Sonya Yoncheva berauscht mit märchenhafter Hingabe als Iolanta an der Wiener Staatsoper

08. April 2025

Rubrik Konzert

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

Es ist eine Oper wie sie im Bilderbuche steht und nicht märchenhaft entrückter sein könnte. Mit Iolanta ist dem russischen Komponisten Tchaikovsky ein grandioser musikalischer Wurf gelungen, der mit süffigen, klanglich satten und immerzu melodischen Fantasien in eine Märchenwelt der göttlichen Gestalten und feengleichen Wesen entführt.

 

Großartig, wie man sich dem Musiktheater auch auf konventionelle Weise annähern kann. Dem Regisseur Evgeny Titov, der noch dazu sein Hausdebüt an der Wiener Staatsoper feiert, ist eine spannende, packende und dennoch fantasievolle Inszenierung gelungen, die selbst zum Schluss noch mit einer unvorhergesehenen Klimax toppt und so dem Finale gekonnt die Krone aufsetzt.

 

Von Nicole Hacke

 

Kein Dornröschenschlaf, obgleich doch alles darauf hindeutet, dass sich auf einem mit Rosen übersäten Hügel eine Schönheit von magischer Anziehungskraft der Muße und dem Feinsinnigen hingibt.

 

Umflort von einer Schar ätherischer Hofdamen, die allesamt wie grazile Feen in durchsichtigen Gewändern umherschreiten, offenbart sich einem ein Schaubild, dass wohl nicht ästhetischer, anmutiger und weltentrückter sein könnte.

 

Noch dazu erlebt man gleich zu Beginn wie sich die schöne Iolanta in einem verwunschenen Waldstück an einem Bach in Sinnlichkeit badet.

 

Wieder ist sei dabei umgeben von der überirdischen Schönheit ihrer weiblichen Gefolgschaft, die im Takt der Musik ihre Arme in wellenförmigen Bewegungen langsam und genießerisch hin und herschwingt.

 

Was für ein Bild für die Götter, das fast schon anbetungswürdige Züge annimmt.

 

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

Spielt es da noch eine Rolle, dass Iolanta von all der Pracht des Lebens wenig mitbekommt. Schließlich ist die wohlbehütete Schöne blind und wähnt sich dabei noch in Gewissheit, dass wohl niemand, auch nicht ihr Umfeld, es vermag zu sehen. Ob wohl die Augen nur zum Weinen dienen?

 

Erst als sich der tapfere Graf Vaudémont zur Burg, in der Iolanta scheinbar ihren hundertjährigen Schlaf ausübt, hervorwagt, sie aus ihrem tiefen Schlaf erweckt, entwickelt sich nicht nur eine wundersame Magie zwischen den beiden, sondern es erwacht auch die schockierende Erkenntnis, dass Iolanta blind ist.

 

Der Graf kann nicht an sich halten und bekennt im Strudel der Verliebtheit nicht nur seine Gefühle, sondern auch die unvermeidliche Wahrheit.

 

Der Schock ist zuerst groß, aber dann erwächst in Iolanta eine innere Ruhe, so als ob durch die Wahrheit der innere Frieden in ihr eingekehrt wäre.

 

Auch wenn um sie herum alles dunkel und in tiefschwarze Nacht getränkt ist, so trägt sie dennoch ein Licht - und zwar in sich selbst.

 

Viel kann man in diese Inszenierung hineininterpretieren. Es spielen philosophische Gedanken über das Leben in dieser inszenatorischen Interpretation genauso eine Rolle wie die Frage nach Inklusion, Machtherrschaft, Entsagung sowie die Themen Liebe und Krieg.

 

Ja, letztendlich spielt auch der Krieg eine, wenn auch nur dem kurzen Augenblick gewidmete Rolle. Als Überraschungsmoment kurz vor Ende des letzten Aktes, fallen die Fassaden der auf Leinwand projizierten Burg in sich zusammen und offenbaren einen furchtbaren Kriegsschauplatz.

