13. April 2025
Rubrik Oper
©Ruth Walz / Staatsoper Unter den Linden
Nach 10 Jahren nimmt die Staatsoper Unter den Linden die Dmitri Tcherniakov Parsifal Produktion in die Wiederaufnahme und das in einer Besetzung, die an sich schon jede Sünde wert ist. Doch kann sie überzeugen?
Aber beginnen wir mit der Story:
Die Gralsbruderschaft mit ihrem strengen Keuschheitsgelübde hütet zwei Reliquien, von denen die Brüder sich ewiges Leben erhoffen: den heiligen Gral und den heiligen Speer.
Von Heike Franke
Doch ihr Gralskönig Amfortas hat sich mit der geheimnisvollen Kundry versündigt, und so ist der Speer in die Hände des einst von der Bruderschaft abgewiesenen Klingsor gelangt.
Der hat Amfortas damit eine nicht heilende Wunde zugefügt. Um Amfortas zu erlösen und den Speer zurückzuerlangen, bedarf es laut einer Prophezeihung eines «durch Mitleid wissenden, reinen Toren». Gurnemanz, der geistige Führer der Bruderschaft, glaubt in Parsifal diesen neuen Heiland gefunden zu haben. Doch wie so oft in der Mythologie steht dem Held ein langer Weg zur Erkenntnis bevor.
©Ruth Walz / Staatsoper Unter den Linden
©Ruth Walz / Staatsoper Unter den Linden
Im Parsifal, einem Spätwerk von Richard Wagner, verband der Komponist christlichen Mythos mit buddhistischen Elementen und Reflexionen aus der Philosophie Schopenhauers.
Wagner sah darin die von ihm selbst propagierte Idee einer Kunstreligion verwirklicht.
Er schuf eine beseelende und erhebende Musik von großer Strahlkraft, um die religiöse Ideologie der Überwindung von Sinnlichkeit und Sünde durch Erkenntnis vorzuführen und Mitleid und Verweigerung als verwerflich dargestellte Liebe zu predigen.
Dmitri Tcherniakov, mehrfach von der Opernwelt zum Regisseur des Jahres gewählt und mit dem International Opera Award im Bereich „Best Director“ geehrt, inszeniert seit Jahrzehnten an den großen Häusern der Welt.
Auch an der Lindenoper ist er häufiger «Gast», gerade wenn es um Wagners Werke geht. So steht beispielsweise auch seine Ring Inszenierung von 2022 aktuell auf dem Programm.
Umso spannender ist es nun zu sehen, dass Tcherniakovs typische Wagner Handschrift schon in jenem Parsifal, der nun 10 Jahre später erstmals wieder auf die Bühne kommt, deutlich zu lesen war und ist. Kann sie überzeugen? Heute noch?
©Ruth Walz / Staatsoper Unter den Linden
©Ruth Walz / Staatsoper Unter den Linden
Hier darf man wohl getrost geteilter Meinung sein. Parsifal, an sich schon ein düsterer Stoff, inszenierte Tcherniakov für seine Person typisch düster, gewaltvoll, nüchtern, mit nur homöopathschen Dosen von Mythologie und ohne jeden Zauber.
Das dehnt und streckt sich, schleppt sich gar bisweilen dahin, sodass die Sache mit dem «Sitzfleisch» mehr als nur Sprichwort wird.
Einzig die Blumenmädchen dürfen Farbe bringen - welch beglückendes «Zwischenspiel», nicht nur optisch, sondern auch, weil insbesondere Evelin Nowak mit ihrem schillernden Sopran in samtwarmer Stimmfarbe Glanzlichter setzt, die einem das Herz aufgehen lassen.
Und damit wären wir auch schon bei dem Thema angekommen, warum es sich eben doch lohnt, sich diesen düster, sachlichen Parsifal zu geben: die musikalische Umsetzung und die grandiose Besetzung.
Philippe Jordan führt die exzellent aufspielende Staatskapelle fantastisch durch diese gewaltige Partitur. Von der verheißungsvollen Ouvertüre bis zum letzten Ton lässt er alle Wagnerschen Feinheiten erklingen.
