01. März 2024
Rubrik Oper
©Klaus Levebre
Unsanft aus dem magischen Märchentraum eines Aschenputtels aufgeweckt wird man in den eklektischen Mix eines "Krieg-der-Sterne-Gewimmels" hineingezogen, wenn man derzeit an der Staatsoper Hamburg Rossinis Dramma Giocoso " La Cenerentola" gustiert.
Dabei wimmelt es nur so vor futuristischer Gestalten, die in ihren "Michelin-Männchen-Kostümen" verdächtig an ungelenke Teletubbies erinnern. La Cenerentola selbst tritt in einem recht seltsamen Streifenhörnchen-Print als graue Maus in Erscheinung.
Von Nicole Hacke
Unscheinbar, bieder, um nicht zu sagen, trutschig bleibt sie unsichtbar im Hintergrund ihrer beiden exzentrischen Schwestern und managt als Assistenz der Geschäftsleitung eines Großkonzerns geflissentlich alle buchhalterischen Belange.
Die böse Stiefmutter gibt es laut Libretto von Jacopo Ferretti nicht. Stattdessen muss das traurige Aschenputtel den verarmten Stiefvater ertragen.
©Klaus Levebre
Ob die Pleitegeier schon über dem Familienkonzern kreisen, bleibt Spekulation. Recht nobel und clean wirkt es jedenfalls im Foyer des imposanten Gebäudekomplexes, das durch mehrere meterhohen Fenster die Skyline von New York erahnen lässt.
Während die beiden Stiefschwestern in der Chefetage eine ruhige Kugel schieben und lediglich darauf bedacht sind, Aschenputtel systematisch zu mobben, kündigt sich die Ankunft des "Prinzen" an.
Oder ist es vielmehr ein reicher Geschäftsmann, der den Konkurs des väterlichen Betriebes abwenden kann?
Eine der beiden leiblichen Töchter muss jedenfalls schnellstmöglich unter die Haube. Eine Fusion samt Vermählung wäre die Rettung. So weit so gut.
Bis dahin kommt man handlungstechnisch gut mit. Aber dann verheddern sich die Fäden innerhalb der Geschichte. Wo befindet sich nur das Schloss des begehrten Traumprinzen, auf dem der Ball stattfinden soll?
Fehlanzeige! Über einem großen Eingangstor prangt lediglich in großen Lettern "Studio". Hollywood lässt grüßen. Und Aschenputtel verabschiedet sich total entfremdet wohl endgültig in die wohlverdiente Märchenpause?
©Klaus Levebre
Filmset, Star Wars, Teletubbies. Was ist das bloß für ein zusammengewürfeltes Sammelsurium futuristischer Fantasiewelten?
An Renaud Doucet ist scheinbar ein passionierter Kinogänger verloren gegangen, der es sich im Patchwork vieler Star Wars Episoden gemütlich eingerichtet hat.
Ade, Märchennostalgie. Doch was nicht Aschenputtel, sondern der Inszenierung am Ende die Krone aufsetzt, ist das Raketengeschoss, das von der Decke auf die Bühne zusteuert und Prinz und Prinzessin in den wohlverdienten "Honey Moon" gen Firmament schießen soll. Die Pointe ist gelungen, Respekt.
Und so kann man sich am Ende doch ein Schmunzeln nicht verkneifen.
Schließlich basiert Rossinis Oper auf einem lustigen Drama. Bühnenbildtechnisch aufwendig gestaltet, kostümopulent und bunt schillernd, ist die Inszenierung unterm Strich Balsam für ein Revue verliebtes Auge, das der Science-Fiction Welt nicht abgeneigt sein darf.
©Klaus Levebre
Über die gesangliche Klasse der Bühnenkünstler kann man allerdings geteilter Meinung sein. Ob es am Genre liegt, das den Schöngesang in den koloraturintensivsten Facetten zelebriert und dabei das Gehör spätestens nach dem ersten Akt vollends übersättigt?
Oder ob es vielmehr an der gesangstechnischen Leistung hapert, die an diesem Abend durch die Bank weg keine echte Brillanz in den Koloraturen hervorbringt?
Verblendet und teils verwaschen kommen die normalerweise formschönen Koloraturen bei der Protagonistin La Cenerentora (Raffaella Lupinacci) nicht zur Geltung.
Abgesetzt, leicht, duftig und perlend klingt irgendwie anders. Auch in den tieferen Registern überzeugt die Mezzosopranistin kaum, geschweige denn, dass man ihre Stimme über dem Orchestergraben überhaupt hörbar wahrnimmt.
In den Obertönen ist sie hingegen kraftvoll, hat ausdrucksstärke und Strahlkraft. Ihre Rolle als stiefväterlich behandeltes Aschenputtel spielt sie solide.
Allerdings nimmt man ihr die Verwandlung vom "hässlichen Entlein" zur "Hollywood Diva" nicht ab. Auch wenn Kleider Leute machen. So schnell wächst einem das Selbstbewusstsein dann doch nicht in den Himmel hinein.
©Klaus Levebre
©Klaus Levebre
Erfreulich hingegen sind die bösen Stiefschwestern Aschenputtels (Kady Vanyshyn als Tisbe und Narea San als Clorinda), die sowohl schauspielerisch als auch gesanglich alles geben, was die Rollen an Interpretationsreichtum zu offenbaren haben.
Klare und perfekt ausgesungene Koloraturen machen das Gehör wieder hellwach. Es perlt der Gesang kristallklar und erhebt sich mit biegsamem Elan mühelos über den Orchestergraben hinweg.
Erwin Schrott als Bettler und Weiser Alidoro versteht ebenfalls sein Fach aufs Beste. Dunkelsamtig timbriert und mit punktgenauen Phrasierungen überzeugt er stimmlich auf ganzer Linie.
Nur im Kostüm macht er eine komische Figur, was die schauspielerischen Qualitäten des Baritons ein wenig in den Schatten stellt.
Warum muss die Verkleidung aber auch die Figuren so ins Lächerliche ziehen?
Selbst der Stiefvater ( Don Magnifico / Tigran Martirossian) kommt bei aller Liebe zum Kostüm im mintgrünen "Quasi-Fatsuit" optisch sehr schlecht weg. Gesanglich fehlt ihm zudem die Verve, der Esprit, die Leichtigkeit, mit der sich Koloraturen normalerweise Champagnerperlen prickelnd verselbstständigen.
©Klaus Levebre
Orchestral gibt es nichts zu bemängeln. Das Dirigat von Francesco Lanzillotta ist solide und fällt gewiss nicht aus dem agogischen Rahmen. Eine impulsive und temporeiche Dynamik an der ein oder anderen Stelle hätte jedoch die musikalische Erzählung deutlich spannender gemacht.
Inszenierung: Renaud Doucet
Bühnenbild und Kostüme: André Barbe
Licht: Guy Simard
Besetzung:
Don Ramiro - Anton Rositskiy
Dandini - Efrain Solis
Don Magnifico - Tigran Martirossian
Tisbe - Kady Evanyshyn
Clorinda - Narea Son
Angelina (La Cenerentola) - Raffaella Lupinacci
Alidoro - Erwin Schrott