03. Oktober 2024
Rubrik Oper
©Michael Pöhn / Wiener Staatsoper
Was wäre die Oper, wenn sie nicht auch manchmal polarisieren würde? Don Carlo an der Wiener Staatsoper schafft das in jedem Fall recht gut.
Schließlich heißt der inszenatorische Urheber des skandalösen Malheurs Kiril Serebrennikov, der sich des historischen Stoffes angenommen, ihn komplett auf links und damit so umgedreht hat, dass man nicht mehr weiß, wo innen noch außen ist.
Oder etwa doch? Tatsächlich hat man als Zuschauer die Option, gleich mit dem ersten Aufzug auszusteigen, das Handtuch zu schmeißen und mit Buhrufen nicht zu sparen. Oder aber man lässt sich komplett und ohne Vorbehalte auf diese sehr gewöhnungsbedürftige Inszenierung ein.
Es dauert auch in etwa 10 Minuten bis man versteht, dass die Handlung im Hier und Jetzt und zwar in der historischen Kleiderkammer des spanischen Königspalastest "El Escorial" spielt, was bedeutet, so weit entfernt vom originären Handlungsdrama ist der Opernstoff, aus dem die musikalischen Träume gewoben sind, nun doch nicht.
Elisabetta und Don Carlo sind Mitarbeiter des musealen Teams im Königspalast. Sie restaurieren die alten Gewänder der Adligen und finden so einen Zugang zur Vergangenheit, die wiederum eine Brücke in die Gegenwart baut:
Soll heißen, die Geschichte wiederholt sich, immer und immer wieder. Was Don Carlo und Elisabetta widerfährt, die gesponnenen Intrigen am Königshof, das Machtgefälle, der Machtmissbrauch - es sind durch die Bank weg Themen, die Menschen damals beschäftigt haben und Menschen auch heute und zukünftig beschäftigen werden.
Soweit versteht sich das Regiewerk Serebrennikovs und macht sogar den Eindruck, gut durchdacht zu sein. Die Konfrontation mit der Geschichte ist in diesem Stück allgegenwärtig und gut konturiert hervorgehoben.
Die Alterego-Protagonisten, die in den originalgetreuen Königsgewändern immer wieder als stumme Puppen fungieren, an-, aus- und umgezogen werden, bilden den glorifizierten, vielleicht sogar romantisierten Kontrast einer damaligen Epoche hin zur unprätentiösen Gegenwart, die alles andere als heroisch und glorreich daherkommt.
Nur die Probleme, die Konflikte und die Machtverhältnisse sind im direkten Vergleich ähnlich strukturiert.
©Frol Podlesnyi / Wiener Staatsoper
©Frol Podlesnyi / Wiener Staatsoper
Noch im ersten Akt bleibt es spannend. Ganz genau muss man aber dennoch hinschauen, um Symbolismen aufzuschlüsseln, um zu verstehen, warum sich die Elisabetta der Gegenwart mit dem historischen Gewand der Adligen kleidet, um sich kurz darauf nach Luft ringend dasselbe abrupt vom Leib zu reißen.
Eng wird es in einer Kostümierung, eng wird es auch in einer Uniform, die sich im übertragenen Sinne als Dogma im gesellschaftlichen Konformismus etabliert hat.
Serebrennikov teilt aus, setzt Zeichen und wird hochgradig sozialkritisch und politisch. Das ist keine leichte Kost, wirkt kaum gefällig und muss erstmal verdaut werden.
Will man das alles überhaupt verdauen, wenn doch die harten Fakten eh schon den Alltag trüben und man so gerne in die Oper geht, um genau dieses Trübsal für ein paar wenige Stunden von der Seele abstreifen zu dürfen?
Regietheater ist eben Regietheater! Und ja, es möchte sehr intellektuell sein und sich behaupten gegen die vermeintlich aus der Zeit gekommenen Historiendramen. Doch wie gesagt, die Geschichte wiederholt sich fortwährend. Nur das epochale Gerüst ist ein Moderneres.
Während nun im Museumstrakt des Escorial die fast zu staub zerfallenen Gewänder der Könige minutiös restauriert werden, spielt sich das Drama zwischen den Mitarbeitern und ihrem autokratischen Chef ab.
Elisabetta, die ihrer Liebe zu Don Carlo hinterher weint, muss ein Dasein an der Seite ihres Chefs fristen, obgleich sie ihn hasst. Eboli ist die schnippische Intrigantin, die überall ihre Nase reinsteckt und nur allzu gerne dazwischen funkt, wo sie nur kann.
