12. November 2024
Rubrik Oper
©Monika Rittershaus
Es braucht schon sehr starke Nerven, um sich der vielleicht mörderischsten aller Richard Strauss Opern zu stellen. In gerade mal 1 Stunde und 50 Minuten erbebt man voller Schauer in regelmäßigen Abständen während der handlungsintensiven Vorführung von Elektra an der Hamburgischen Staatsoper.
Irgendwo in Pöseldorf in einer hochherrschaftlichen Villengegend verortet, mit detailverliebten Requisiten ausstaffiert, täuscht das vermeintliche Luxusidyll nicht darüber hinweg, dass höchst ungute Gefühle für einen zwischenmenschlichen Orkan in den vier großzügigen Wänden der Protagonisten sorgen werden.
Von Nicole Hacke
Doch mit einem Orkan ist es wahrlich nicht getan, denn die Protagonistin Elektra schwört Rache an ihrer Mutter Klytämnestra, die Schuld am Tod des leiblichen Vaters ist.
Im Zwiegespräch mit sich selbst, erleben wir eine psychisch gestörte Elektra, die gefangen in ihrer düsteren Seelenkluft in ihrem Leben keine Erlösung und keine Ruhe mehr findet.
In einem Vakuum aus Rachedurst und Mordlust gefangen, observiert sie aus großzügiger Distanz verächtlich die fröhliche Sippschaft ihrer Mutter ausgelassen schwadronierend beim Kaffeekränzchen.
Sofort merkt man, dass Elektras verstörende Präsenz einen bedrohlichen Schatten auf die beschauliche Szenerie wirft.
©Monika Rittershaus
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Auch musikalisch lässt das Werk Strauss´ von Anfang an keinen Zweifel daran, dass das Drama der Oper bereits mit dem Auftakt auf einen zum Zerreißen unerträglichen Spannungsbogen zusteuert.
Inszenatorisch kann man sich nicht eine Sekunde von dem Bühnenthriller loseisen, zu psychologisch brillant hat der Regisseur Dmitri Tcherniakov die Figuren mit all ihren charakterlichen Facetten ausgeleuchtet. Diese Oper ist ein Psychogramm einer kranken Gesellschaft, die durch das problematische Beziehungskonstrukt seiner Protagonisten zueinander konturiert hervorgehoben wird.
Elektra ist wie besessen von ihrer Mordlust und getrieben vom abgrundtiefen Hass auf ihre Mutter, der immer monströsere Gestalt annimmt. Klytämnestra scheint vor allem an der eisigen Gefühlskälte ihrer Tochter zu leiden und versucht durch ablenkungsintensive Vergnügungen mit ihrer Sippschaft inneren Frieden für das eigene Seelenheil zu finden, offensichtlich mit wenig Erfolg.
Die Angst vor dem Eklat mit der eigenen Tochter stört konstant ihr fragiles Gleichgewicht. Sie wirkt gebrochen, alt und klapperig und immun gegen alles, was ein schonungsloses Licht auf die Realität ihrer kaputten Mutter-Tochter-Beziehung werfen könnte.
Doch die Auseinandersetzung bleibt unausweichlich. In einem Gespräch zwischen den beiden Frauen, das zuerst friedlich und versöhnlich vonstatten geht, setzt Elektra dem vermeintlichen "Waffenstillstand" mit der Botschaft, die Mutter würde bald sterben müssen, ein jähes und vor allem schockierendes Ende.
©Monika Rittershaus
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Nachdem sich die von der Botschaft erschütterte Mutter wie betäubt und sichtlich erschöpft in ihre Schlafgemächer zurückzieht, bricht Elektra mit ihrer Schwester Chrysothemis eine hitzige Diskussion vom Zaun. Sie will eine Komplizin, eine Helferin, die bei der Ermordung der eigenen Mutter zugegen ist.
Chrysothemis sträubt sich vehement gegen diese grausame Aktion. Ihr Leben soll friedlich verlaufen. Alles, was sie sich wünscht, ist einmal selbst Kinder in die Welt zu setzen. Wie kann man da nur die eigene Mutter so kaltblütig beseitigen wollen.
Orest, der einzige Bruder Elektras, der scheinbar in der Ferne sein Leben lassen musste, kommt als Mittäter nun nicht mehr in Frage.
