31. Juli 2021
UNAUFGEFORDERTE WERBUNG
©Wilfried Hösl /Bayerische Staatsoper
Ganz behutsam und ebenso sanft ebnet sich die Musik Wagners ihren Weg in einen kontrolliert tonalen Rausch. Mit leiser Präzision eröffnet Kirill Petrenko sein Dirigat als ehemaliger Musikgeneraldirektor an der Bayerischen Staatsoper in einer gewöhnungsbedürftigen Neuinszenierung des Regisseurs Krzysztof Warlikowski.
Es ist die letzte Aufführung in einer Festspielsaison, die mit dem seit Jahren bewährten Konzept der "Oper für Alle" und einer Cast, die sich mit Jonas Kaufmann, Anja Harteros, Wolfgang Koch und Okka von der Damerau sehen und hören lässt, einen fulminanten Abend beschließt.
Mit ausdrucksstarkem Pathos dirigiert Petrenko in formvollendeter Ästhetik Richard Wagners Liebesdrama "Tristan und Isolde". Dabei trägt er jeden einzelnen Ton auf Händen und umschließt auch die verklingenden Töne, einen nach dem anderen in seiner linken Faust, so als wolle er sie selbst zum Erlöschen bringen.
156 Jahre sind seit der Erstaufführung in München im Jahr 1865 vergangen. Doch noch immer überstrahlt die meisterhafte Oper den Olymp der klassischen Menagerie, wohl auch, weil es sich der hehre Musentempel am Marstallplatz nie nehmen ließ, kontrovers gehandelte Neuinterpretationen in die Arena der schaulustigen Zuhörerschaft zu werfen.
Kunst als Debatte, Bühne als Interpretationsraum. Die Münchner Staatsoper scheint sich ganz klar als Mitgestalterin und Erneuererin der Moderne und der zeitgemäßen Darstellungsform zu sehen.
©Wilfried Hösl /Bayerische Staatsoper
©Wilfried Hösl /Bayerische Staatsoper
©Wilfried Hösl /Bayerische Staatsoper
©Wilfried Hösl /Bayerische Staatsoper
©Wilfried Hösl /Bayerische Staatsoper
Und so taucht man gleich im 1. Akt in eine Welt ein, die sich irgendwo auf hoher See und dennoch im Nirgendwo befindet.
Untermalt durch wohldosierte kinematografische Effekte, reist man visuell über das Meer, erblickt am fernen Leinwand-Horizont schwebende, auf das Publikum zusteuernde Möwen, lässt Raum und Zeit an sich vorbeigleiten und wird vom Sog eines im Zeitraffer vorbeiflimmernden Korridors erfasst, wie durch einen Tunnel katapultiert, in dem man sich mit zunehmender Geschwindigkeit aufzulösen scheint.
Die Bühne wird zum Schauplatz eines mentalen Vakuums, in dem sich Tristan und Isolde einander annähern und mit dem Liebestrank vollends trunken vor Verklärtheit zueinander entbrennen.
Ein gefilmtes Flammenmeer auf der Projektionsfläche im Hintergrund potenziert dabei den ausschmückend szenischen Effekt des Liebestaumels. Alles brennt scheinbar lichterloh, die Leinwand, die greifbaren Gefühle, die heiß und lodernd in das Auditorium hineinwabern, die Darsteller, die sich in einem emotionalen Funkenschlag gesanglich und schauspielerisch an- und miteinander entladen.
©Wilfried Hösl /Bayerische Staatsoper
©Wilfried Hösl /Bayerische Staatsoper
©Wilfried Hösl /Bayerische Staatsoper
©Wilfried Hösl /Bayerische Staatsoper
Scharf kontrastiert durch die interpretatorische Umsetzung des Handlungsrahmens im 2. Akt greift sodann die nüchterne Realität nach der Wahrhaftigkeit. Noch während des Liebesduetts, das so verklärt, zeitentrückt und von ewiger Dauer langatmig in andere Sphären zu entgleiten scheint, erlebt man auf der Kinoleinwand eine Hotelzimmerszene, die sich im Verlauf zu einem albtraumhaften Szenario entwickelt.
Während Isolde als mondäne Diva auf einem Doppelbett sitzend, eine halbe Ewigkeit an Ort und Stelle ausharrt, schaut in "Komm-ich-heute-nicht, komm-ich-morgen-Manier" Tristan im Türrahmen um die Ecke.
Langsame und extrem kontrollierte Bewegungen der Protagonisten sowie auf ein Minimum reduzierte Gesten konturieren die abstrahierte Szene, die durch so viel kinematografischen Minimalismus in "Schwarz-Weiß-Stummfilmqualität" verschärft wird.
Nachdem sich beide im Laufe des 2. Aktes in Zeitlupengeschwindigkeit in der Horizontalen nebeneinanderliegend wiederfinden, dringt eine flutartige Welle unaufhaltsam und in rapider Geschwindigkeit in das Zimmer ein, steigt und überschwemmt die beiden Liebenden im Bett.
Neben klangexplosiven agogischen Verdichtungen erreicht der musikalische Spannungsbogen seine Klimax mit dem abrupt schockerstarrten Erwachen Tristans und Isoldes aus ihrem Albtraum.
©Wilfried Hösl /Bayerische Staatsoper
©Wilfried Hösl /Bayerische Staatsoper
©Wilfried Hösl /Bayerische Staatsoper
Warlikowski spielt vorsätzlich mit der Provokation, stellt den Selbstmord als tragende Säule für eine Liebe dar, die erst mit der Vereinigung im Tod ihre Daseinsberechtigung erhält.
Auch im 3. und letzten Akt lässt der Regisseur nicht von seinem Regiekonzept ab, das Tristan in eine Welt zwischen Leben und Tod hin und her zu manövrieren scheint, in der die Liebe noch auf der Suche nach Befreiung ist.
