02. Mai 2024
Rubrik Oper
©Monika Rittershaus - INTERMEZZO Richard Strauss - Premiere 25.04. 2024
Oper ist aus Mythos und antiken Stoffen gemacht? Vergessen Sie es. Richard Strauss hat in Intermezzo das eigene Eheleben recht unverhüllt in Musik und Text gegossen und damit schon bei der Uraufführung Publikum und Kritik gleichermaßen irritiert.
Nun ist in Zeiten von Social Media die Grenze zwischen Privatem und Öffentlichem längst verschwommen, gar aufgeweicht, sodass Intermezzo heute wohl nicht mehr als provokant empfunden wird, aber das eigentlich Interessante ist so aktuell wie zur Entstehung:
Von Heike Franke
Das Verlangen des Publikums nach „modernen“ Opernstoffen.
Da heute gerade der voyeuristische Blick ins Private öffentlicher Personen an der Tagesordnung ist, ist Intermezzo vielleicht aktueller denn je.
Vor allem auch deshalb, weil Strauss mit der Figur der Christine das Porträt einer Frau zeichnet, die mit ihrem unausgefüllten Dasein zwar hadert, aber sich auch durch die Rolle der fürsorglichen Ehefrau des erfolgreichen Mannes definiert und in einem ständigen inneren Konflikt steht.
©Monika Rittershaus - INTERMEZZO Richard Strauss - Premiere 25.04. 2024
©Monika Rittershaus - INTERMEZZO Richard Strauss - Premiere 25.04. 2024
Damit ist dieser Opernstoff näher am aktuell gesellschaftlichen Geschehen, als man sich vielleicht eingestehen mag.
Denn macht man sich die Mühe, z.B. auf der Plattform Threads die zahlreichen Posts junger Frauen zu lesen, in denen vorrangig die Frage danach gestellt wird, wieviel ein Mann verdienen muss, damit er zum „Kandidat“ wird, der einen versorgen kann, dann kann man nur zum Schluss kommen, dass große Teile der Generation Ü20 das Zielpublikum sind.
Genau diese Modernität hat Tobias Kratzer in seiner Inszenierung hervorragend herausgearbeitet: Die Frage nach den Rollen von Mann und Frau, dazu das „Denkmal“ Künstlertum, das Strauss in sinfonischen Zwischenspielen gesetzt hat und die vielfach missglückte Kommunikation, ausgelöst dadurch, dass kaum mehr miteinander gesprochen, wohl aber viel mit Emojis verziert getextet wird.
Kratzers Inszenierung ist ein echter Kracher. So gern ich jetzt hier im detailreichen Bericht über „Koffer Tetris“ im Taxi, Zottelhaarperücke und Bart, Straußvögel, Axtschwingen und dergleichen schwelgen würde, ich verkneife es mir Ihnen zuliebe.
Die Fotos geben einiges preis, und Spoilern verdirbt den immensen Spaß, den Sie haben werden, wenn Sie in die Vorstellung gehen. Und das sollten Sie unbedingt tun.
©Monika Rittershaus - INTERMEZZO Richard Strauss - Premiere 25.04. 2024
©Monika Rittershaus - INTERMEZZO Richard Strauss - Premiere 25.04. 2024
©Monika Rittershaus - INTERMEZZO Richard Strauss - Premiere 25.04. 2024
Denn Tobias Kratzer hat den Strauss’chen ironischen Stoff hervorragend in nicht minder ironische Regie voller kleiner Überraschungen und witziger Details gesetzt – in einer Art, die nicht nur verdeutlicht, wie intensiv er sich mit Intermezzo auseinandergesetzt hat, sondern auch wieviel Spaß er dabei wohl hatte und wieviel Liebe zu dieser Oper er empfinden mag.
Und das alles so phantastisch, dass man ihm noch die Ohnesorg Theater mäßigste „Hau drauf“ Comedy nicht
übelnimmt, im Gegenteil.
Das liegt natürlich auch an den Solist:innen, die sich allesamt auf das Spektakel eingelassen haben und teilweise so richtig aufdrehen.
Allen voran Maria Bengtsson als Christine, vor deren Leistung man nur alle Hüte ziehen kann, die ein gutsortiertes Hutgeschäft hergeben mag.
Mit Stamina, Lust und Laune schauspielert sie sich durch die Facetten der Gattin des Hofkapellmeisters Robert Storch.
