die unwiderstehliche Manon Lescaut in einer Wiederaufnahme an der Wiener Staatsoper

08. Februar 2022

Rubrik Oper

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

Geld oder Liebe? In Puccinis melodramatischer Oper Manon Lescaut wird die Protagonistin Manon alias Asmik Grigorian genau vor diese Entscheidung gestellt - entweder oder! Beides kann sie nicht haben.

 

In einer abstrahiert inszenierten Wiederaufnahme des Verismo-Klassikers an der Wiener Staatsoper greift der Regisseur Robert Carsen dieses hochaktuelle Dilemma auf und katapultiert es in die konsumgeschwängerte Ellbogengesellschaft der Gegenwart.

 

In einer Shoppingmall, in der sich teure Boutiquen wie glänzende Perlen auf einer Kette aneinanderreihen, flaniert auch Manon verstohlenen Seitenblicks von Schaufenster zu Schaufenster.

 

Genau dort, an diesem kapitalistischen, höchst unromantischen Ort, begegnet sie erstmals ihrer großen Liebe, dem mittellosen Studenten René des Grieux.

 

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

Beide verlieben sich auf den ersten Blick ineinander. Doch die Liebe währt nicht lange, denn Manon giert nach Reichtum und einem unbekümmerten, sorgenfreien Leben in schwelgerischem Luxus.

 

Feudal inszeniert in einer Scheinwelt aus teurem Geschmeide, funkelten Brillanten und all den Dingen, die ein Mensch zum Leben gar nicht wirklich brauchen kann, begibt sich seine aufgeklärte Interpretin in die Fänge eines einflussreichen, aber ungeliebten Mannes, den sie nur des Geldes wegen ehelicht.

 

Doch schnell bemerkt sie, dass dieses sorgenfreie Dasein sie langweilt und ihr nicht die Liebe ersetzten kann, die sie mit Des Grieux so sinnhaft vereint hat.

 

Am Ende schlägt das Schicksal zulasten Manons zu und bestraft die Wankelmütigkeit der so unentschlossenen und lasterhaften Frau mit dem Verlust ihres eigenen Lebens.

 

Carsen versteht es, die tragikromantische Geschichte in einen Kontext zu bringen, in dem das Streben nach Konsum, Status und sozialer Anerkennung mehr wiegt als die immaterielle Liebe zu einem Menschen.

 

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

Und genau dieses moralisch zweifelhafte Ungleichgewicht der Lebefrau Manon sagt nicht nur eine ganze Menge über vergangene Gesellschaftsformen, deren Psychogramme und Wertvorstellungen aus, sondern beleuchtet auf erschreckend beängstigende Weise unsere heutigen zwischenmenschlichen Verfehlungen, die eben auch Resultat eines dem Kapitalismus und Egoismus verfallenen Gesellschaftsideals sind.

 

Dass die Rolle der Frau in Puccinis Romantik-Thriller dabei besonders beispielhaft aufs Korn genommen wird, zeigt nur, wie selbstverständlich Status, Reichtum und Anerkennung geworden sind und das sozialgesellschaftliche Ambitionen, immaterielle Errungenschaften, Tugenden und Werte mehr denn je in den Hintergrund einer aufstrebenden Kapitalgesellschaft rücken, ja sogar in abwertender Weise denunziert werden.

 

Manon, die sich dem Strudel ihres permanenten Konflikts zwischen Tugend und Lasterhaftigkeit ausgesetzt weiß, verliert letztendlich nicht nur ihren gesellschaftlichen Status, sie verliert alles, ohne ihrem Leben je einen Sinn gegeben zu haben, vom ehrlichen, unverkäuflichen Glück mal ganz abgesehen.

 

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

Asmik Grigorian schafft es in dieser charakterstarken Frauenrolle zu bewegen. Mit ihrer ausdrucksstarken Bühnenpräsenz, ihrer schauspielerischen Versiertheit erlebt man als Zuschauer echte abgrundtiefe Gefühle, die bis in Mark und Bein transportiert werden.

 

Spätestens im 2. Akt wird die Liebesszene zu einem wahrhaften Kaleidoskop der Gefühle, insbesondere weil Grigorian sich scheinbar in ihrer Rolle verliert, auflöst und so mühelos hineinfällt, dass die verzweifelte Liebe der Manon ganz plötzlich schmerzhaft spürbar wird.

