24. November 2024
Rubrik Oper
©Marty Sohl / Metropolitan Opera New York
An diesem Abend wird das Kino voll! Unvorstellbar, dass sich Reihe um Reihe langsam aber sicher mit Menschen füllt. Was ist denn hier bloß los? So ein hohes Besucheraufkommen gab es die letzten Monate nicht in solch eindeutiger Ausprägung.
Aber halt! Es könnte gut daran liegen, dass sowohl Puccinis Tosca als auch die Interpretin der gleichnamigen Oper Anlass geben, sich den wohl packendsten Opernthriller aller Zeiten auf der Zunge zergehen lassen zu wollen.
Von Nicole Hacke
Bereits Wochen vor Lise Davidsens Premiere in der Rolle der temperamentvollen Floria Tosca, konnte man in den sozialen Medien eine Sneak Peak in die Probenarbeit der junonischen Erscheinung zusammen mit ihrem Tenorpartner Freddie De Tommaso erhaschen. Doch so ganz wollten die dort dargebotenen Einblicke keine allzu große Begeisterung auslösen.
Skepsis und Zweifel überwogen, dass Lise Davidsen vielleicht eine Spur zu dominant, zu heldenhaft und eventuell auch zu wagnerianisch über die Bühne fegen und den um einen halben Kopf kleineren Freddie De Tommaso noch dazu in seiner Präsenz darstellerisch und gesanglich wegdübeln könnte.
Weit gefehlt, auch wenn die norwegische Sopranistin aufgrund ihrer Statur zweifelsohne extrem hünenhaft wirkt, bringt sie doch alles mit, was eine Diva ausmacht. Unübersehbar ist ihr präsentes Auftreten in allen drei Akten. Lise Davidsen hat und zeigt Größe und bildet mit ihr eine absolute Erscheinung, mit der sie ihre Wirkung beim Publikum nicht verfehlt.
©Marty Sohl / Metropolitan Opera New York
©Marty Sohl / Metropolitan Opera New York
Eingebunden in eine historiengetreue Inszenierung des schottischen Regisseurs David Mc Vicar, erlebt man die fatale Dreieckskonstellation zwischen Tosca, ihrem Geliebten Mario Cavaradossi und dem machtbesessenen Baron Scarpia an detailgetreu nachgebildeten Originalschauplätzen der Oper.
Opulent erstrahlen gleich im ersten Akt die Heiligenfiguren, Ikonen und Wandmalereien aus jedem Winkel der Barockkirche Sant’Andrea della Valle in Rom. Auf der Stelle fühlt sich der Zuschauer in eine Zeit zurückversetzt, die zum Romantisieren, Schwelgen und Träumen einlädt.
Doch was noch viel bezeichnender ist, David Mc Vicars inszenatorischer Plan geht Takt für Takt im musikalischen Erzählcharakter auf.
Ob das gottesfürchtige "Te deum", das von einer klangmächtigen Orgel und einer ebenso ohrbetäubenden Bassdrum tonal aufgebauscht wird, in diesen Kirchenwänden wird man demütig und spürt gleichermaßen eine bedrohliche Macht, die just im zweiten Akt bis in jede Pore des abgedunkelten Gemachs des bösartigen Statthalters Scarpia dringt.
Vor einem imposanten Kamin an einem wuchtigen Schreibtisch sitzend, behauptet sich der Mann, der über Leben und Tod der Bürger Roms entscheidet und auch das Schicksal Toscas und Cavaradossis zwischen seinen Fäusten ganz willkürlich einfach so zerquetschen kann.
©Marty Sohl / Metropolitan Opera New York
©Marty Sohl / Metropolitan Opera New York
©Marty Sohl / Metropolitan Opera New York
©Marty Sohl / Metropolitan Opera New York
Im letzten Akt rückt dann das Dach der Engelsburg omnipräsent in den Vordergrund. Auf ihm spielt sich das tragische Ende des epischen Dramas ab.
Während noch im Morgengrauen die musikalische Untermalung ein unschuldiges Bild eines heranbrechenden Tages malt und man dennoch ahnt, was dem armen Mario Cavaradossi in nur wenigen Stunden blühen wird, hilft das Bühnenbild ganz enorm, den emotionalen Temperaturen Raum zu verleihen.
Diese Inszenierung ist perfekt und stellt jedes Regietheater in den Schatten. Wer Tosca mit Haut und Haaren in einer lebendigen, pulsierenden und historisch-glorifizierenden Inszenierung sehen will, dem lege ich das Werk David Mc Vicars wärmstens ans Herz.
Und auch wenn man Lise Davidsen und Freddie De Tommaso rein optisch nicht unbedingt als Traumpaar der Opernbühne bezeichnen kann, so harmonieren sie darstellerisch und gesanglich sehr ausgewogen miteinander.
Kaum zu glauben, dass auch Freddie De Tommaso an Temperament nicht hinterm Berg hält, auch wenn er im ersten Akt leichte Anlaufschwierigkeiten hat, sich in "Recondita armonia" lyrisch lupenrein und tonmalerisch farbenreich auszutoben. Denn irgendwie sitzen die Töne nicht sofort auf Maß und klingen leider auch um ein MÜ unsauber.
