Packende Carmen Premiere im Opernloft Hamburg: Aufgeschlossen, modern und ergreifend in Szene gesetzt

27. Oktober 2024

Rubrik Oper

©Inken Rahardt / Opernloft Hamburg

Es ist das ewige Lied einer Frau, die - von den Männern umschwärmt - nicht frei und selbstbestimmt sein darf. Bei der Carmen-Premiere im Opernloft Hamburg wird aus der Femme fatale eine junge, moderne Frauenfigur, die ihr eigenes Geld verdient, ihr Leben in vollen Zügen genießt und sich davon nimmt, was ihr zusteht und wonach es sie verlangt.

 

Soweit, so gut, wäre da nicht die Männerwelt, die nach wie vor ein Frauenbild konserviert, das an gesellschaftliche Normen angepasst, stets damit konform gehen muss. Denn eine Frau, die wild und ungestüm nach Freiheitslust drängt und somit ihr Ding durchzieht, ist aus Sicht des "Male Gaze" eine verruchte Femme fatale und kein anbetungswürdiger Engel.

 

Was passiert, wenn so eine Frau in unserer vermeintlich modernen und aufgeschlossenen Gesellschaft ihr Leben nach den eigenen Regeln und Grundsätzen lebt, zeigt die Regisseurin Inken Rahardt an diesem Premierenabend schonungslos auf.

 

Auf 90 Minuten Filmlänge gekürzt und im erfrischend progressiven inszenatorischen Gewand, erleben wir Carmen als Barkeeperin irgendwo auf St. Pauli oder an einem anderen Standort, der nach Vergnügen und ausgelassener Lebensfreude schreit. Dort mixt die Frohnatur Cocktails für das erwartungsfreudige Publikum des Opernlofts.

 

Mittendrin im Geschehen und tatsächlich Teil des Bühnenbildes verschmelzen Darsteller und Publikum zu einer Einheit aus Protagonisten und passiven Statisten. Herrlich ist das, in so unmittelbarer Nähe der Sänger ein Schauspiel der Superlative erleben zu können.

 

Während Carmen das Publikum im Saal mit Drinks versorgt und auch Micaela, die Chefin des Ladens fleißig eine Runde nach der anderen ausgibt, sitzt Don José im Publikum und schmachtet die attraktive Carmen aus verklärten Augen an.

 

©Inken Rahardt / Opernloft Hamburg

©Inken Rahardt / Opernloft Hamburg

©Inken Rahardt / Opernloft Hamburg

Carmen, die den verliebten Blick des jungen Mannes registriert, lässt sich sofort auf einen Flirt ein und tanzt kokett zur "Habanera" während sie mit ihrem liebreizenden Gesang verführerisch provoziert.

 

Die lebenshungrige Frau hat Spaß daran, sich zu verlieben und belässt es nicht ausschließlich bei einem Techtelmechtel mit dem charismatischen Don José. Auch Escamillo der neue Mitarbeiter der Karaoke-Bar "Voilà" hat es der aufgeschlossenen Carmen angetan. 

 

Escamillo ist aber auch ein Prachtexemplar von einem Mann. Kein Stierkämpfer, aber dafür ein heißer Stripper, der beim "Stierkampfmotiv" seinen Oberkörper "blank zieht". All das erlebt der Barbesucher hautnah und so was von unplugged, denn Oper auf intimer Bühnenfläche im musikalischen Tête-à-Tête mit den Darstellern ist schon ein einmaliges, vor allem gesanglich aufschlussreiches Erlebnis.

 

Schließlich wird man nicht alle Tage, zumindest in keinem Opernhaus, so unmittelbar von den durchdringenden Dezibel eines Opernsängers beschallt, sodass man endlich mal versteht, wie viel Wumms in einer professionell ausgebildeten Stimme steckt. Sehr gewaltig und sehr beeindruckend!