Von leblosen Puppen umgeben, schmachtet der schwer verwundete Held im Todeskampf nach seiner geliebten Isolde. Mehr im Jenseits als im Diesseits verhaftet, kämpft Tristan bis zum bitteren Ende um die Hoffnung, die mit Isoldes Ankunft in der Unterwelt einhergeht.
Im Tod vereint löst sich endlich der Schleier der irdischen Entsagung. Es obsiegt die Liebe mit deren Befreiung durch den selbst gewählten Freitod.
©Wilfried Hösl /Bayerische Staatsoper
©Wilfried Hösl /Bayerische Staatsoper
Hochkarätig besetzt, erlebt man einen Jonas Kaufmann in der Titelpartie des Tristan souverän und mit einer vokalen Strahlkraft gesegnet, die sein wagnerianisches Heldenpotenzial bis zum Limit voll ausschöpft.
Weich fließende Legati-Bögen, heroisch aufbrausende Gesangesstürme, konturiert, haarnadelscharf und dennoch mit einem samtig beseelten Timbre, läuft der Münchner Tenor stimmlich zur absoluten und uneingeschränkten Hochform auf.
Facettenreich glänzt er auch in seiner schauspielerischen Versatilität.
Ausdrucksstark erzählt seine Mimik mal von volltrunkener Liebe, todeskämpferischen Qualen und einer Sehnsucht, die im Leben nach dem Tod begründet liegt.
Sowohl gesanglich als auch schauspielerisch wohl austariert tut Kaufmanns Interpretation eines modernen Tristans in einer mehr als schwierigen Inszenierung allen Anforderungen genüge.
©Wilfried Hösl /Bayerische Staatsoper
Als besonders sphärisch und weltentrückt erlebt man Jonas Kaufmann und Anja Harteros im Liebesduett des 2. Aktes, in dem die Emotionen plötzlich zum Greifen nah werden, sich nahezu materialisieren.
Anja Harteros ist brillant, wenn emotionale Tiefgänge mit im Spiel sind. Insbesondere in der Mittellage erklingt ihr perlendes Vokalinstrument angenehm rund und satt und fließt wie aus einem formschönen Guss in sanften, weichen Wogen legatissimo dahin.
Irritierend hingegen muten die hohen Töne der Sopranistin in den stark exponierten Lagen an, die in der monologisierten Musiksprache des 1. Aktes teilweise heraus gequetscht und schrill wirken.
Insgesamt überwiegt aber das darstellerische Gesamtbild, das bei Harteros marginale Imperfektionen gekonnt ausbügelt.
©Wilfried Hösl /Bayerische Staatsoper
©Wilfried Hösl /Bayerische Staatsoper
Wolfang Koch in der Rolle des Kurwenal und Okka von der Damerau in der Rolle als Brangäne überzeugen ebenso charakterstark und bringen in den jeweiligen Rollen ihre stimmlichen Qualitäten auf den Punkt und vollends überzeugend zur Geltung.
Auch wenn sich Wagners Musikstil dieser Oper deutlich von allen anderen Werken abhebt, so erkennt man dennoch die musische Handschrift, die dieses epische Drama ziert.
©Wilfried Hösl /Bayerische Staatsoper
©Wilfried Hösl /Bayerische Staatsoper
Obgleich das Ariose weder bei Tristan noch bei Isolde kaum zum Zug kommt, die monologisierte Musiksprache, insbesondere im 1. Akt dominant und manchmal störend in den Vordergrund tritt, so bezeichnend sind doch gerade diese kompositorischen Ecken und Kanten, die dem Werk in seiner Dichte die musikdramaturgische Würze verleihen.
Kirill Petrenko gelingt der Drahtseilakt zwischen verklärter sphärischer Leichtigkeit und der geballten, spannungsgeladenen, dramengespickten Verdichtung, die sich im Wechsel ständig zu überbieten scheinen.
Musik als höchste Kunstform in vollendeter Perfektion, so und nicht anders erlebt man an diesem Abend das abschließende Dirigat eines bewegten Dirigenten, der mit seinen Händen die Musik schier zu berühren scheint.
©Bayerische Staatsoper über Youtube zur Verfügung gestellt
Eine kleine Geschmacksprobe von Wagners Meisterwerk "Tristan und Isolde" bietet der Trailer der Bayerischen Staatsoper. Kurz und abstrahierend wird ein Rundumriss in musikalischer, szenischer und handlungsweisender Manier gemacht. Eine gelungene Zusammenfassung eines außerordentlich vielschichtigen Meisterwerks.
©Bayerische Staatsoper über Youtube zur Verfügung gestellt
Wer noch ein wenig tiefer in die Handlung einsteigen möchte und das kompositorische Meisterwerk von Richard Wagner verstehen will, kann sich ein noch umfassenderes Bild im Video Magazine der Bayerischen Staatsoper machen. Hier berichten die Rollendarsteller, Regisseure und Dirigenten über die Handlung sowie die szenische und musikalische Interpretation der tragischen Heldenoper.
Weitere Video-Demand-Angebote können über folgenden Link der Bayerischen Staatsoper abgerufen werden:
Am kommenden Dienstag kann man ab 19:00 Uhr per Digital Stream die Aufzeichnung der "Wendende Punkt" abrufen. Diverse Künstler, unter anderem Diane Damrau, Jonas Kaufmann, Nina Stemme und Christian Gerhaher, geben in den verschiedensten Rollenpartien einen konzertant musikalischen Rundumschlag durch deutsches, italienisches, französisches und tschechisches Opernrepertoire.
Der Stream kann kostenfrei auf Staatsoper.TV abgerufen werden.
©Wilfried Hösl /Bayerische Staatsoper