25. Januar 2025
Rubrik Oper
©Inken Rahardt / Opernloft
Mal wieder ist es soweit! Im Opernloft geht eine neue Produktion an den Start. Und nein, romantisch wird es nicht, wenn Romeo sich in seine Julia verliebt. Denn die Fronten der verfeindeten Familien sind nicht nur verhärtet. Sie sind so knochenhart, dass zwischen Hass, Drogenkonsum und viel zu lauter Musik kein Blatt mehr passt.
Völlig entzaubert, schlägt man sich, Macht der Fremdentscheidung, auf die Seite von Romeo. Ein rotes Bändchen am Armgelenk erinnert einen während des gesamten Abends daran. Ob man vielleicht lieber auf Julias Seite gewesen wäre? Aber darüber hat man keine Gewalt.
Von Nicole Hacke
Doch Gewalt ist heute und hier ein ganz großes Thema. Verklärte illusorische Gedanken darf man sich bei Gounods lyrisch-weichem Musikzauber ganz woanders machen, denn der Punk geht bereits ab, als vier Protagonisten die intime Fläche des Opernlofts betreten und einen auf ganz dicke Hose machen.
Dabei wummert es Hip-Hop-lastig aus Lautsprechern und man wundert sich nur noch, ob an diesem Abend wirklich Opernmusik geboten wird. Noch dazu wird man angefeuert, sich der "Romeo-Fraktion" lautstark anzuschließen. Und so tönt es lautstark "ROT" aus den Reihen der Romeos, während die "BLAUEN" ebenso kraftvoll tönend ihre Julia verteidigen.
Hart, härter am härtesten! In der Inszenierung von Susann Oberacker gibt es kein Vertun, dass man Probleme besser mit einem Faustschlag oder gleich mehreren lösen kann.
Inmitten dieses tumultartigen Gebarens treffen, wie könnte es auch anders sein, zwei Jugendliche aus den jeweils rivalisierenden Gangs aufeinander und verlieben sich Knall auf Fall.
©Inken Rahardt / Opernloft
©Inken Rahardt / Opernloft
Während man jetzt meinen könnte, sich auf die imaginäre Insel der "Romantik für Zwei" zu flüchten, wird einem auch diese Illusion schonungslos genommen.
Im Gangster-Paradies ist kein Platz für verklärt-dramatische Hochgefühle. Überhaupt versteht man im Laufe der Inszenierung, dass die Grundlage für das Liebesdrama der beiden Hauptprotagonisten nicht die rivalisierenden Gangs sind, sondern das Thema Gewalt als Leitmotiv in allen Facetten auseinandergenommen wird.
Denn inszenatorisch geht es gar nicht so sehr um Romeo und Julia, sondern vielmehr um kriegerische, emotionale, verbale und missbräuchliche Gewalt, bis das der Tod sie alle scheidet. Clever gemacht, wenn man darauf vorbereitet ist, sich von dem Gedanken zu lösen, die schönste Liebesgeschichte aller Zeiten erleben zu wollen.
Hass, Drogen und Fake News im modernen Kontext bereiten der aufkeimenden Liebe den Garaus, bevor sie überhaupt zu einer prachtvollen Blume herangedeihen kann. Willkommen in der Realität von heute, morgen und sicherlich auch übermorgen! Liebe? Fehlanzeige.
Kalt ist die Gesellschaft der Gegenwart. Mächtig sind die medialen Irrungen und Wirrungen, Fake News stehen an der Tagesordnung und Chaos beherrscht die Welt, die langsam aber sicher auseinanderzubrechen droht. Oder etwa nicht? Hier steht doch klar zwischen den Zeilen geschrieben: Wollen wir wirklich so leben? Schaut hin, das passiert, wenn Menschen sich nur noch bekriegen!
Kann man aber bei so viel hässlicher Auseinandersetzung der Schönheit der Musik Gounods überhaupt noch irgendetwas abgewinnen?
©Inken Rahardt / Opernloft
©Inken Rahardt / Opernloft
Aber "Hallo"! Julia, die von der Koloratursopranistin Anna Galushenko zum Besten gegeben wird, setzt mit ihrer liebreizenden Stimme farbenreiche Akzente und bricht mit ihren weichen und biegsamen Koloraturen das Eis zwischen den erstarrten Fronten.
Sie ist es auch die der Arie "Je veux vivre" einen irisierenden Hoffnungsschimmer verleiht. Wie jung kann das Mädel bloß sein, dass sich bei all der bewegungsaktiven Hin- und Herhüpferei auf der Bühne so viel kraftvoll strömende Lyrik verbreiten kann?
Nein, diese Arie ist kein leichtes Unterfangen. Denn im koloraturintensiven Höhenrausch wird die Luft zum Atmen schließlich immer dünner. Tatsächlich ist Anna Galushenkos Darbietung sehr beeindruckend, da sie auch dynamisch austariert emotionale Tiefgänge zur Genüge bereithält.
Ein wenig anders gestaltet sich das vokale Portrait des Romeo, der von Songyan He interpretiert, ein etwas zu forciertes Gesamtbild ergibt. Verliebtsein geht irgendwie anders.
Und auch stimmlich drückt der Mann, Macht seiner stentoralen Kraft, etwas zu sehr auf die Tube. Lyrisch differenziert, fein und elegant strömend, klare Linien, verbunden mit einem eigentümlich vernebeltem Zauber: "Ah, leve toi soleil". Da muss einem beim Zuhören doch die Sonne strahlend hell durch die Wolkendecke schießen.
Nun gut! Mein Fall ist der Tenor nicht, zumal ich mich von seiner gesanglichen und auch schauspielerischen Darbietung nicht habe überzeugen lassen können. Mehr Leidenschaft und mehr Leid. Das hätte zum "Dahinleiden" schmerzhaft süß werden können.
©Inken Rahardt / Opernloft
Ein bisschen mehr Zuckerbrot und Peitsche im Wechsel. Why not? Lindernde Versüßung wird einem aber zu guter Letzt noch durch Alina Behning und Timotheus Maas zuteil, die ihre Sache sehr gut machen.
Die Mezzosopranistin ist ein echter Typ, ne echte Gangsterbraut, die cool wirkt und dabei mit warmen Klangschmelz angenehm weiche Töne produziert. Im Nahkampf und in Zeitlupenoptik gestaltet sie ihre Rolle mit schauspielerischem Können, während sie ihrem Basskollegen ganz kräftig in den Allerwertesten tritt.
Der wiederum lässt sich das nicht gefallen und weist das brutale Weib mit Fausthieben in die Schranken. Musikalisch untermalt nicht etwa durch ein aufgeblähtes Orchester, sondern raffiniert umgesetzt mit Klavier, Klarinette und Kontrabass, merkt man gar nicht, dass weniger Klangteppich, oftmals und besonders in diesem Fall, sehr viel mehr sein kann.
Wer sich gerne mit der aktuellen Weltlage sowie mir der multifacettierten Frage auseinandersetzt, was Gewalt alles sein, auslösen und anrichten kann, der muss unbedingt ins Opernloft, um zu verstehen, warum Hass, Gewalt und Drogen der Liebe absoluter Tod sind.