Nicht – wie heute leider üblich – alles nur laut und übertönend dringt da aus dem Orchestergraben, nein, bei Jordan ist jedes Pianissimo der Partitur ein echtes Pianissimo, jedes Forte ein Forte.
©Ruth Walz / Staatsoper Unter den Linden
©Ruth Walz / Staatsoper Unter den Linden
Mit Blick für die von Wagner komponierten Feinheiten und Kontraste führt er Orchester und Sänger:innen gefühlvoll durch das Werk, ohne jemals die Solist:innen zu überlagern, die im Parsifal sowieso eine schiere Kraftaufgabe zu bewältigen haben. Und so verwundert es nicht, dass der Maestro am Ende tosenden Applaus für sich und die Staatskapelle ernten darf.
Die für die erkrankte Elina Garanča kurzfristig eingesprungene Tanja Ariane Baumgartner gibt eine zumindest mich nicht vollständig überzeugende Kundry.
Gesanglich gibt es da nichts zu meckern, da ist viel Kraft, viel Wucht, viel Wagnerisches Metall, aber mir fehlen das Feuer, die Leidenschaft im Spiel.
Ich will Baumgartner das gar nicht anlasten, viel liegt sicher an der Inszenierung, vermutlich auch am raschen Einspringen. Dafür, dass sie wohl kaum am Haus geprobt haben kann, Chapeau!
Andreas Schager als Parsifal? Da bedarf es weniger Worte: Der Tenor haut einen schlicht um. Gesanglich in Höchstform und mit unendlich viel Spielfreude tobt Schager voll Leidenschaft geradezu durch diesen anfangs naiven Burschen bis hin zum kraftvollen, mitreißenden Helden und kann dabei mit jedem Ton überzeugen.
©Ruth Walz / Staatsoper Unter den Linden
War Schager in jüngeren Jahren häufig anzulasten, dass er «alles schreit», so beweist er heute, dass er sehr wohl auch leise Töne beherrscht und im Fortissimo nicht (mehr) schreien muss. Ein wahrer Ohren- und Augenschmaus! Und nur nebenbei: Dass er ganz offenkundig fröhlich und glücklich am Schluss die tosenden Beifallsstürme genießt, macht ihn sehr sympathisch.
René Pape beweist als Gurnemanz, was es heißt, dass ein Bass nie aufhört zu reifen. Ich kann mich kaum erinnern, wann ich ihn zum ersten Mal in dieser Rolle erlebt habe, so lange ist das her, aber an diesem Abend gibt er dem Gunrnemanz noch einige Facetten mehr als schon vor Jahren.
Seine Stimme nach wie vor «one in a million» und mit großer Potenz – voller Kraft, Klarheit und Stärke, in den hohen Registern so wunderbar zart, warm und bisweilen fragil, seine Artikulation gewohnt deutlich, der Bass unverkennbar und berührend in jedem gesungenen Ton. Aber auch im Schauspiel überzeugt Pape und das so sehr, dass ich im letzten Akt Mühe hatte, mir zu sagen, da steht nicht ein alter, gebrechlicher, zitternder Mann auf der Bühne , der sich kaum mehr bewegen kann, nein, das ist pures, perfektes Schauspiel. Und so dankt es ihm das Publikum zum Schluss auch mit stürmischen Standing Ovations.
René Pape ist und bleibt die Referenz, an der sich jeder andere Bass wird messen lassen müssen, der den Gurnemanz angeht. Lauri Vasar überzeugt als Amfortas stimmlich sowie auch darstellerisch. Das Leid, seine Qualen sind so greifbar, dass man selbst fast schon Schmerz verspürt.
Tómas Tómassón macht seine Sache als Klingsor gut, wirkt jedoch auf mich ein wenig verloren. Das mag an mangelnder Personenführung liegen, die man der Inszenierung durchaus vorwerfen kann und die auch bei den anderen stellenweise durch blinzelt.
Was bleibt als Fazit?
Mir fehlen (optisch) der Mythos, die Magie. Und das sehr. Dennoch: Reingehen, das Bühnenbild ausblenden, sich an Musik, Gesang und Darstellung ergötzen. Unbedingt.