Lisette Oropesa und Maria Nazarova stehlen Guillaume Tell die Show

18. März 2024

Rubrik Oper

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

Manche Inszenierungen sind wie neu, auch wenn ihre Lesart auf das Jahr 1998 zurückdatiert. In Rossinis letztem Meisterwerk, der Grande Opera Guillaume Tell, zeigt sich das Bühnenbild in einem verklärten Idyll schweizerischer Gemütlichkeit.

 

Eine Alpenlandschaft samt Dörfli "en minature" blitzen hinter zwei riesigen Holzfiguren auf, die das gesamte Bühnenbild dominieren. In der Mitte eine omnipräsente Zielscheibe.

 

Von Nicole Hacke

 

Ob nun Kitsch oder Kunst, noch im ersten Akt gefallen Bergpanorama und die niedlichen Holzhäuser der Dorfgemeinschaft.

 

Ebenfalls wunderschön zu bestaunen sind die detailgetreuen Trachten, die Folklore-Feeling versprühen und eine heile Weltanschauung propagieren, die je zerstört wird, als sich die Handlung in kriegerischen Auseinandersetzungen zuspitzt.

 

Wilhelm Tell ist der Anführer, der für die Freiheit der Schweizer gegen die Habsburger in den Widerstand geht.

 

Die Geschichte um den Freiheitskämpfer, die sich im Stil der Grande Opera in vier Akten durch das Handlungsgeschehen mehr zähflüssig windet und schlängelt, hält für passionierte Musikliebhaber eine Belcanto-Show der Superlative bereit.

 

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

Musikalisch elegant, vielleicht sogar das Beste, was Rossini je komponiert hat, kommt ein jeder, ob nun Belcanto-affin oder nicht, auf seine musikalischen Kosten.

 

Diese Oper wirkt, ob seiner ernsthaften Thematik, auch kompositorisch erwachsener und stilistisch reifer als alle anderen Auftragsarbeiten des italienischen Genies.

 

Interessant sind noch dazu die Weisen der schweizerischen Hirten, die Rossini in seinem Werk verarbeitet, um so einen unverwechselbaren Lokalkolorit zu applizieren.

 

Tatsächlich fühlt man sich musikalisch mehr in der Schweiz angekommen als im Stil der Grande Opera verhaftet, obgleich die Noblesse der französischen Sprache den Arien eine gewissen Nonchalance einhaucht.

 

Opulent arrangiert sind auch die überwältigenden Chorpassagen, die sehr gehäuft im ersten Akt zum Einsatz kommen und so klanggewaltig und dominant wirken wie so manch monumentale Verdi-Oper. Ist das überhaupt noch Belcanto in seiner ursprünglichen Form?

 

Koloraturintensiv ist diese Oper auf jeden Fall, auch wenn man dafür bis zum 2. Akt warten muss. Dann nämlich zeigt sich die wahre Kunst des Schöngesangs in der Darbietung der jeweiligen Sopranistin, die in einem beeindruckenden Solo dem vokalen Höhenrausch standhalten muss.

 

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

Mit Lisette Oropesa gelingt das an diesem Abend vorzüglich. Biegsam, flexibel bis zum äußersten Anschlag. Na, was sage ich:

 

Grenzenlos und ohne doppelten Boden fliegen die Töne der zierlichen Sopranistin in duftige Höhen und gleiten leicht und mühelos dahin.

 

Wendig ist Lisette Oropesas Stimme nur einmal. Wie sie die Läufe angeht und die Koloraturen sauber miteinander verblendet, ohne auch nur einen einzigen Registerbruch zu erleiden. Es fließt und fließt und strömt ihr Vokalinstrument so geschmeidig wie herabperlend goldener Honig.

 

Dabei klingt ihre Stimme immerzu warm, vollmundig und saturiert, sodass man sich an dem klanglichen Farbenreichtum kaum mehr satthören kann.

 

Schauspielerisch eine Wucht, genießt man diese außerordentlich brillante Darstellung der Mathilde.