 

In der Sterbeszene wird Manons Leid so übergroß, die Qualen so unbeschreiblich und die Angst vor dem nahenden Tod so unbändig, dass der Überlebenskampf nur langsam der Resignation weicht und in den letzten Atemzügen ganz federleicht über der zerbrechlichen Gestalt der Asmik Grigorian zu schweben scheint.

 

So hauchzart und federleicht erscheint auch das Vokalinstrument der Sängerdarstellerin, das noch im 1. Akt sehr dezent hintergründig erklingt.

 

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

Doch bereits im 2. Akt erhebt sich das extrem durchlässige Vokalinstrument der litauischen Sängerin überraschend kraftvoll und mit nahezu kristallfeiner Brillanz in scharf kontrastierte Tonalhöhen.

 

Auch wenn die Lupenreinheit an exponierterer Stelle hie und da einer schrillen Hysterie weicht, so kommt das der Charakterdarstellung der Manon Lescaut durchaus zugute. Emotional überzeugt Grigorian jedenfalls auf ganzer Linie, was sich auch in ihrer inbrünstig leidenschaftlichen Interpretation der Manon widerspiegelt.

 

So fleht, verzweifelt und kokettiert es gleichermaßen aus ihr heraus. Und genau so schwingen diese unterschiedlichen emotionalen Aggregatzustände unisono in der Stimme mit. Manon Lescaut das ist Asmik Grigorian in einer wahrhaft tiefgründigen und vielschichtigen Persönlichkeit.

 

Brian Jadge als René des Grieux überrascht mit einer unglaublich kraftvollen, nahezu stählernen Tenoralwucht. Was im 1. Akt stimmlich noch nicht erahnbar scheint, bahnt sich spätestens in der erotischen Liebesszene seinen Weg an die tenorale Spitze des Hochleistungsgesangs.

 

Auch wenn Jadge eines sahnesamtigen Klangschmelzes entbehrt, so strotzt seine Stimme dennoch vor Vitalität und urwüchsiger Robustheit, inklusive einer Strahlkraft, die vielleicht an mancher Stelle etwas wohldosierter hätte zum Einsatz kommen können. Doch wer kann, der kann eben.

 

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

Was Jagdes Stimme an echt empfundenen Gefühlen wie das sprichwörtliche Herz auf der Zunge trägt, scheint sein Schauspiel doch lieber unter Verschluss halten zu wollen.

 

Steif, unbehände und ein wenig plump sind seine Bewegungen und Gesten. Unnatürlich und nicht wirklich frei wirkt die Darstellung, bei der man nicht so recht weiß, ob der Tenor sich tatsächlich voll und ganz auf seine Rolle einlässt.

 

Während Asmik Grigorian alles aus sich herausholt, die Grenzen der kontrollierten Ekstase fast schon überschreitet, hält sich Brian Jadge vorsichtig hinter der Grenzlinie in sicherer Entfernung und ganz im Schutz seines Schöngesanges auf.

 

Dahinter hervorlocken scheint man ihn an diesem Abend jedenfalls nicht zu können. Ein bisschen mehr Dynamik, eine mittelgroße Prise Leidenschaft und ein sich Versenken in die Rolle hätten dem Charakter des René des Grieux bereits deutlich mehr Farbe und Kontur verliehen.

 

Fies und abgründig gestalten sich die zwielichtigen Rollen, des reichen Bankiers Geronte di Ravoir alias Artyom Wasnetsov, der mit seinem profunden Bass ganze Bäume fällen könnte.

Ebenso ausgewogen, warmgolden und wohl timbriert singt sich auch der Bariton Boris Pinkhasovich überzeugend in die Rolle des Bruders Manons.

 

Orchestral schafft es der Dirigent Francesco Ivan Ciampa in die irisierende Klangwelt des Romantik-Thrillers einzutauchen. Weiche dahinschmelzende Legati, scharf kontrastiert durch rauschende Klangwogen und leidenschaftlich aufbrausende Tonalwellen machen dieses spannende Opernepos zu einem aufregenden, emotional wechselseitigen Hochgenuss.

 

Völlig in den Bann der musikalisch klangdichten Verwebungen gezogen, erlebt man einen Verismo-Klassiker der großen Leidenschaften und ein gelungenes Debüt am Dirigentenpult.


©Wilfried Hösl / Münchner Staatsoper

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©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

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©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

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