 

Gewaltiger, um nicht zu sagen, gewaltvoll und gewalttätig wird es in der packenden Inszenierung just in dem Moment, als deutlich wird, das Carmen sich von Don José abnabelt, um mit Escamillo eine Beziehung einzugehen. Welch Wutausbruch, welch explosive vokale Eruptionen da das Loft durchdringen.

 

Don José dreht ab, dreht durch und bricht den gewaltigsten Streit vom Zaun, in dem Carmen mehr und mehr auf ein objektifiziertes Nichts zusammenschrumpft.

 

©Inken Rahardt / Opernloft Hamburg

©Inken Rahardt / Opernloft Hamburg

©Inken Rahardt / Opernloft Hamburg

Verängstigt und dennoch beharrlich will sich Carmen von Don José loseisen, koste es, was es wolle. Ihre Standhaftigkeit behauptend, baut sie eine emotionale Festung um sich herum, versucht verzweifelt, sich aus dem hitzigen Klammergriff des eifernden und übelst aufgedrehten Don José zu befreien.

 

Vergebene Müh: Es fliegen die Fetzen, Fäuste kommen zum Einsatz, Escamillo kommt noch glimpflich mit einer blutigen Nase davon, Carmen hat weniger Glück. Sie erliegt den Stichverletzungen, die Don José ihr brutalst zugefügt hat. Wie ein Wahnsinniger hämmert er in der Schlussszene mit seinem Messer immer und immer wieder auf die wehrlose Carmen ein, blind vor Wut.

 

Micaela, die fassungslos und vor Schock zur Eissäule erstarrt nurmehr verkrampft eine Waffe auf den Mörder halten kann,  bleibt nichts, als nach Don Josés Flucht die sterbende Carmen in ihren Armen zu wiegen und ein letztes Chanson zu singen, während in der Untertitelung auf die Thematik der Femizide aufmerksam gemacht wird - ein berührender und zutiefst nachdenklich stimmender Moment, der die ethische, moralische und emotionalsgeladene Seite von Femiziden sehr konturiert herausarbeitet.

 

Ob Don José seine ihm gebührende Strafe erhält, bleibt relativ offen. Das Thema Gewalt gegen Frauen rüttelt in dieser Inszenierung wach, macht wach und aufmerksam auf eine Welt, wie wir Frauen sie nicht haben wollen.

 

©Inken Rahardt / Opernloft Hamburg

©Inken Rahardt / Opernloft Hamburg

Mal wieder gelingt es dem Opernloft eine Operngeschichte kritisch zu beleuchten und sie dennoch für ein Publikum nahbar, erlebbar, höchst unterhaltsam und fesselnd zu gestalten, ohne dem Sujet die Ernsthaftigkeit zu nehmen. 

 

Mit großartiger Spielfreude verwandeln auch alle Sängerdarsteller die Bühne in einen Erlebnisraum, allen voran Carmen (Johanna Bretschneider), die sich aktionsreich in den Vordergrund spielt und singt sowie Micaëla (Aline Lettow), die sich mit ihrer eindrücklichen Darbietung als gestandene Barbesitzerin und Carmens Mitstreiterin ausdrucksstark und gesanglich sehr präsent in den Vordergrund spielt. 

 

Besonders grandios sticht Jeffrey Herminghaus mit seinem sonoren Bariton heraus, der mit ausgesprochener Virilität und einer gesanglichen Lässigkeit die farbenreichsten Töne an diesem Abend produziert.

 

Ljuban Živanović als eifersüchtiger und besitzergreifender Don José überzeugt auf ganzer Linie mit ausdrucksstarker Vokalpräsenz, einem hellen, metallisch strahlenden Tenor und schauspielerischer Raffinesse.

 

Dieser Abend endet ob des dramatischen Ausgangs genussvoll. Schade, dass man nicht genau weiß, ob Don José für seine Tat büßen muss. Dieses Gedankenspiel darf man auf Basis der eigenen ethischen Überzeugungen selbst beenden - ein vielleicht nicht ganz leichtes Unterfangen.

 

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