 

Lisette Oropesa in nichts nachstehend stemmt der US-amerikanische Tenor John Osborne seine Rolle mit Bravour und stellt seine absolute Belcanto-Stimme zur hörintensiven Schau.

 

Strahlende Höhen, klar und perlend, jugendlich anmutend und überhaupt:

 

Seine Interpretation der Rolle des Arnold wirkt anmutig, voll klangintensivem Esprit und besticht durch erfrischende Verve, wie sie bei vielen Belcanto-Tenören nicht unbedingt aufblitzt. Darstellerisch fehlt es der Rolle hingegen an emotionaler Intensität. Ein wenig mehr davon wäre tatsächlich mehr gewesen.

 

©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

Wett macht das, was an der einen Stelle zu kurz kommt, eine Maria Nazarova, die in einer zauberhaften Hosenrolle, den Sohn Guillaume Tells gibt. Famos und einfach so "Maria-like" entzückend interpretiert sie Jemmy mit Herz und Seele. Das zeigt sich nicht nur in ihrem duftig hellen Sopran, sondern vor allem in ihrem sehr anrührenden Schauspiel. 

 

Wie oft ihr trauriger Blick zum Vater hinüberwandert. Oder wie die Angst in ihr aufkeimt und sie sich wie ein kleiner Junge an den Vater schmiegt. Man merkt die Vollblutkünstlerin in Maria Nazarova, die wirklich jede Rolle, ob klein oder groß mit ganz viel Größe, Charakter und Herzblut ausfüllt und ihrem balsamischen Gesang Flügel der Unschuld verleiht.

 

Es ist so herrlich und beglückend Maria Nazarova in ihren Rollen, aber ganz besonders in dieser Rolle bewundern zu dürfen. Chapeau!

 

Sich gegen so ein Wunderwerk geballter Kunst zu behaupten, fällt schwer, wenn eine Rolle so bezaubernd anmutet und mit so viel Engagement und Leidenschaft ausgekleidet wird.

 

Doch auch Roberto Frontali spielt in der oberen Liga der Sangeskünstler mit, obgleich seine Rolle als Guillaume Tell nicht von Anfang an fasziniert. Erst als er seinem Sohn den Apfel vom Kopf schießen soll und er sich quälend dagegen wehrt und windet, erfährt man die menschelnde Seite, die Frontali sehr emotional und authentisch auf der Bühne darbietet. 

 

Sobald er den leidenden Vater gibt, scheint seine Interpretation Tiefe und Kontur zu bekommen.

 

Der Bösewicht Gesler, der dem Schweizer Volk das Leben zur Hölle macht, wird von Jean Teitgen überzeugend dargestellt. Sowie dieser Mann die Bühne betritt, wird deutlich, wie abscheulich sein Spiel, sein Kampf und seine Machtherrschaft sind. 

 

Dagegen strahlt ein Bertrand de Billy mit seinem Orchester um die Wette. Was für ein Segen, wenn man gleich mit der Ouvertüre und dem darin eingebundenen weltbekannten Marsch eine Punktlandung hinlegen kann. Was bleibt dem Zuhörer auch anderes übrig, als direkt frohgestimmt auf die darauffolgende Handlung vorbereitet zu werden. Diese Ouvertüre ist ein Hit, ein Kracher... und Bertrand de Billy der Popstar am Taktstock.

  

BESETZUNG 19.03.2024

 

Dirigent

Bertrand de Billy

 

Inszenierung

David Pountney

 

 

Guillaume Tell

Roberto Frontali

 

Arnold

John Osborn

 

Jemmy, Tells Sohn

Maria Nazarova

 

Gesler

Jean Teitgen

 

Ruodi

Iván Ayon Rivas

 

Mathilde

Lisette Oropesa

 

Walter Furst

Stephano Park

 

Melcthal

Evgeny Solodovnikov

 

Rodolphe

Carlos Osuna

 

Leuthold

Nikita Ivasechko

 

Hedwige

Monika Bohinec


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