Doch nachdem der Tenor aufgewärmt scheint, läuft seine Stimme wie geschmiert. Mit einem sahnefeinen Klangschmelz, herrlich baritonal in der satten Mittellage und von einem warmgoldenen Glanz in den Obertönen umflort, säuselt der britisch-italienische Tenor "belcantissimo" seine Liebesbekundungen in Toscas Ohr und schmettert Scarpia direkt nach der Folterszene heroisch-aufbegehrend kühne Parolen ins Gesicht. Das nenne ich Temperament.
©Marty Sohl / Metropolitan Opera New York
©Marty Sohl / Metropolitan Opera New York
©Marty Sohl / Metropolitan Opera New York
Doch damit nicht genug. Freddie De Tommaso, der auf der Konzertbühne immer einen recht gutmütigen Eindruck macht, so als könne er keiner Fliege etwas zuleide tun, dreht in der Rolle des Mario Cavaradossi voll auf. Mal flitzt er aufgestachelt über die Bühne, dann wiederum versinkt er in einem sentimentalen Moment der Resignation.
Letzteres kommt auch in "E lucevan le stelle" konturiert zum Ausdruck. Schwer tut man sich zwar, einen gewissen Tenor in exakt der Rolleninterpretation auszublenden. Doch es gelingt. Und De Tommaso beeindruckt mit einem Wechselbad aus verklärt nostalgischer Sentimentalität und einer letzten verzweifelt aufbegehrenden Hommage an das Leben.
Sehr differenziert gestaltet, vielleicht zu sehr im Jetzt und Hier interpretiert und nicht so inniglich und in sich versunken, wie man es eben auch schon gehört hat, schafft es De Tommaso dennoch das Publikum mit seiner interpretatorisch stürmisch-leidenschaftlichen Darstellung zu beeindrucken.
Auch ich fühle mich berührt und angefasst von dieser Stimme, die sehr angenehm, süffig und warmgolden an den Gehörgang andockt.
Und Lise Davidsen als Floria Tosca? Die ist an diesem Abend die Überraschung schlechthin, denn sie versteht wirklich, worum es dieser Frau geht, wie Tosca liebt und leidet und vor allem, wie echtes Drama funktioniert.
Wie Davidsen mit Scarpia im 2. Akt kämpft. Erst stolz, dann ängstlich, dann verzweifelt, dann eiskalt berechnend. Und dann, als sie ihm mit brutaler Gewalt zweimal das Messer in den Körper rammt, merkt man, in der Sopranistin steckt ein Rasseweib, das wirklich alle Register zieht, wenn es drauf ankommt.
©Marty Sohl / Metropolitan Opera New York
Und das vor allem gesanglich: Berauschend ist insbesondere Davidsens Interpretation der Arie "Vissi d´Arte". Wer jetzt denkt, dass die große Wagner-Stimme nur voluminös und wagnerianisch kann, der irrt ganz gewaltig.
Sehr innig, zart und mit ausdrucksstarken Pianissimi entgleiten der Sängerin Klangpaletten von irisierender Duftigkeit. Es schwebt und schwebt und schwebt immerzu.
Das totale Gegenstück zu Tosca und Cavaradossi bildet der bitterböse Scarpia, der von Quinn Kelsey zum Besten gegeben wird. Nicht ganz meine Idealbesetzung und dennoch:
Dieser Type fasziniert auf unerklärlich magische Weise. Es ist dieses widerliche Spiel der Polaritäten, von denen man nie weiß, ob dieser Mann einen auf hypnotisierende Art anmacht oder schlichtweg nur abturnt!
Kelseys Stimme hat auf jeden Fall Charakter, zeigt Ecken und Kanten und ist definitiv nicht nur auf Schöngesang getrimmt. Seine Wutausbrüche, seine "Rabia" stellt er mit einer Gefühlskälte zur Schau, die einem unangenehme Gänsehautmomente bescheren.
Auf das Humorvollste neutralisiert Patrick Carfizzi die explosive Dreieckskonstellation, zumindest im ersten Akt. Für den Lauf der Dinge danach kann er schließlich nichts. Seine Darstellung des Sacristan ist erfrischend und eine Paraderolle par excellence.
Was aber, wenn das Dirigat die Handlung nicht vorantreiben würde? Darum muss man sich ebenfalls keine Gedanken machen, denn Yannick Nézet-Séguin versteht es superb, den Sängern eine Bühne zu bereiten und die Stimmungen von Puccinis Werk so gekonnt aufzugreifen, dass der rote Faden der musikalischen Erzählung nicht abreißt.
Schließlich lebt der Dirigent für die Musik und weiß um das Dilemma der emotionalen Begrenztheit von Worten. Wenn das passiert, zückt er einfach nur seinen Taktstock und lässt die Emotionen durch seine Musik sprechen. Und das tut er mit phänomenaler Wirkkraft!