Oh, du höllisches Paradies! – Puccinis La Fanciulla del West in der Staatsoper Unter den Linden

23. Juni 2024

Rubrik Oper

©Martin Sigmund

2021 war Puccinis – zu Unrecht – selten gespielte Wild-West Oper La Fanciulla del West nicht nur wegen der herrlichen Inszenierung ein Kracher, der das Publikum mitriss, sondern auch, weil es musikalisch eine der wohl besten Neuproduktionen der Berliner Staatsoper der vergangenen Jahre war.

 

Ich war damals sprichwörtlich «hin und weg». Umso spannender also, ob mich die Wiederaufnahme noch einmal so begeistern kann.

 

Um es vorwegzunehmen: Sie kann.

 

Von Heike Franke

 

Lydia Steier hat das Werk, das in Kalifornien zu Zeiten des Goldrauschs spielt, in die 50er Jahre verlegt. Passend zum Zeitsprung hatte die Staatsoper übrigens zur Premiere 2021 den ehemaligen Flughafen Berlin-Tempelhof in ein Autokino verwandelt und die Oper dorthin übertragen, was großen Anklang fand, denn die Tickets waren seinerzeit schnell vergriffen. Aber das nur als Anekdote nebenbei.

 

Bei der Uraufführung von Puccinis La Fanciulla del West stellte sich einst der Sehnsuchtsort Goldrausch als unerbittliche Einöde voller Brutalität heraus. In dieser Inszenierung haben wir es mit einem trashigen Schlägermilieu zu tun, das aus Publikum Sicht ehrlich gesagt jede Menge Spaß macht.

 

©Martin Sigmund

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Auch hier ist Minnies Bar der einzige Ort, an dem ein Miteinander einigermaßen friedlich vonstatten geht – wohl vor allem, weil sie von allen verehrt und selbst vom größten Rauhbein leidenschaftlich begehrt wird.

 

Doch Puccini wäre nicht Puccini, müssten nicht Herzen aufs Ärgste brechen. Und so verschmäht Minnie Sheriff Rance und verliebt sich ausgerechnet in einen Fremden, der, wie sollte es anders sein, als lang gesuchter Bandit Johnson entlarvt wird.

 

Was folgt? Tumult natürlich.

 

All den Outcasts auf der Suche nach Reichtum und einem Stück vom Glück hat Puccini in diesem Werk weniger musikalischen Wohlklang und Lyrik zur Seite gestellt als in den meisten seiner Opern.

 

Dafür aber hat er die Entbehrungen und geplatzten Träume mit solcher Vielfalt an Klangfarben in die Partitur geschrieben, dass das Publikum mit jeder Menge musikalischen Überraschungen und ganz besonderen Klängen verwöhnt wird.

 

Simone Young führt die exzellent aufspielende Staatskapelle fantastisch durch die Partitur. Meisterhaft ausladend und packend suggestiv lassen sie Puccinis Einfälle aufblühen, Der unbekannte Puccini darf schillern, die bisweilen schroffen Modernismen Funken sprühen und immer wieder das dem Komponisten so Typische durchbrechen.

 

©Martin Sigmund

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Und kann es eine bessere, passendere Minnie als Anja Kampe geben? Wohl kaum. Sie ist DIE Frau in dieser Männerwelt. Und was für eine!

 

Geerdet, entschlossen, mutig, leidenschaftlich wirft sie sich bedingungslos in jede der wechselnden Stimmungen der Minnie und überstrahlt dabei alles und jeden.

 

Mit äußerster Hingabe bringt Kampe die Minnie auf die Bretter, nimmt einen mit in die Tiefen der Gefühle dieser mutigen und cleveren Frau.

 

Und das in einer Art, dass man ihr in jedem Augenblick alles abnimmt, was sie darstellt und keine Sekunde daran zweifelt, dass ein jeder ihr verfallen muss. Folgerichtig ist sie es auch, die am Ende auf ganzer Linie gewinnt.

 

Brandon Jovanovich gibt den Schurken Dick Johnson ausgesprochen sympathisch, noch dazu mit genau der richtigen Dosis tenoralem Schmelz, so dass man ihm die Gaunerei kaum übel nimmt.

 

Tomasz Koniezcny als Jack Rance hätte ich mir gern wuchtiger gewünscht – einfach, weil es der Rolle stehen würde. Doch bei dem Bassbariton gewinnt stimmlich der leichtfüßigere Bariton über den Bass.

 

©Martin Sigmund

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Ein darstellerisches Highlight ist Stephan Rügamer als herrlich trashiger Nick, der die «Transe» mit viel Feuer, Überzeugungskraft und sichtlicher Spielfreude gibt.

 

Was bleibt als Fazit?

 

Reingehen. Unbedingt. Selten macht Oper so viel Spaß, so gute Laune, so ein beschwingtes Gefühl.

 

Und noch dazu geht alles gut aus. Wer das versäumt ist selber schuld.

 

Besetzung:

 

MUSIKALISCHE LEITUNG

Simone Young

 

INSZENIERUNG

Lydia Steier

 

 

MINNIE

Anja Kampe

 

DICK JOHNSON

Brandon Jovanovich

 

JACK RANCE

Tomasz Konieczny

 

NICK

Stephan Rügamer

 

SONORA

Arttu Kataja

 

ASHBY

Jan Martiník

 

JAKE WALLACE

Grigory Shkarupa

 

TRIN

Siyabonga Maqungo

 

SID

Taehan Kim

 

BELLO

Adam Kutny

 

HARRY

Florian Hoffmann

 

JOE

Andrés Moreno García

 

HAPPY

Viktor Rud

 

LARKENS

David Oštrek

 

BILLY JACKRABBIT

Friedrich Hamel

 

WOWKLE

Ekaterina Chayka-Rubinstein

 

JOSÉ CASTRO

Dionysios Avgerinos

 

POSTILLION

Gonzalo Quinchahual


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