03. Februar 2022
UNAUFGEFORDERTE WERBUNG
©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper
Opera buffa oder Commedia dell´Arte? Bei Rossinis Meisterwerk "Der Barbier von Sevilla" ist die Unterscheidung dieser beiden sich ähnelnden musikalischen Abspreizungen nicht unbedingt eindeutig.
In seiner Neuinszenierung an der Wiener Staatsoper zeigt der Regisseur und Mediengestalter Herbert Fritsch, was musikcharakteristisch und dramaturgisch in dieser zweiaktigen Oper aus dem Uraufführungsjahr 1816 steckt, indem er aus ihr eine gelungene Kreation komödiantischer Ernsthaftigkeit zaubert.
Mit einem spielfreudigen Sängerensemble, das unter anderem mit dem Tenor Juan Diego Flórez als Graf Almavia hochkarätig besetzt so viel komisches Talent wie auch stimmliche Exzellenz und überbordend gute Laune an den Tag legt, gelingt ein authentisches Musiktheater, dass das Leben in all seinen bunten, schillernden, aber auch düsteren Facetten augenzwinkernd aufs Korn nimmt.
Opera buffa und Commedia dell´Arte durchmischen sich gekonnt, erleben eine Wechselseitigkeit konträrer Gefühlszustände und bilden letztendlich eine gelungene Schnittmenge, in der weder das erheiternd Komödiantische noch die Ernsthaftigkeit des Lebens den Kürzeren ziehen muss.
©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper
©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper
Farbenprächtige in allen Regenbogenfacetten schimmernde Plastikvorhänge, die alleiniges Ausgestaltungsmerkmal des Bühnenbildes sind, dienen als Stimmungsspiegel des dicht verwobenen Handlungsstrangs und verändern lichtbedingt, je nach musikalischer und szenischer "Laune", ihr Farbspektrum.
Kontrastiert nur durch das bewegende Schauspiel auf den Brettern der Welt, erlebt man Sängerdarsteller, die das Handlungsgeschehen durch interpretatorisches Geschick und geistreiche Raffinesse intensivieren und damit perfekt auf den Punkt bringen.
Juan Diego Flórez als Graf Almavia, Étienne Dupuis als Barbier, Vasilia Berzhanskaya als wunderschöne Rosina und Paolo Bordagna als Bartolo erstrahlen dabei in gerüschten, lamédurchwirkten und brokatfeinen Gewändern, die in Anlehnung an die Rokokozeit in die Tanzwelt der Menuette entführen.
Aufgebauschte Haarperücken, die sich wie üppige Wolkengebilde haushoch auf den Charakterköpfen der Sängerdarsteller auftürmen, potenzieren den Effekt einer Zeitreise in die historische Vergangenheit um einige hochtoupierte Haarschichten mehr.
©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper
©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper
So sehen sich die Figuren bereits mit ihrem äußeren Erscheinungsbild der Lächerlichkeit ausgesetzt, was der Komik des Meisterwerks eine verrückte, ausgelassenen und überdrehte Note verleiht.
Mit einem mehr als grellen Opernspektakel, das nicht nur orchestral temporeich durch den Abend mäandert, sondern auch mit pantomimischen Elementen gewitzt auftrumpft, schafft es die Regie an den richtigen Stellen, szenische Satire pointiert und intelligent mit der Leichtigkeit des komischen Werks zu vereinen.
Unmittelbar nach Verklingen des ersten Vorspiels nimmt mit dem Auftritt des peruanischen Tenors Juan Diego Flórez, das belcantische Geplänkel seinen Lauf.
Lyrische Biegsamkeit, formschöne Legatobögen, koloraturreicher Schöngesang, wie ihn eben nur der Belcanto hervorbringt, zeichnen das Stimmorgan des Weltstars aus, der mit zart schmelzender Leichtigkeit als Graf Almavia seine Angebetete Rosina umgarnt.
Die tonal angeschleiften Schlenker in die hohen Register fallen dabei nur unmerklich störend ins Gewicht.
Voller Sprungkraft und Elan zeigt sich beim Peruaner auch das schauspielerische Vermögen. Witzelnd und mit dem Publikum kokettierend, gelingt eine spritzige Interpretation des Grafen Almavia, der sich hin und wieder vom Strippenzieher Figaro auf gedankliche Sprünge helfen lassen muss, Geistesblitze inklusive.
