ist musikalisches Talent zufall?

04. JUNI 2020

©Nicole Hacke

Wo kämen wir denn da hin, wenn wir uns einfach auf unserem Talent ausruhen könnten! Im Leben wird uns nichts geschenkt. Und wenn von Gott gegeben, uns Talent in die sprichwörtliche Wiege gelegt wurde, dann bleibt es auch meistens in den Kinderschuhen stecken, wenn wir es nicht nähren, stark und groß machen.


Wir können mit noch so viel Begabung, mit noch so viel Talent gesegnet sein. Doch ohne Ehrgeiz, Fleiß, Ausdauer und Übung werden wir nicht zum Meister unseres Fachs, wird die Blüte unserer Gaben auf ewig verkümmert in ihrer Knospe verharren.


Braucht es für die Musik Talent?


Tatsächlich wird es ohne Talent schwierig, ein Musikinstrument bis zur Perfektion zu erlernen. Über die Basis und ein solides praktisches Vermögen wird ein unbegabter Mensch kaum hinausreichen, selbst wenn er sich dafür strebsam Tag und Nacht abmüht. Ohne ein musikalisches Gehör und das Empfinden Melodien sauber und korrekt nachzuspielen, ohne jegliches Rhythmusgefühl ist quasi Hopfen und Malz verloren, denn ohne diesen ausgeprägten Sinn, der für das Musizieren unabdingbar ist, kann niemals ein Instrument virtuos erlernt werden. Doch Talent allein genügt ebenfalls nicht. Es kann verkrüppeln, wenn man es nicht regelmäßig fordert.

 

Ich erinnere mich noch gut, als ich mit 12 Jahren das Klavierspielen erlernte und bei meiner allerersten Stunde vor einer unüberschaubaren Klaviatur saß, auf der die weißen und schwarzen Tasten für mich allesamt gleich aussahen.
Wo fing die Tonleiter an? Wo hörte sie auf? Wo war das hohe C? Wo begann das hohe und wo endete das tiefe Register? Es war mir schier schleierhaft.

 

©Nicole Hacke

Als ich dann noch von meiner Klavierlehrerin instruiert wurde erst mit der rechten Hand die Melodie eines Walzers nachzuspielen und prompt noch mit der begleitenden linken Hand in die Melodie einzustimmen, kapitulierte ich beinahe, denn meine Hände verstanden in dem Moment überhaupt nicht, wie die eine Hand etwas komplett anderes als die andere tun konnte.
Damals waren meine sensomotorischen Fähigkeiten auf diesem Gebiet nur sehr gering ausgeprägt. Wie hätte es auch anders sein sollen? Schließlich hatte ich keine Erfahrungen und völlig unausgereifte Fingerfertigkeiten. Zu alledem fehlte mir schlichtweg die Übung.


Nachdem ich dann mehrere Stunden zu Hause am Klavier saß und immer wieder versuchte, beide Hände miteinander zu koordinieren, kam ich anfangs holprig und ungelenk, dann zunehmend sicherer in einen geschmeidigen Fluss. Je mehr ich übte, je mehr ich meine Finger geschmeidig trainierte, desto selbstverständlicher wurde das Zusammenspiel beider Hände. Irgendwann wurde es zu einem Selbstläufer.


Womit hängt das zusammen?


Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass intensives Üben zu anatomischen Änderungen in unseren Gehirnstrukturen führt, was wiederum Einfluss auf die Sensomotorik und die Hörwahrnehmung hat. Umso mehr wir also unserer Fingerfertigkeiten an einem Instrument trainieren, je mehr Stunden wir damit verbringen Übungsabfolgen rauf und runter zu spielen, desto virtuoser und perfekter wird unsere Technik. Wollen wir immer besser werden, müssen wir dran bleiben und uns weiter steigern. Darin liegt das Geheimnis eines herausragenden Musikers. Üben, Üben und noch mehr Üben.

 

©Nicole Hacke

Daher ist es wohl kaum verwunderlich, dass ein professioneller Pianist im Schnitt zwischen 5 und 7 Stunden am Tag fleißig auf seinem Klavier herumhämmert, vergleichsweise ambitioniert wie ein Hochleistungssportler, der die Latte zum Hochsprung immer höher setzt.

 

Doch Achtung: wer einmal angefangen hat regelmäßig und intensiv zu trainieren und sich dabei auf ein hohes Niveau eingependelt hat, der darf auf keinen Fall wieder damit aufhören. Denn so zäh und mühsam, wie man sich sein Können erarbeiten muss, so schnell gehen diese Fertigkeiten auch wieder verloren - und zwar schneller als man denkt. Hört man einmal für längere Zeit mit dem Musizieren auf, ist der Wiedereinstieg quälend schwer, denn unser Gehirn ist ständig anatomischen Änderungen ausgesetzt, je nachdem, wie wir es fordern oder eben nicht fordern.


Ist musikalisches Talent nun Zufall oder nicht?


Ich bin der Überzeugung, dass Talent kein Zufall ist. Wir werden ganz sicher nicht einfach so mit musikalischem Talent geboren und in die Wiege hat es uns Gott auch nicht gelegt. Vielmehr glaube ich, dass Talent in seiner Veranlagung verstärkt durch verschiedene externe Faktoren bedingt wird. So kann ein Baby bereits im Mutterleib mit klassischer Musik beschallt worden und als Kind dann immer wieder damit in Berührung gekommen sein.

 

Daraus kann sich dann durchaus eine Leidenschaft entwickelt haben oder die Eltern des Kindes haben dafür gesorgt, dass eine musikalische Früherziehung stattfand, damit ein Instrument erlernt werden konnte oder die Singstimme ausgebildet wurde.

 

©Nicole Hacke

Tatsächlich braucht Talent eben auch seinen Entdecker und muss stringent gefördert und gefordert werden. Die Initialzündung hingegen sind wir selbst. Der tiefe Wunsch musizieren zu wollen, singen zu wollen und das über das Maß des Beiläufigen hinaus, ist geprägt von einer Besessenheit, die gepaart mit Leidenschaft und unbändigem Willen dazu führt, dass wir quasi gar nicht anders können, als unsere ganze Energie, Kraft und Ausdauer auf das Perfektionieren dieser einen Fähigkeit zu konzentrieren und diese Kräfte genau an der Stelle zu bündeln.


Das mag nach Tunnelblick, das mag nach einspuriger Lenkung aller zur Verfügung stehenden persönlichen Ressourcen klingen, und ja, genau das ist es auch. Menschen, die ihr Talent potenzieren und für höhere Zwecke nutzten und einsetzten wollen, beschäftigen sich tagtäglich ausdauernd und unersättlich von Leidenschaft besessen, über mehrere Stunden, fast schon ihr ganzes Leben mit der bewussten Weiterentwicklung dieser einen besonderen Gabe.


Deshalb kann Talent auch niemals nur ein Zufallsprodukt sein, denn ohne den bedingungslosen Leistungswillen, sich permanent weiterentwickeln zu wollen, kann Talent sicherlich niemals zu absoluter Vollkommenheit reifen!

 

Eure

 


"Die heilende Kraft der Musik" ist eine fundierte Anleitung für all diejenigen, die verstehen wollen, warum Perfektion und Talent in der Musik eine starke Einheit bilden. Nur Übung macht den Meister und von Nichts kommt bekanntlich auch Nichts. Wissenschaftlich recherchiert, erfährst Du hier, wie viele Übungsstunden es braucht, um zum Beispiel ein virtuoser Geigenspieler zu werden. Tagtäglich und mehrere Stunden Training, fast wie bei einem Leistungssportler, trennen die Spreu vom Weizen - und da ist Talent tatsächlich nur die halbe Miete.

 

Ein toller Lesestoff für alle musikbegeisterten Theoretiker und Praktiker!

 


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