gut gemachten Operette vorbei?
©Jean-Guy Python / Opéra de Lausanne
©Jean-Guy Python / Opéra de Lausanne
So recht weiß ich jedenfalls nicht, wohin mit diesem schrägen, außerordentlich ungewöhnlichen Paradiesvogel namens Tanzrevue.
Nur eines ist mir zumindest sonnenklar. Ich verstehe den französischen Humor ganz und gar nicht.
Mir geht der österreichische Schmäh ab, es fehlt der dialektische Sing-Sang eines Peter Alexander und die freche Berliner Schnauze, die im Operettenfilm aus den 60er-Jahren so derb, ungehobelt und deplatziert in das ländliche Idyll am Wolfgangsee einbricht, dass man sich vor Lachen kaum noch halten kann.
Tatsächlich muss ich mich erst noch an diese cabaretverliebte Ausgestaltung des musikalischen und szenischen Handlungsrahmens gewöhnen. Doch dann plänkelt das Musiktheater in den buntesten aller Regenbogenfarben bewegt und heiter, des Öfteren auch etwas seicht an mir vorbei.
Aus dem rosafarbenen Pudel in menschlicher Gestalt ist mittlerweile ein goldenes Ross auf zwei Beinen geworden, dass ungelenk über die Bühne staksend in einem Kuhstall verschwindet.
Doch der Kuhstall ist nicht etwa ein Viehunterstand in einem Bauernhof, sondern ein umtriebiges Etablissement für schillernde Paradiesvögel und allerlei andere Exoten, die es partytechnisch wohl gerne öfter mal auf eine sehr exaltierte Art krachen lassen wollen.
©Jean-Guy Python / Opéra de Lausanne
©Jean-Guy Python / Opéra de Lausanne
So weit, so gut, wären da nicht die Hauptprotagonisten Léopold und Josépha, die in ihren bezeichnenden Charakterrollen als Oberkellner und Rössl-Wirtin für meinen soliden Geschmack doch etwas zu dick auftragen.
Viel zu viel Möchtegern-Casanovatum gepaart mit einer viel zu herrischen, nahezu hysterisch divenhaften und entnervt lauten Josépha, machen aus den szenisch liebestollen Intermezzi, in denen sich Léopold alias Mathias Vidal auch schon mal verzweifelt schmachtend und mit eisernem Griff wie ein ertrinkend Liebestrunkener an den Beinen der unnachgiebigen Gastronomin festklammert, eine fast schon lächerliche Lachnummer.
Wenn das die Revue leisten soll und muss, dann ist es wohl gut gemacht.
Doch auch gesanglich reißt mich das französische Pendant zum Original leider nicht vom Hocker. Es fehlt so gut wie allen Sängerdarstellern an unangestrengter, duftiger Leichtigkeit.
So forciert wie das zu überdreht komisch daherkommende Schauspiel schlägt auch der zur Überbetonung neigende Schöngesang in das andere Extrem und kippt haltlos.
©Jean-Guy Python / Opéra de Lausanne
©Jean-Guy Python / Opéra de Lausanne
©Jean-Guy Python / Opéra de Lausanne
Oder sagen wir besser, mir gefällt die mit doppeltem Boden ausgelegte Vokalschicht aus zu viel Schmalz rein gar nicht. Schmäh und ein wenig fluffige Salzburger-Nockerln-Musi hätten mir deutlich besser gefallen.
Umso mehr überrascht hingegen die Jodel-Mamsell "Miss Helvetia", die drall und äußerst biegsam gleich zum Auftakt der Revue-Show vom Himmel ganz hoch daherkommt.
Mit ihrer eindeutig souveränen Jodelakrobatik überzeugt sie mich im Handumdrehen. Die wiederholt eingeschobenen traditionell alpenländischen Trällereinlagen sind der absolute Höhepunkt und verleihen der ausgesprochen revuelastigen Operettennummer eine musikalisch erfrischende Schnörkellosigkeit.
©Jean-Guy Python / Opéra de Lausanne
Auch orchestral enttäuscht das Arrangement aus Klangsirupkaskaden, die nach zu langem Hinhören alsbald zu einem musikalischen Zuckerschock führen.
Mir ist nicht wohl und auch der schöne Siegesmund Sülzheimer, der als französischer Celestin daherkommt, kann meine Stimmung nicht erhellen. "Die ganze Welt ist himmelblau, wenn ich in deine Augen schau".
Ich schau doch besser weg und lieber ganz woanders hin.
Vielleicht schau ich mir auch einfach mal wieder den Filmklassiker mit Peter Alexander und Waltraud Haas an, der mich nicht nur musikalisch immer wieder aufs Neue mitreißt, sondern auch meine Lachmuskulatur jedes Mal vollends zum Erliegen bringt.
©Opéra de Lausanne / über yoututbe zur Verfügung gestellt
Hört doch Miss Helvetia in Begleitung ihrer Quetschkomode in der L´Auberge du Cheval Blanc in Lausanne virtuos jodeln.
©Musikfilm im Weißen Rössl / über youtube zur Verfügung gestellt
Der Musikfilm aller Musikfilme ist doch immer noch das "Weiße Rössl" in Starbesetzung: Peter Alexander als liebestrunkener Oberkellner Leopold, der seiner Chefin, der Rössl-Wirtin Waltraud Haas, ganz besonders schöne Kälberaugen macht.
Aus dem Jahr 1960 bleibt die filmische Interpretation des Operettenklassikers von Ralph Benatzky unangefochten und bislang unübertroffen.
©Screenshot Arte TV L´Auberge du Cheval Blanc aus Lausanne
Arte Concerts strahlt die Operettenrevue L´Auberge du Cheval Blanc bis einschließlich 29. Juni 2022 in der Mediathek aus.
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