©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper
©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper
©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper
©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper
Schließlich will er seine geliebte Rosina aus den Fängen des patriarchalischen Don Bartolo befreien. Und dazu braucht es einen Barbier, der seine Nase unverhohlen und überall in die gesellschaftlichen Pikanterien hineinsteckt und sie in ebenso pfiffiger Drahtziehermanier ganz unverschämt hineinversenken kann.
Eine Pomade hier, ein Abführmittel dort und immer mittendrin im privaten Geschehen derjenigen, die sich ganz gewiss auf die Unterstützung des Homo novus verlassen können.
Dass diese durchtriebenen Machenschaften Chaos verbreitet, lässt sich im Getümmel der intriganten Betriebsamkeit nur schwerst vermeiden.
Gleich mit der orchestralen Einführung in Figaros Arie "Largo al factotum", singt sich der vollmundige Bariton Étienne Dupuis in die köstlich amüsierten Herzen des Publikums.
Selbstgefällig und mit elastischer Vokalathletik ausgestattet, trällert der Babier von Sevilla sein "la,la,la,la" mit stolzer Brust so unbeschwert mühelos aus den Tiefen seines schokoladensamtigen Baritons heraus, dass man die schwerelose Unbekümmertheit vokal voll und ganz zu spüren bekommt.
©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper
©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper
Dupuis beherrscht die Kunst des belcantischen Gesangs in Formvollendung, obgleich die baritonale Schwere so viel vokale Duftigkeit kaum vermuten lässt.
Lustig und mimisch so extrem tragikomisch, dass es fast schon etwas albern und überzogen wirkt, schlägt sich der einflussreiche Dottore Don Bartolo im Kampf um die Gunst seines Mündels Rosina mehr schlecht als recht.
Der italienische Bass Paolo Bordagna überzeugt auf ganzer Linie. Optisch zu einem lächerlichen Antihelden degradiert, was sich auch schauspielerisch gekonnt zu Buche schlägt, besticht der Gesang mit stimmlich sonorem Tiefgang, wechselt zwischen Komik und Dramatik und komplementiert so den multifacettierten Charakter der Rolle, die eigentlich nur aus der Oberflächenperspektive lächerlich erscheint.
Rosina, die Frau zwischen den rivalisierenden Herren Don Bartolo und Conte Almavia, die von der Mezzosopranistin Vasilia Berzhanskaya verkörpert wird, fällt nicht nur durch ihre außergewöhnlich rosafarbene Haarpracht auf.
So üppig, glänzend und akkurat strukturiert wie die ästhetisch anmutende Perücke, ist auch ihr bezirzend feiner Schöngesang, der für ambitusreiche Überraschungsmomente sorgt.
©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper
In den tiefen Registern so gut zu Hause wie in der sicheren Mittellage, bewältigt die lange Stimme exponierte Tonhöhen mit kristallklarem Feinschliff und perlender Brillanz.
Die Unschuld in Person spielt sie mit kindlicher Naivität und reiht sich damit in die superlative Riga der ausgesprochen genialen Sängerdarsteller ein.
Orchestral verlangt das Meisterwerk Rossinis dem Dirigat eine ganze Menge Expressivität und klangpoetische Strahlkraft ab.
Was leicht, mühelos, duftig, verschnörkelt und eben mal so dahingeplänkelt klingt, erfordert Präzision, eine spannungsgeladene Dynamik und rhythmische Punktgenauigkeit, um den geballten Temporeichtum und die komödiantische Verrücktheit mit den dramatischen Einschüben in harmonischen Einklang zu bringen.
So unangestrengt wie der Barbier von Sevilla auch klingen mag, er bleibt eine musikdramaturgische Herausforderung für jeden, der sich seiner Leichtigkeit ermächtigen will.
©Video über youttube zur Verfügung gestellt
Arte Concerts strahlt den an der Wiener Staatsoper im Oktober 2021 neuinszenierten Barbier von Sevilla in voller Länge aus.
©Video über youttube zur Verfügung gestellt
In der Einführungsmatinee an der Wiener Staatsoper berichten die Sängerdarsteller über die Neuinszenierung und über ihre jeweiligen Rollen.
Der Barbier von Sevilla ist an folgenden Terminen an der Wiener Staatsoper zu sehen:
04. Juni 2022
07. Juni 2022
09. Juni 2022
12. Juni 2022
Karten können unter folgendem Link bestellt werden: