Ein Neujahrsgruß zum Nachdenken. Auf das Oper und klassische Musik nicht in der Versenkung kulturarmer Trostlosigkeit verschwinden

01. Januar 2025

Rubrik Oper

©Dieter Nagl / Wiener Philharmoniker

Wäre damals in den 80er Jahren der Konservenhersteller Bonduelle nicht gewesen, woher hätte dann der Radetzky Marsch von Johann Strauß, Vater bloß seine ohrwurmträchtige Popularität erlangt? Für einen Werbespot und ein paar im Takt marschierende Maiskolben hat es jedenfalls gereicht, um meinem musikalischen Bildungsniveau auf die Sprünge zu helfen.

 

Schließlich summe ich beim heutigen Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker ganz versiert die eingängige Melodie wie aus dem Effeff mit, den Werbetext dabei stumm herunterratternd.

 

Von Nicole Hacke

 

"Ja der Mais, ja der Mais, ja der Mais marschiert..." Genauso erklang die Werbebotschaft zum Abwinken oft aus damaligen Fernsehröhren. Und die Fangfrage meines Vaters lautete jedes Mal, welcher Strauß wohl den berühmten Marsch komponiert habe?

 

Während ich gebannt auf den Bildschirm starre und der letzten Darbietung des begnadeten Riccardo Muti und den Wiener Philharmonikern lausche, kann ich mich eines leisen Schmunzelns nicht erwehren.

 

Selbstredend ist es der Strauß-Dynastie zu verdanken, dass flotte Märsche, schwindelerregende Dreivierteltaktmelodien und süffig satte Polka-Klänge als gelungener Auftakt dem neuen Jahr ganz schön Beine machen.

 

Zackig und sehr schneidig gestaltet der italienische Maestro am Pult das Neujahrskonzert im Wiener Musikverein und gibt auch dem Publikum die Einsätze zum Mitklatschen auf unwiderstehlich dynamisch Art und mit messerscharfer Punktgenauigkeit.

 

Der goldene Saal, in dem es vor so viel rhythmisch-temperamentvoller Würze zu brodeln scheint, glänzt nicht nur gülden von Balkonen, Decken und Lüstern, sondern erstrahlt hauptsächlich durch die berauschenden Klänge, die solch wunderbare Sogwirkung entfalten, dass ich glatt vergesse, nicht wirklich live, sondern nur live zugeschaltet dabei sein zu dürfen.

 

Verloren in meiner Welt aus tonaler Magie genieße ich in abwesender Anwesenheit das Neujahrsfest mit meiner griechischen Familie, die, während ich versuche, meine Konzentration voll und ganz auf das konzertante Geschehen im Fernsehen zu lenken, laut und wild durcheinander schwadronierend überhaupt kein Interesse für die einzigartigen musikalischen Ergüsse zeigt.

 

Viel zu wichtig ist die soziale Dauerberieselung untereinander, als das man der Musik für wenigstens 1, 5 Stunden den Vortritt lassen könnte.

 

Doch noch viel wundersamer erscheint mir, dass ich mal wieder die Gestalt eines Aliens annehme, wie ich da so hochkonzentriert und stumm auf den Bildschirm starre, meine Füße im Takt der Musik auf und ab wippe und kein Wort mehr von mir gebe.

 

"Sie liebt die Kultur", höre ich meinen Mann entschuldigend in die Runde einwerfen, was in etwa so klingt, als würde ich abstruserweise im Zirkus auf dem Hochseil balancieren können, Salto mortale inklusive.

 

Aus den Augenwinkeln erkenne ich das große Erstaunen in den völlig perplexen Gesichtern, auf denen sich übergroße Fragezeichen abzubilden scheinen. Darauf folgt ein kurzer Moment peinlichen Schweigens. Und dann interessiert sich auch schon keiner mehr für das Thema "Klassische Musik".

 

Traurig, nicht wahr? Und doch so wahr, denn auf dem griechischen Festland unweit von Thessaloniki kommt man mit klassischer Musik so gut wie nicht in Berührung.

 

Während ich in Hamburg meine Leidenschaft für Oper und klassische Musik in der Hamburgischen Staatsoper, in der Elbphilharmonie und in der Laeizhalle aufleben lassen kann, suche ich in den kleinen griechischen Städten vergeblich nach einen Konzerthaus, von einem Opernhaus ganz zu schweigen. 

 

Kultur scheint hier am Tiefpunkt einer feingeistigen Rezession angelangt, es sei denn man addiert exzessiven auswärtigen Kaffeekonsum und restaurantintensive Völlerei zu den Errungenschaften kulturellen Erlebens hinzu. Athen mag da noch eine Ausnahme von der Regel bilden.

 

Doch Fakt ist, die klassische Musik in Griechenland kennt nur die Callas, während es in Deutschland zumindest noch 72 Opernhäuser gibt, jede größere Stadt ein Konzerthaus vorweisen kann und die Gegenwart mindestens zwei große noch lebende Künstler von Rang und Namen vorzuweisen hat, die auch ein Opernfremder wie aus der Pistole geschossen nennen kann: Anna Netrebko und Jonas Kaufmann.

 

Aber mal ganz ehrlich: Wer diese beiden Opernsänger namentlich kennt, aber noch nie in der Oper war, hat  lediglich eine Alibi-Referenz für kulturelle Bildung vorzuweisen.

 

Und das ist ein ebenso schlimmes Armutszeugnis, wie auf eine Maria Callas stolz zu sein, für die man sich rein künstlerisch überhaupt nicht interessiert.

 

Aus dem Grund, finde ich, muss es unbedingt und dringend ein Gegenprogramm zur fortschreitenden Kulturresistenz geben. Schließlich droht Deutschland, wenn den kulturellen Einsparungen nicht doch noch Einhalt geboten wird, der feingeistige Exitus.

  

©ORF / Günther Pichlkostner

 

Und das wird sich dann in etwa so befremdlich anfühlen, wie ich es seit fast 2 Monaten in dieser trostlosen und kulturlosen Kleinstadt erlebe, in der es weder ein Kino, ein Theater noch ein Opern- oder Konzerthaus gibt.

 

Der einzige helle Lichtblick, das örtliche Trachten-Museum, das ich dort sehr gerne vor ein paar Wochen besucht hätte, versauert zu meiner großen Verwunderung ebenfalls im stillen, dunkeln Kämmerlein unbesucht vor sich hin, da sich niemand die Mühe macht, es für Interessierte zu öffnen.

 

Auf einen Anruf, mit der Bitte, um Besichtigung, kam bis heute keine Rückmeldung, was ich ebenfalls als sehr, sehr trauriges Resultat für die Nicht-Bewahrung von Traditionen empfinde.

 

Und wenn Sie mich jetzt fragen, ob nicht etwa in Thessaloniki, der nördlichen Hauptstadt Makedoniens, mehr los sei, dann kann ich das zwar nicht direkt verneinen.

 

Schließlich ist die Stadt reich an Sehenswürdigkeiten, Museen und Monumenten. Aber wenn es schlichtweg um die Oper geht, dann ist das dargebotene Programm mehr aus nur mau.

 

Das ist hauptsächlich auch der Grund, warum es auf meinem Portal um meine Rezensionen gerade etwas stiller geworden ist.

 

Ganz ehrlich und unter uns: Ich freue mich außerordentlich darauf, in wenigen Tagen wieder nach Deutschland zurückzukehren, um dort das Leben führen zu dürfen, dass noch reich an Opernkultur und klassischer Musik ist. Allerdings stellt sich mir im schonungslos brutalen Vergleich mit der ehemaligen Hochkultur Griechenlands schon jetzt die Frage: Wie lange wohl noch?

 

Wenn geistige Bildung, kultureller Feinsinn und eine musikalische Grundausstattung im sozialgesellschaftlichen Miteinander mehr und mehr abhanden kommen, wie stellen wir uns dann die Fülle eines bereichernden und bildungsreichen Lebens vor?

 

Können Sie sich vorstellen, tagein, tagaus nur noch Kaffee trinken und Essen zu gehen und auf Traditionen, Kunst, Kultur und Musik zu verzichten? Was glauben Sie, wie schnell Sie wohl in so einem Umfeld kulturell aushungern und peu à peu anfangen abzustumpfen?

 

Mein Motto für 2025 lautet daher:

 

Auf das die Oper und die klassische Musik nicht in der Versenkung kulturarmer Trostlosigkeit verschwinden und uns als  starke Säulen der Menschlichkeit und des geistigen Reichtums erhalten bleiben! In dem Sinne, anbei mein wunderbarer, erlebnisreicher und kulturintensiver Rückblick auf das Jahr 2024 mit 10 ausgewählten Opern-, Konzert- und Festival-Highlights!

 

Jonas Kaufmann erotisiert mit samtweichem Klangschmelz und verklärt romantischer Filmmusik im Smetana Saal in Prag

09. Dezember 2024

Rubrik Konzert

©Petr Dyrc

Filmmusik kann der Mann jetzt auch noch! Aber sicher! Jonas Kaufmann, der Tenor der Tenöre weiß schließlich um sein einzigartiges Potenzial, das sich in gesanglicher Versatilität ausdrückt und mit beeindruckender Wandelbarkeit auftrumpft.

 


Feuerwerk der Gefühle mit einer verzweifelt-beseelten Anna Netrebko und einem grandiosen Brian Jagde bei der Eröffnung der Mailänder Scala-Saison

08. Dezember 2024

Rubrik Oper

©Brescia-Amisano /Teatro alla Scala

Was für eine Anna Netrebko! Was für eine Geschichte. Grandios inszeniert, zeigt sich am heutigen Abend an der Mailänder Scala wie Oper richtig packend und fesselnd auf die Bühne gebracht werden kann. Dabei hat sich der Regisseur etwas ganz besonderes für die dramaturgische Erzählung von Verdis epischem Meisterwerk "La Forza del Destino" überlegt.