Beeindruckend, mit welchem Einsatz von Körper, Stimme und Emotion Maria Bengtsson diese Rolle füllt, was sie alles herauslässt, wie sie diese gesanglich mehr als fordernde Partitur über zweieinhalb Stunden auf die Bühne bringt, ohne dass es je angestrengt wirkt. Das ist körperliche, emotionale und psychische Schwerstarbeit.
©Monika Rittershaus - INTERMEZZO Richard Strauss - Premiere 25.04. 2024
©Monika Rittershaus - INTERMEZZO Richard Strauss - Premiere 25.04. 2024
Und dabei singt Maria Bengtsson jedes Wort derart deutlich artikuliert und mit einer Fülle von – bisweilen provokanten - unterschiedlichen Farben, dass es in jeder Hinsicht ein erfüllendes Vergnügen ist, ihr dabei zuzuhören und zuzusehen.
Thomas Blondelle als Baron Lummer macht neben Bengtsson einen guten Job, schauspielerisch jedoch bleibt der Tenor eher eindimensional. Seine Stärke liegt in der Darstellung des leicht schmierigen, süffisanten Kerls. Das macht er wirklich toll, denn zumindest ich fand ihn dabei noch eher amüsant als alles andere, aber wirklich überzeugt hätte er mich, wenn er nicht irgendwie auch unbeholfen gewirkt hätte.
Stimmlich hingegen passt er hervorragend zu Bengtsson. Philipp Jekal stellt den Hofkapellmeister Robert Storch sehr überzeugend dar.
Ihm nimmt man den berühmten Musiker und selbstbewussten Mann in jeder Sekunde ab. Auch stimmlich gibt es da nichts auszusetzen.
Elliott Woodruff zeigt beachtlich viel Talent in seiner Darstellung als kleiner Sohn Franzl, der dem
Vater nähersteht als der Mutter und diese im Grunde wie eine Zofe behandelt.
©Monika Rittershaus - INTERMEZZO Richard Strauss - Premiere 25.04. 2024
Sir Donald Runnicles zaubert im Graben perfekte Klänge von Strauss’scher Wucht und nahezu zarter Sinfonie mit dem wie immer hervorragend aufspielenden Orchester der Deutschen Oper Berlin. Eine – wie ich finde – sehr schöne Regie Idee lässt das Publikum via Projektion der Bilder auf das Bühnenbild an der Arbeit von Maestro und Orchester zwischen den Szenen teilhaben.
So sieht man gerade auch in den Gesichtern der Musiker:innen mit wie viel Emotion dort unten musiziert wird.
Was also bleibt als Fazit?
Gehen Sie unbedingt in die Vorstellung! Nicht nur, weil Sie Maria Bengtssons Stamina, Einsatz, Lust an der Provokation und Stimmgewalt nicht verpassen sollten – auch wenn das schon Grund genug wäre.
Nein, diese Intermezzo ist moderne, zeitgenössische Oper at it’s best: Brillante Unterhaltung und dabei Kunst auf sehr hohem Niveau.
Und es gelingt sogar noch, dass einem bei aller Heiterkeit am Schluss das Lachen doch auch im Halse stecken bleibt und zumindest Frau noch lange darüber nachdenkt, wie schlecht es vielleicht doch um unsere Emanzipation steht.
BESETZUNG
Musikalische Leitung
Sir Donald Runnicles
Dominic Limburg (14.06.2024)
Inszenierung
Tobias Kratzer
Hofkapellmeister Robert Storch
Philipp Jekal
Christine, seine Frau
Maria Bengtsson
Flurina Stucki (07.06.2024 | 14.06.2024)
Franzl, ihr kleiner Sohn
Elliott Woodruff
Emil Pyhrr (28.04.2024 | 07.06.2024 | 14.06.2024)
Anna, die Kammerjungfer
Anna Schoeck
Baron Lummer
Thomas Blondelle
Kapellmeister Stroh
Clemens Bieber
Notar
Markus Brück
Gerard Farreras (07.06.2024 | 14.06.2024)
Frau des Notars
Nadine Secunde
Kommerzienrat
Joel Allison
Justizrat
Simon Pauly
Kammersänger
Tobias Kehrer
Resi
Lilit Davtyan
Corinna Ruba (07.06.2024 | 14.06.2024)
Orchester
Orchester der Deutschen Oper Berlin