Doch dann passiert das Wunder. Zu mitternächtlicher Stunde betritt eine zwielichtige Gestalt die Jugendstilvilla und überrascht Elektra, die tief in Gedanken versunken an einem Esstisch ihren grausamen Plan weiterspinnt.
Als sich der Mann nach einem kurzen Austausch mit Elektra als Orest entlarvt, ist die Erleichterung über den heimgekehrten Bruder groß. Jetzt kann die Tat endlich vollbracht werden.
Und so lässt sich Orest nicht lange bitten und dringt in das Schlafgemach der Mutter ein, ermordet erst sie, später dann noch den Stiefvater.
Wie nach einem Serientäterritual wird zuerst die blutüberströmte Leiche der Mutter am Esstisch platziert, dann der Vater und ganz zum Schluss Elektra, die in ekstatischer Entrückung über die beiden Morde tot zusammenbricht. Ihre Schwester Chrysothemis wird von Orest, der bereits 18 Frauen getötet hat und als Frauenmörder polizeilich gesucht wird, mit einem Messer erstochen und ebenfalls am Esstisch rituell platziert.
Der heitere Kaffeeklatsch am Nachmittag endet mit einer stummen Tischgesellschaft, die bizarr entstellt im Horrorkabinett des Serientäters symbolhaft aufgebahrt wird. Ein schaurig-gruseliges Ende eines nervenzerreibenden Dramas, das einem mit viel Pech nächtelang den Schlaf rauben wird.
©Monika Rittershaus
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Richard Strauss Oper Elektra ist absolut keine leichte Kost. Doch auch wenn die Musik ein permanentes Spannungsfeld zwischen Dissonanzen und Harmonien darstellt, so fühlt sich der Zuhörer dennoch magisch von ihr in den Bann gezogen. Kaum das die lieblichen, an Alpenklänge erinnernden und so butterblumengleichen Harmonien abebben, schrillt das Hässliche in Form expressionistisch gestalteter, dissonanter Ausbrüche auf.
Hysterisch durch und durch, kann das Gehör nicht eine Sekunde lang abschalten. Es befindet sich im permanenten Fluchtmodus, der immer nur dann ausgebremst wird, wenn sich die betörend irisierenden Klangteppiche aufbäumen, die fluid und sphärisch in ästhetisch anmutende Tonwelten abdriften.
Das Wenige an Farbenreichtum reicht aus, um bei der Stange gehalten zu werden. Unerträglich müsste ansonsten all das expressionistische Aufbegehren sein, das auch für die Sänger ein olympischer Kampf um die Sangeskunst darstellt.
Wie diese Mordspartitur gesanglich zu meistern ist, stellen Violeta Urmana (Klytämnestra), Iréne Theorin (Elektra), Jenniffer Holloway (Chrysothemis), John Daszak (Aegisth) und Kyle Ketelsen (Orest) eindrücklich unter Beweis.
Allen voran Elektra, die sich in sirenenhafte Obertöne mühelos hochschraubt, jeden Ton mit messerscharfer Akkuratesse erdolcht und dabei eine Strahlkraft entwickelt, bei der Charakter und emotionaler Ausdruck nicht zu kurz kommen.
Auch Violeta Urmana präsentiert sich vokal und darstellerisch als facettenreiche Klytämnestra. Kyle Ketelsen beeindruckt mit seiner sonoren Klangtiefe, die sich saturiert das Auditorium erobert.
Und Jenniffer Holloway ist der einzige Kontrapunkt im Gemetzel der Blutrünstigkeit, deren Stimme eine gewisse Lieblichkeit offenbart. Sie vermag es das Gehör zu kosen und es mit einem balsamisch nuancenreichen Timbre zu ummanteln.
Kent Naganto ist eine Urgewalt am Pult, der das Orchester zu absoluter Höchstleistung antreibt und die spannungsgeladene Musik eines Richard Strauss zu ekstatischen Höhepunkten antreibt.
Besetzung:
Musikalische Leitung
Kent Nagano
Violeta Urmana
Klytämnestra
Iréne Theorin
Elektra
Jenniffer Holloway
Chrysothemis
John Daszak
Aegisth
Kyle Ketelsen
Orest