16. APRIL 2019 // by Nicole Hacke
UNAUFGEFORDERTE WERBUNG
Carmen, zieh Dein schönstes Kleid an! Als gestern die Inszenierung der Carmen von George Bizet an der Hamburger Staatsoper lief, war klar, dass bei dieser Vorstellung das Haus komplett ausverkauft sein würde, denn kein anderer als Jonas Kaufmann sang an diesem Abend die Rolle des Don José. An seiner Seite spielte und sang Clementine Margaine das Vollblutweib Carmen.
Carmen, ja was erwartet man wohl von so einer französischen Oper? Spanisch anmutende Klänge, eine belebte Straße irgendwo in Sevilla, Hitze, Glut, rassige Frauen, Machos, Flamencotänzerinnen, Torreros und gehörnte Männer. All das macht tatsächlich das Werk von George Bizet aus. Und im Mittelpunkt des zuerst heiteren Spektakels steht Carmen, eine schöne, rassige, temperamentvolle und sinnliche Frau, die sich in die Liebe und die Männer verliebt. Carmen verdreht allen den Kopf und genießt in vollen Zügen ihre kurzweiligen Liebeleien, bis sie Don José begegnet, der für sie sein Leben in der Armee aufgibt, nur um mit ihr zusammensein zu können.
Ein folgenschwerer Fehler, wie sich bald herausstellt, denn Carmen spielt mit den Gefühlen von Don José und lässt ihn schon bald für den Torrero Escamillo links liegen. Wutentbrannt und voller Eifersucht bekehrt Don José Carmen bei ihm zu bleiben, vergeblich. Carmen lässt sich nicht an sich binden. Sie will frei und ungebunden sein und lässt sich von ihrer Entscheidung, Escamillo zu folgen, nicht beirren. Ein fataler Fehler, der sie mit dem Tod bestraft. Don José ersticht seine Carmen während das Eifersuchtsdrama zwischen beiden Parteien eskaliert.
© Fidelio
George Bizet ist mit diesem letzten seiner Opernwerke ein Glanzstück gelungen. Wunderschöne Arien, die man fast schon mitsingen kann, rhythmisch erheiternde spanische Klänge und eine Handlung, die nicht dichter am realen Leben dran sein könnte. Immer wieder ermorden Männer ihre Frauen aus purer Eifersucht. Dieses Thema ist nicht neu, nur im Alltag viel banaler als vor dem Hintergrund einer spanischen Kulisse mit stolzen Männern, die das Klischee der messerstechenden Machos nur noch potenzieren. Und Carmen, die Verfüherin, das lockende Weib, ist keine oberflächliche Dirne.
Sie ist eine selbstbewusste Frau, die weiß, was sie will und sich im Leben nimmt, was sie braucht, ohne Rücksicht auf Verluste. Sie fragt nicht, sondern sie fordert. Und sie fordert dabei ihre Rechte auf Freiheit und Gleichberechtigung ein. Unterwerfung ist ihr ein Fremdwort. Und all das in einer von Männern dominierten Welt. Dieses so wunderschön portraitierte Frauenbild könnte nicht aktueller sein.
Bizet hatte es bereits damals schon zu seinem Leitthema für diese Oper gemacht. Trotz ihrer eigensinnigen, dominanten Art, spielt Carmen dennoch die Verfüherin, denn weibliche Reize sind nach wie vor die ultimativen Waffen einer Frau. Ihr Pech nur, dass sie an einen Mann gerät, der weder modern, noch offen denkt, sondern in alten Rollenbildern gefangen ist.
© Royal Opera House London
Die Inszenierung, die man sich leichter, zuweilen hitziger und temperamentvoller vorgestellt hätte, war in ihrer Gesamtheit doch etwas flach und steif. Wenig Bewegung war in diesem Stück, dass doch eigentlich nur so vor Rhythmus sprüht und an gegebener Stelle zum feurigen Tanz hätte animieren müssen. Das Bühnenbild war stimmig, nicht zu puristisch, sondern der Moderne adequat angepasst.
Gesanglich und musikalisch ergab sich ein eindrucksvoller, harmonisch ausgeglichene Klangteppich. Kein Solist scherte wirklich aus der Reihe. Das Niveau der Gesangsdarbietungen war qualitativ hoch.
Das Zusammenspiel von Carmen und Don José ließ leider an lodernder Leidenschaft zu Wünschen übrig, wirkten doch die Liebesszenen etwas aufgesetzt und ungelenk. Clementine Margaine überzeugte aber durchaus mit ihrer gesanglichen Leistung und bestach durch ihren sonoren, ausgereiften Mezzo, der auch an den richtigen Stellen nur so vor Temperament sprühte.
Jonas Kaufmann steigerte sich im Laufe des Abends sowohl schauspielerisch als auch gesanglich immer mehr in die Rolle des Don José hinein und erreichte seinen Zenit in der Schlussarie des letzten Aktes. Mit mörderischer Wut, ausgereiftem Hass und blindem Zorn zerrte er an Carmen, riss sie immer wieder an sich heran, ließ sie nicht los und erstach sie so gnadenlos und voller Wucht, dass die Wände der Opernbühne hätten beben müssen. Und ich hatte mal wieder meinen Gänsehautmoment, den ich immer nur dann habe, wenn ich echte, tiefe Gefühle spüre. Bravo Herr Kaufmann, Bravissimo!!