Die Meistersinger in szenisch neuem Glanz an der Wiener Staatsoper

12. Dezember 2022

Rubrik Oper

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

Ein meistersingerliches Fest. An der Wiener Staatsoper erstrahlt Wagners Satyrspiel "Die Meistersinger von Nürnberg" in szenisch neuem Glanz. Seit 1975 gab es die historisch detailgetreue Inszenierung des geschätzten Regisseurs Otto Schenk. Doch nun wagt sich der Brite Keith Warner an das viereinhalbstündige Werk, das nicht nur Kunst und Tradition hochhält, sondern auch tiefe Einblicke in das komplexe Psychogramm des Schusters Hans Sachs und der ihm nahestehenden Menschen gewährt.

 

Durchweg minimalistisch konzipiert, mit wenigen, aber bewusst gewählten Akzenten besetzt, taucht man direkt in die Szene und in die Unmittelbarkeit des Handlungsgeschehens ein.

 

Beleuchtet, ausgeleuchtet und charakteristisch stark in den Vordergrund gehoben werden die Protagonisten, allen voran Michael Volle in seiner Rolle als Hans Sachs.

 

So erlebt man gleich zu Beginn der dreiaktigen Oper einen nachdenklichen Schuster vor dem Hintergrund eines nachtblauen Himmels über und vor sich hin sinnierend.

 

In Traumwelten verloren, mäandert man in den verschwimmenden Konturen, die sich zwischen Vergangenheit, Realität und dem Wunschdenken des alternden Meisters immer wieder neu justieren.

 

Warner spielt bewusst mit Imagination und kreiert durch seine bühnenbildnerischen Elemente eine Welt, die mal im Jetzt, mal im Traum und ebenso in der Vergangenheit eine Brücke in die nüchterne, erahnbare Zukunft schlägt und das Alte mit dem Neuen in Einklang zu bringen versucht.

 

Vom Sternenhimmel über Bergeshöhen hin zu einem opulent prosperierendem Baum, das quirlige Leben findet direkt vor der Nase des Schusters statt. Greifbar nah. Doch für den alternden Meister eine scheinbar unbezwingbare Hürde, denn tradierte Vorstellungen kollidieren mit der freizügig ungezügelten Welt der Jungspunte.

 

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

Walther von Stolzing, der jungdynamische Ritter, dem die Welt nichts zu kosten scheint, glaubt, ohne den Segen der Sängergilde und ohne Wissen und Traditionsbewusstsein sein Evchen ehelichen zu können. Weit gefehlt. Doch Warner schafft es im dritten Aufzug, Normen aufzubrechen und althergeholte Wertvorstellungen im modernen Kontext einer zugewandten Zukunftswelt zu verhaften.

 

So stehen zwei Sekretäre auf der Bühne, an denen sich jeweils der traditionsbewusste Hans Sachs und der progressiv denkende Walther von Stolzing gleichberechtigt in ihren jeweiligen Kreativräumen gegenübersitzen und tüftelnd an ihrem generationsübergreifenden Gemeinschaftsprojekt, dem Meistersingerlied, zusammenarbeiten.

 

Vergangenheit und Zukunft, Tradition und Moderne: Alles befruchtet, komplementiert und bereichert sich wechselseitig. Das eine schließt nie das andere aus. Die Moderne braucht die Tradition, genauso wie die Tradition ein Wegweiser in die Moderne ist.

 

Alles Lebendige bewegt sich, bleibt im Fluss, fließt und strömt auf den Fundamenten der Kultur und der Tradition.

 

Besonders erhebend erlebt man das grandiose Finale, als Stolzing sein Meistersingerlied vor der Gilde und dem Bürgertum der Stadt Nürnberg darbietet. Ganz im Sinne eines bühnenbildszenischen Märchens wirken die Festivitäten pompös, ausladend und so überwältigend, dass man das Geschehen auf der Bühne ganz ergriffen mitverfolgt.

 

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

Elegant gelöst wird auch die Deutschtümelei zu Ende des dritten Aufzugs. Während Sachs sich in seiner Lobhudelei über die deutsche Kunst verliert, halten die Bürger Nürnbergs ganz demonstrativ Weltliteratur in die Höhe. Das wirkt nicht nur gefällig, sondern zeigt zudem Offenheit und Toleranz gegenüber anderen Kulturen und Traditionen und schärft ebenso den Blick für das Neue.

