Bewegendes Puppenspiel und ein berührender Fidelio im Salzburger Marionettentheater

18. August 2024

Rubrik Oper

©Nicole Hacke / Operaversum Magazin

Wenn die Puppen im Salzburger Marionettentheater tanzen, werden Träume für Groß und Klein wahr. Auch die Geburtsstunde dieser auf der Welt einmaligen Marionetten wurde für seinen Gründer und Erfinder Anton Aicher zu einem wahrgewordenen Traum, den sich der passionierte Bildhauer am 27. Februar 1913 erfüllte.

 

Klein, aber oho waren seine ersten Puppen, die mit gerade mal 20 - 30 cm Länge Leichtgewichte darstellten und um der authentischen Bewegungsabläufe willen unter den Fußsohlen mit Blei versehen wurden.

 

Von Nicole Hacke

 

Jeder Schritt und jeder Tritt dieser zauberhaft filigranen Puppenwesen sollte echt wirken und vor allem natürliche Gehgeräusche machen.

 

Heute haben sämtliche Marionetten eine so prominente Größe erreicht, dass sie nun nicht mehr beschwert werden müssen, um mit Bodenhaftung auf dem Parkett der Bühne bewegt werden zu können.

 

Und dennoch: Die Marionettenführung, die einzigartige Spieltechnik, die über ein spezielles Führungskreuz erfolgt, bedarf einer 5 - 7-jährigen Ausbildungszeit, die Ausdauer und ein Höchstmaß an Einfühlungsvermögen benötigt, damit sich sein Spieler mit Leichtigkeit in die Charaktere der Marionetten hinein versetzen kann.

 

©Nicole Hacke / Operaversum Magazin

©Nicole Hacke / Operaversum Magazin

©Nicole Hacke / Operaversum Magazin

10 Marionettenspieler, die allesamt weiterführende Tätigkeiten am Haus innehaben, sich entsprechend ihren individuellen Neigungen in der Schneiderei, Malerei oder auch in der Puppenschnitzerei verwirklichen, beherrschen die hohe Kunst, die an 12 Fäden fixierten Marionetten in Hand versierter Feinarbeit  zum Leben zu erwecken.

 

Das ist immens wichtig, denn nur, wer es versteht, fließende Bewegungen und eindeutige Gesten aus seinen jeweiligen Puppen herauszuarbeiten, kann damit Emotionen ins Publikum transportieren.

 

Diese spezielle Spielpraxis, die einzigartig für das Salzburger Marionettentheater ist, wurde 2016 von der Österreichischen UNESCO-Kommission zum immateriellen Kulturerbe erklärt.

 

Ebenso einzigartig ist auch die Tatsache, dass mit der ersten Aufführung ab 1913 Opernproduktionen im Fokus des Erfinders standen. Nicht ausschließlich für Kinder gedacht, ist das Salzburger Marionettentheater primär eine Spielstätte für musikalische Erwachsenenträume, in der die Oper eine besondere Hauptrolle spielt.

 

Insgesamt  zahlen 160 Vorstellungen auf das weitgefächerte Repertoire des Marionettentheaters ein, darunter Mozarts Zauberflöte, The Sound of Music, Fidelio, Hänsel und Gretel und Hofmanns Erzählungen.

 

©Nicole Hacke / Operaversum Magazin

Weitere Vorstellungen gehen über die österreichischen Landesgrenzen in die große weite Welt hinaus und erfreuen sich auch dort ausgesprochener Beliebtheit.

 

Doch der besondere Zauber liegt eindeutig im Erlebnis vor Ort, denn in einem Saal mit so viel barockem Prunk lässt sich das herrliche Puppenspiel in einem mehr als festlichen Rahmen genießen.

 

Dafür wurde der ehemalige Speisesaal des Hotels Mirabell im Jahr 1968 in das bis zum heutigen Tag genutzte Auditorium umfunktioniert, das durch beeindruckende Stuckdecken und gleichermaßen opulente Malereien besticht und einen aus dem Staunen kaum noch herauskommen lässt.

 

Das Salzburger Marionettentheater ist wahrhaft eine Welt voller Illusionen, in die man gerne und immer wieder hinabtauchen möchte.

 

Während jedoch viele Opernproduktionen mit Kostümopulenz aufwarten, zeigt sich eine Inszenierung, nämlich die von Beethovens Fidelio, ungewöhnlich reduziert und in all ihrer Ausgestaltung auf ein Höchstmaß minimalistisch.

 

©Nicole Hacke / Operaversum Magazin

©Nicole Hacke / Operaversum Magazin

©Nicole Hacke / Operaversum Magazin

Zeitgemäß und ohne viel Chichi wirken die Marionetten, die ganz ohne Gesicht auskommen, als Projektionsfläche für individuelle Interpretationsspielräume. Licht, Schatten und bewegungstechnische Akzente befeuern dabei sowohl Fantasie als auch emotionale Vielschichtigkeit.