 

Plötzlich dringen wie aus dem Hinterhalt Soldaten nach vorne in das paradiesische Blumenmeer. Linker Hand liegt ein blutüberströmter Stier.

 

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

Was hat das bloß zu bedeuten? Geht es hier um den Ukrainekrieg und um ein gefallenes Europa. Den Zeitgeist würde es in jedem Fall auf den Punkt treffen. Aber was hat all das mit der Sinnlichkeit, dem Schönen, dem Märchenhaften und dem Weltentrückten gemein? 

 

Nun, alles im Leben setzt sich aus Extremem, Höhen und Tiefen, Krieg und Frieden zu einem kongruenten Ganzen zusammen, denn das Leben spielt sich doch genauso ab.

 

Wer sich vor allem aber in die Herzen des Publikums spielt, ist ganz klar Sonya Yoncheva, die in ihrer Rolle als Iolanta voll aufblüht.

 

Sie ist die schönste Rose auf dem grünen Hügel an diesem Abend. Sie ist es, die mit ihrem samtweichen und goldschimmernden Timbre zutiefst berührt und mit ihrer beseelten Interpretation der blinden jungen Frau zu Tränen rührt.

 

Satt und dunkel stemmt sie beeindruckend das mittlere und untere Register und glänzt ganz besonders auch in den exponierten Höhen, die sie kraftvoll und mit absoluter Strahlkraft in den Orbit des Auditoriums absetzt. 

 

Dieser Frau ist die Rolle der Iolanta wie auf den Leib geschneidert.  Was für ein märchenhaftes Gedeck aus gesanglicher und darstellerischer Perfektion. Sonya Yoncheva muss man einfach in dieser Charakterrolle lieben.

 

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

Auffallend und extrem überzeugend gestaltet sich auch das Rollenverständnis, dass Tenor Dmytro Popov gekonnt an den Tag legt. Seine Stimme ist nicht nur aus einem formvollendeten Guss, sondern sie ist ein ohrenschmeichelnder Genuss.

 

Wie sich der junge Künstler mit messerscharfer Brillanz in die Obertöne schraubt, wie fein und farbenreich seine im Pianissimo gestalteten Höhen erklingen. Wie elegant seine Mittellage im Pastellglanz schimmert. Dieser Tenor ist eine wahre Freude, ein gesangliches Amuse Gueule, um nicht zu sagen "Der Hauptgang".

 

Dabei strahlt es auch darstellerisch bei Dmytro Popov hell aus allen Poren. Den glücklich Verliebten nimmt man dem Sängerdarsteller voll und ganz ab. Da geht einem doch glatt die Sonne im Herzen auf.

 

Und nicht nur der Tenor vermag es, sie zum Leuchten zu bringen. Auch Ivo Stanchev als König Réne, Simonas Strazdas als Bertrand und Attila Mokus als Ibn-Hakia überzeugen mit einer Punktlandung in ihren jeweiligen Rollen.

 

Herausragend, obgleich die Rolle klein angelegt ist, strahlt auch der singende Stern einer Maria Nazarova, die als Brigitta in einen Rausch multifacettiertern Klangfarben verfällt.

 

Ihr Sopran schimmert immerzu kristalin, weich und fluid in das Auditorium. Irgendwie hat die stimme der russischen Sopranistin etwas Sphärisches und verliert sich in einer duftigen Leichtigkeit, die betörend und hypnotisierend zugleich ist. Einfach famos.

 

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

Und auch das Dirigat von  Tugan Sokhiev überzeugt auf ganzer Linie. Von dieser Musik kommt man aber auch einfach nicht los.

 

Selbst wenn man sie noch nie zuvor gehört hat, brennt sie sich einem so unmissverständlich und unauslöschlich in das musikalische Gedächtnis ein, dass man Mühe hat, sie wieder zu vergessen.

 

Will man aber auch gar nicht. Schließlich ist diese Oper ein musikalischer Hit. 

 

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