 

Eine Schippe obendrauf legen in dieser Inszenierung selbstredend die Sängerdarsteller, allen voran Michael Volle, der als Hans Sachs nicht nur darstellerisch und gesanglich alles gibt, sondern sich als hervorragender Charakterdarsteller in dieser fantastischen Aufführung in die Herzen seines Publikums spielt.

 

Sein Applaus ist tobend und wohlverdient.

 

Ruhig, ausgewogen und von einer vokal tiefschichtigen Durchdrungenheit interpretiert Volle die anspruchsvolle Partie des Hans Sachs souverän. Dabei sind schauspielerisches Können und gesanglicher Ausdruck wohl austariert und harmonieren auf das Feinste miteinander.

 

Köstlich sind auch die gemeinsamen Szenen mit dem Bariton Wolfgang Koch, der sich als Beckmesser mit Michael Volle einen streitlustigen Schlagabtausch liefert. Da brausen die beiden stimmgewaltigen Vokalathleten so manches Mal auf, keifen eifernd miteinander und schaffen es spielend, emotionale Temperaturen tonal aufbäumen zu lassen.

 

Wolfgang Koch gelingt eine wirklich tragikomische Interpretation der lächerlichen Figur des Beckmessers, die auch vokal in allen Facetten perfekt ausgeschöpft wird.

 

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

Leicht und frisch klingt es hingegen aus der jungen Riege der Sängerinterpreten. Mit David Butt Philip hat die Wiener Staatsoper tatsächlich einen Stolzing gefunden, der den Ansprüchen dieser "meistersingerlichen" Partie auf solidem Fundament gerecht wird.

 

Immer mehr möchte man in seine Darbietung des Meistersingerliedes eintauchen. Punktgenaue Phrasierungen, schön ausgesungenen Legati, differenziert dynamisch und zugleich gefühlvoll: Diese Stimme mit ihrem jugendlich hellem Glanz strahlt lediglich in den exponierten Tonalhöhen etwas weniger hell und heldenhaft in den Orbit der tönenden Lüfte.

 

Auch den Verliebten hätte Butt Philip mit etwas mehr Verve und Leidenschaft spielen dürfen.

 

Hanna-Elisabeth Müller, die sich als Evchen einer anspruchsvollen Rolle verschrieben hat, verzaubert ganz besonders in ihrer angenehm weich und samtig klingenden Mittellage. Ihre lyrische Strahlkraft, gepaart mit einer sphärischen Entrücktheit, wirkt leicht, durchlässig und schwebend in Textur und Klangfarbe.

 

Angestrengter und weniger frei gestalten sich zuweilen die exponierten Tonalhöhen. Minimal gepresst und forciert kann sich das Dramatische in der Stimme so leider nicht zu voller Schönheit und Reife entfalten.

 

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

Großartig ist auch die Darbietung der Mezzosopranistin Christina Bock, die als Magdalene zwar in einer kleineren Rolle agiert, aber wohlgemerkt in ihr brilliert.

 

Honiggolden, warm und farbenreich und gleichermaßen jugendlich frisch strahlt das Vokalinstrument angenehm leuchtend in das Auditorium. Auch das Schauspielern liegt der jungen Sängerin ganz famos, so wendig keck und frech es die Rolle zuweilen verlangt. 

 

Famos und überaus ozeanisch sonor schließt sich der Kreis der Sängergilde mit dem Bass Georg Zeppenfeld, der als Pogner seiner Rolle alle Ehre macht.

 

Und auch das Dirigat lässt sich hören: Philippe Jordan fegt musikalisch Angestaubtes mit dem Taktstock salopp beiseite. Dynamisch differenziert, pulsierend lebhaft und erfrischend modern bereitet Jordan den Bühnendarstellern eine orchestrale Untermalung, die sowohl irisierend blumig als auch heroisch, erhaben und klanggewaltig, aber immerzu farben- und facettenreich klingt.


Detailiertere Informationen über die Neuinszenierung der "Meistersinger von Nürnberg" bietet die Einführungsmatinee der Wiener Staatsoper.

 


Kommentare: 0