 

Es ist ein Faszinosum, wenn sich plötzlich nach der Pause eine scheinbare Mimik aus den gesichtslosen Puppen herauskristallisiert, was ganz klar einer optischen Täuschung gleichkommt und dennoch als sehr lebendige Einbildung wahrgenommen wird, sodass man zwei bis dreimal die Augen fest zusammenkneifen muss, um der Wahrheit wieder in das gesichtslose Puppenköpfchen sehen zu können.

 

Da hat der Regisseur Thomas Reichert wahrhaft ganze Arbeit geleistet, der mit seinen abstrakten Puppenköpfen einen vorgeformten und dadurch festgelegten emotionalen Ausdruck unterbinden wollte.

 

Fantasien anregen, das Publikum dazu animieren, sich selbst ein Bild, einen Eindruck, eine eigene Idee zurechtzulegen, genau das war dem sympathischen Künstler von Anbeginn seiner inszenatorischen Reise wichtig.

 

Bei seiner kommenden Neuproduktion von Romeo und Julia konzentriert sich Thomas Reichert allerdings wieder auf Puppengesichter mit Charakter, die aber keinerlei Gefühlsregungen vermitteln sollen.

 

©Nicole Hacke / Operaversum Magazin

©Nicole Hacke / Operaversum Magazin

©Nicole Hacke / Operaversum Magazin

©Nicole Hacke / Operaversum Magazin

©Nicole Hacke / Operaversum Magazin

©Nicole Hacke / Operaversum Magazin

©Nicole Hacke / Operaversum Magazin

©Nicole Hacke / Operaversum Magazin

Er habe sich dieses Mal für Gesichter entschieden, da bei abstrakten Köpfen die Gefahr bestünde, dass der Zuschauer sich gedanklich zu sehr mit den fehlenden Gesichtern beschäftigte, was der Fantasie abträglich wäre. Das gelte es zu vermeiden. "Der Kopf gehört nicht ins Theater, denn mit dem Kopf macht man keine Erfahrung", so Reichert.

 

Tatsächlich haben es Neuproduktionen in sich, nicht nur, weil man sich im Marionettentheater vorab bereits mannigfaltige Gedanken über die Inszenierung machen muss, sondern auch, weil Kostüme geschneidert, ein Bühnenkonzept erarbeitet und die Charaktere der einzelnen "Figuren" festgelegt werden müssen.

 

Somit entstehen Kulissen sowie Zeichnungen für die Erstellung der neuen Marionetten. Es braucht ein ganzes Räderwerk vieler handwerklicher Ausrichtungen, um so eine Produktion innerhalb von zwei Jahren zu stemmen.

 

Nur ein Blick in die Puppenschneiderei reicht aus und es wird einem sofort klar, wie viel Aufwand und Detailliebe benötigt werden, um Chiffonblüschen, Brokatkleider, Spitzensäume, Lederschühchen oder aber allerlei kleinteilig applizierte Stickereien auf echte Miniaturlederjacken zu fertigen.

 

Aber damit noch längst nicht genug: Schließlich muss für jede neue kostümierte Rolle eine eigene Marionette geschnitzt werden, insbesondere dann, wenn Fäden durch ein Kleidungsstück hindurchgeführt worden sind.

 

©Nicole Hacke / Operaversum Magazin

©Nicole Hacke / Operaversum Magazin

Ein Umziehen der Puppe ist dann nämlich nicht mehr möglich, was beispielsweise dazu geführt hat, dass alle Kinder der Trapp-Familie aus The Sound of Music in dreifacher Ausfertigung vorhanden sind.

 

Ein letzter Blick hinter die Kulissen offenbart den großartigen Schatz, von sage und schreibe 600 Marionetten aus unterschiedlichsten Produktionen. Und allesamt sind es aktive, im Spielplan vorkommende "Bühnendarsteller".

Nur einer wurde lediglich für einen kurzen Videodreh geschnitzt:

 

Der deutsch-österreichische Tenor Jonas Kaufmann, der als Marionette verewigt in stiller und heiliger Nacht vor winterlicher Wunderkulisse an langen Fäden durch den Schnee stapft.

 

Auch zum Leben erweckt wird das Puppets-Festival, das noch dieses Jahr im Zeitraum vom 24. - 27. Oktober aus Anlass des 111. Geburtstags des Figurentheaters stattfinden wird. Fünf Compagnien aus Spanien, Frankreich, Italien und Deutschland werden dann so richtig die Puppen tanzen lassen.

 

Und wie könnte das besser gelingen, als mit Thomas Reicherts Neuinszenierung von Romeo und Julia, die ganz sicher mit Tiefe und Wahrhaftigkeit inszeniert, höhepunktreife Momente und ganz große Emotionen auf die Bühne des Salzburger Marionettentheaters bringen wird.

 

©Nicole Hacke / Operaversum Magazin

©Nicole Hacke / Operaversum Magazin

©Nicole Hacke / Operaversum Magazin

©Nicole Hacke / Operaversum Magazin

©Nicole Hacke / Operaversum Magazin

Hinweis: Bitte die mit * gekennzeichneten Felder ausfüllen.


Kommentare: 0