©Frol Podlesnyi / Wiener Staatsoper
©Frol Podlesnyi / Wiener Staatsoper
©Frol Podlesnyi / Wiener Staatsoper
Klare Strukturen und klare Hirarchien existieren auch in der Gegenwart. Kombiniert mit dem politischen Chaos dieser Tage, den Unzulänglichkeiten regierender Herrscher und einer konsumgeschwängerten Gesellschaft, die Müllberge an Klamotten produziert, machen aus dem Werk des italienischen Komponisten Verdi, ein politisches Statement untragbarer gesellschaftlicher Zustände.
Schnell kommt einem da der Gedanke, dass es hierbei überhaupt nicht mehr um die Kunst, die Musik und um die Sänger geht, sondern um die Klimakrise, die ja doch viel eher einen Menschheitskrise ist.
Irgendwann nach dem zweiten Akt verliert sich der rote Handlungsfaden und man weiß nicht so genau, wohin diese chaotische Inszenierung weiter hinrudern will.
Demonstrationen, Rebellionen und dergleichen. Alle gesellschaftskritischen Karten weden auf der Bühne der Wiener Staatsoper auf den Tisch gelegt.
Stark liegt der Fokus auf dem Regiewerk. Kaum kann man davon ablassen und sich rein auf den künstlerischen Gehalt der Musik konzentrieren. Und dennoch: Asmik Grigorian schafft es, sich ihr Publikum durch die Irrungen und Wirrungen des Regietheaters zu erobern.
Zwar ist sie keine typische Verdi-Interpretin par exellence, vermag es aber mit ihrer "Eigenart" und ihrem gesanglichen Alleinstellungsmerkmal zu faszinieren und zu fesseln.
Mit ihrem nachtblauen Sopran, der stets eine Nuance unterkühlt klingt, in dessen eisblauem Timbre man angenehm zu erfrieren droht, strömen die Linien zuweilen hart, aber emotional messerscharf in kristallklare Höhen.
©Frol Podlesnyi / Wiener Staatsoper
©Frol Podlesnyi / Wiener Staatsoper
©Frol Podlesnyi / Wiener Staatsoper
Nein, ein warmer mütterlicher Typ ist Asmik Grigorian nun wirklich nicht. Unangepasst, unkonventionell und in ihrer gesanglichen Interpretation individuell, so treffen es da deutlich eher auf den Punkt.
Wunderbar in jedem Fall gestaltet die OPernsängerin ihre Hauptarie im letzten Akt, die voller Verzweiflung aus tiefster Seelennot vokal überzeugt und emotionale Temperaturen von höchster Güte ins Publikum transportiert.
Großartig singt sich auch Etienne Dupuis in die Herzen des Publikums. Mit seinem sonoren Bariton, der raumgreifend, nicht zu üppig schwer, sondern elegant und mit einem facettenreichen Timbre gesegnet ist, gestaltet der Kanadier seine Arien äußerst ausdrucksstark und mit viel tonalem Elan und ausgesprochen dynamischer Verve.
Herrlich anzuhören ist er insbesondere im gemeinsamen Duett mit dem Tenor Joshua Guerrero, der als Don Carlo einen gesanglich sehr dominanten Thronanwärter gibt.
Manches Mal sogar ein wenig "over the top" scheint der Schöngesang vordergründiger zu sein, als die gesangliche Ausgestaltung der Rolle.
Großartig und insbesondere schauspielerisch präsent ist auch Roberto Tagliavini, der als König Philipp einen mächtig beeindruckenden Part zum Besten gibt.
©Frol Podlesnyi / Wiener Staatsoper
©Frol Podlesnyi / Wiener Staatsoper
©Frol Podlesnyi / Wiener Staatsoper
Dominant und mit voluminöser Stimmpotenz gesegnet, erschauert es einen vor diesem brutalen Herrscher, der Unterdrückung feiert und sich selbst für übergroß und unanfechtbar hält.
Dagegen wirkt die Mezzosopranistin Eve Maud-Hubeneaux leicht blässlich, obgleich die spitze Zunge, mit der sie feinste Töne produziert und stimmlich züngelnd intrigantes Spiel treibt, sehr wohl großartige Gesangsakrobatik vermag.
Am Ende bleibt ein Philippe Jordan, der Protest erprobt, kein weißes Taschentuch mehr hissen musste, um das Auditorium zu besänftigen, denn nur wenige Buhrufe durchdringen den Saal und lassen mutmaßen, was wohl bei der Premiere los gewesen sein muss.
Fazit: Definitiv keine Oper für schwache Nerven, zumindest nicht im inszenatorischen Kontext.
Weitere Termin von Asmik Grigorian auf www.operabase.com