21. Januar 2024
Rubrik Oper
©Monika Rittershaus / Staatsoper unter den Linden
Man muss moderne Operninszenierungen nicht mögen, kann es aber. So wie man Richard Strauss nicht gustieren muss, aber auch lieben kann. In Kombination kann es umwerfend werden, oder ziemlich in die Hose gehen, irgendwo in der Mitte landet solch eine Produktion aber eher selten.
Von Heike Franke
An diesem Abend… Doch fangen wir am Anfang an. Richard Strauss schuf mit Daphne eine seiner letzten Opern. Inspiriert von der Geschichte der gleichnamigen Nymphe aus der griechischen Mythologie, komponierte er ein gerade einmal eine Stunde und vierzig Minuten andauerndes Werk.
Ein eindrückliches Musikdrama ist diese selten aufgeführte Oper allemal. Eines, das durch die Verknüpfung sinfonischer Klänge und lyrischer Passagen zu verzaubern mag.
Und vielleicht steht Daphne gerade deshalb so selten im Programm der Opernhäuser, weil es eben hervorragender Sängerinnen und Sänger und eines so erfahrenen wie mutigen Maestros bedarf, um mit dieser Oper gerade auch im immer wieder kammermusikalischen Gestus zu überzeugen.
©Monika Rittershaus / Staatsoper unter den Linden
©Monika Rittershaus / Staatsoper unter den Linden
Romeo Castellucci hat das Werk an der Berliner Staatsoper Unter den Linden zwar spartanisch, aber eben auch bedeutungsschwer inszeniert:
Eine öde Eislandschaft, ein knorriger Lorbeerbaum. Dazu schneit und schneit und schneit es. Die schwarzen Sonnen, die bedeutungsschwangeren Ausdruckstänze, der aus dem Schnee gegrabene gewaltige antike Marmorfries, die drei Orangen und vor allem am Schluss das Banner mit der Aufschrift «Waste Land» als Replik auf das Gedicht von T.S.
Elliot und der ausgerissene Baum, der über Daphne hängt, die gräbt und gräbt und gräbt… Das alles ist viel Symbolik, viel Metapher, viel unheimliche Zukunftsvision.
Dabei hätte doch die Öde allein einen vortrefflichen Kontrast zur reichen Musik liefern können, doch dafür ist sie zu überladen. Und so tanzt Daphne (Vera-Lotte Boecker) durch den Schnee, stapfen Peneios (René Pape), Gaea (Anna Kissjudit), Leukippos (Johan Krogius ) und Apollo (David Butt Philip) umher, während Thomas Guggeis im Graben den Strauss empfindsam dirigiert.
Die großen Bögen, die Kraft, die Dynamik, die für Strauss so typische Wucht, die sich abwechselt mit jenen zarten Momenten der Verzweiflung, die einen tief zu berühren vermögen, all das hält dieser Abend bereit.
Und die Staatskapelle klingt herrlich, wenn auch Guggeis es den Sängerinnen und Sängern bisweilen schwer macht.
©Monika Rittershaus / Staatsoper unter den Linden
©Monika Rittershaus / Staatsoper unter den Linden
Die Strauss’sche Wucht geht immer wieder mit dem Maestro durch, und in den sowieso schon mörderischen Gesangspassagen müssen die Solistinnen und Solisten viel Kraft aufwenden.
Nicht jeder von ihnen kann mithalten. Johan Krogius und David Butt Philip als Rivalen um die Gunst der Daphne fehlt das Feuer.
Die leidenschaftliche Liebe zu ihr kocht auf Sparflamme. Doch wer will es den beiden übelnehmen unter diesem kraftvollen, fordernden Dirigat?
Vera-Lotte Boecker braucht anfangs lange, um ihren klaren Sopran wirklich zu entfalten. Doch dann überzeugt sie umso mehr.
Stimmlich sowie schauspielerisch gibt sie als Daphne der Inszenierung mit ihrer Kälte und Anmutung von Fremdheit und Beziehungslosigkeit folgend eine zusätzliche Dimension.
Ihre jugendlich kristallene Stimmfarbe passt herrlich zu dieser Rolle. Ihre Darstellung von Entrücktheit und dann wieder Verwirrung über kurze Intimitäten, vor allem aber am Ende der Enttäuschung, damit schafft sie magische Momente der tiefen Berührung, die man so schnell nicht vergessen wird.
©Monika Rittershaus / Staatsoper unter den Linden
©Monika Rittershaus / Staatsoper unter den Linden
Wunderbar auch Anna Kissjudit und René Pape, die in ihrem Duett sowohl musikalisch als auch schauspielerisch die großen Gefühle transportieren und die immense elterliche Verzweiflung schmerzhaft hör- und sichtbar machen.
Großartig René Pape, der nicht nur mit potentem, geschliffenem Bass, sondern auch mit seiner Präsenz den Raum füllt. Er vermag es auf unerklärliche Weise, ruhevoll und dabei aufgewühlt zu wirken.
Grandios die Arie von Anna Kissjudit, die einen mit ihrer dunklen und dabei farbenreichen Stimme in die tiefsten Abgründe mitreißt.
©Monika Rittershaus / Staatsoper unter den Linden
©Monika Rittershaus / Staatsoper unter den Linden
Ein weiterer Lichtblick sind die beiden Mägde, Evelin Nowak und Natalia Skrycka, die nicht nur stimmlich ganz wunderbar harmonieren, sondern mit großer Spielfreude ihre Chance nutzen, für Minuten kleine Nebenrollen zu Hauptrollen werden zu lassen.
Das Berliner Wiederaufnahme Premieren Publikum ist begeistert.
Ich persönlich hätte das spartanisch öde Bühnenbild mit seinem fortwährenden Schneetreiben ohne die überladene Symbolik vorgezogen und mir von Thomas Guggeis mehr Unterstützung für die Sängerinnen und Sänger gewünscht.
Aber das ist an diesem Abend «meckern auf ganz hohem Niveau», denn gesanglich und auch schauspielerisch war diese Daphne tatsächlich ganz große Oper.
BESETZUNG
MUSIKALISCHE LEITUNG
Thomas Guggeis
INSZENIERUNG, BÜHNENBILD, KOSTÜME, LICHT
Romeo Castellucci
CHOREOGRAPHIE
Evelin Facchini
PENEIOS
René Pape
GAEA
Anna Kissjudit
DAPHNE
Vera-Lotte Boecker
LEUKIPPOS
Johan Krogius
APOLLO
David Butt Philip
VIER SCHÄFER
Arttu Kataja , Florian Hoffmann , Adam Kutny , Friedrich Hamel
ZWEI MÄGDE
Evelin Novak , Natalia Skrycka