 


Die Accademia Nazionale di Santa Cecilia bebt, wenn Buratto, Tetelman und Tèzier Puccinis Tosca leidenschaftlich aufflammen lassen

22. Oktober 2024

Rubrik Konzert

©Accademia Nazionale di Santa Cecilia / Tosca

Sie ist die Oper für Einsteiger. Aber sie ist ebenso fesselnd, packend und aufregend, wenn man sie bereits zum 100sten Mal gehört und gesehen hat. Bei Puccinis Tosca wird einem nie langweilig, auch dann nicht, wenn sie konzertant dargeboten von drei ganz besonderen Opernstars in Leidenschaft entflammt.

 


Herrlich polarisierender Don Carlo an der Wiener Staatsoper und eine göttliche Asmik Grigorian

09. Oktober 2024

Rubrik Oper

©Frol Podlesnyi / Wiener Staatsoper

Was wäre die Oper, wenn sie nicht auch manchmal polarisieren würde? Don Carlo an der Wiener Staatsoper schafft das in jedem Fall recht gut. Schließlich heißt der inszenatorische Urheber des skandalösen Malheurs Kiril Serebrennikov, der sich des historischen Stoffes angenommen...

 


Anna Netrebko kam, sang und siegte beim Senkrechtstarter Nabucco in der Staatsoper unter den Linden

07. Oktober 2024

Rubrik Oper

©Bernd Uhlig / Staatsoper Unter den Linden

Da kann man schon mal in Ohnmacht fallen, wenn Anna Netrebko in einer Neuinszenierung von Verdis Nabucco an der Staatsoper unter den Linden ein königlich rauschhaftes Fest mit allen Sinnen abfeiert. Leider, muss man mit Bedauern und Anteilnahme für diejenige welche bemerken...

 


Aigul Akhmetshina, der neue Stern am Opernhimmel macht Oper für Alle zu einem sinnlichen Fest

20. September 2024

Rubrik Konzert

©Geoffrey Schied / Oper für Alle

Wie aus dem Nichts wurde sie in die Welt der Oper katapultiert. Nun steht sie auf den großen Bühnen und zieht eine so große Show ab, dass einem schier die Luft weg bleibt vor so viel Temperament und Charisma. Aigul Akhmetshina strahlt an diesem Abend funkelnd hell an der Seite des international gefeierten Tenors Piotr Bezcala...

 


Andrè Schuen bewegt mit seinem Liedgesang ein freudig tobendes Publikum bei der Schubertiade Schwarzenberg

30. August 2024

Rubrik Konzert

©Schubertiade Schwarzenberg

Schon häufig kam mir zu Ohren, dass Andrè Schuen einer dieser besonderen Liedsänger sei, vor dem man sein Gehör absolut nicht verschließen solle. Und so spitze ich meine Ohren extraweit, um tief hinab in die tonmalerischen Poesien einzutauchen, die der Südtiroler Bariton an diesem Liederabend bei der Schubertiade Schwarzenberg zum Besten gibt.

 


Der Freischütz als packend gruseliger Thriller bei den Bregenzer Festspielen am Bodensee

27. August 2024

Rubrik Oper

©Bregenzer Festspiele / Anja Köhler

Dieser Freischütz ist nicht zu fassen. Er ist sozusagen ein wahrgewordener Traum all jener Musikliebhaber, die noch vorhaben, sich in die Oper zu verlieben. Und das geht mit Philipp Stölzls märchenhafter Inszenierung bei den diesjährigen Bregenzer Festspielen außerordentlich wunderbar.

 


10 Jahre und kein bisschen leise: Das Hannover Klassik Open Air strahlt mit Pretty Yende tonal aus jeder Pore

25. August 2024

Rubrik Konzert

©NDR / Helge Krückeberg

10 Jahre und kein bisschen leise. Seit 2014 hat sich das Hannover Klassik Open Air in einem rasanten Tempo einen  großen Namen gemacht. Etabliert ist es somit längst. Und dennoch gilt es unter Liebhabern der klassischen Musik als ganz besonderer Geheimtipp. Kein Wunder...

 


Riccardo MUti, ein Fels in der Brandung der aufbrausenden Wiener Philharmoniker bei den Salzburger Festspielen

16. August 2024

Rubrik Konzert

©SZ / Marco Borelli

Sie ist eine Gigantin unter den Symphonien. Sie greift den Faden Beethovens neunter Symphonie gekonnt auf und erscheint dennoch mächtiger, urgewaltiger und unverwüstlicher als jedes andere Werk, das meine Ohren je zum Staunen gebracht hat. An diesem Nachmittag im Großen Festspielhaus in Salzburg spielt...

 

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