14. Mai 2024
Rubrik Oper
©Beth Chalmers
Jetzt bin ich wach! Mit aufbrausender Kraft erklingen die ersten dynamischen Töne aus dem Orchestergraben des Markgräflichen Opernhauses in Bayreuth.
Michael Hofstetter schwingt seinen Taktstock, zackig zu Beginn, dann im Wechsel mit ausufernd fließenden Bewegungen, aber immer ganz nah am Puls dynamischer Höhenflüge.
Von Nicole Hacke
Mit "La Clemenza di Tito" ist Wolfgang Amadeus Mozart eine Oper gelungen, die durch agogisch pfiffige Kniffe Dramatik auf ekstatische Höhepunkte zusteuern lässt, obgleich es keine Toten in diesem Werk gibt.
Eine Intrige zwar, die von der machtbesessenen Vitallia ausgehend ihren Geliebten Sesto zum Sündenbock erhöht. Aber ansonsten zeigt diese Oper keine allzu spannenden Ausreißer.
Szenisch minimal gehalten und nur auf wesentliche Requisiten beschränkt, fehlt die Erweiterung der barocken Opulenz vom Auditorium auf die Bühne.
Was noch vor wenigen Abenden Barock aus allen Winkeln und Ecken geschrien hat, verstummt in dieser Interpretation in szenischer Zurückhaltung.
Schade, denn etwas mehr schillernder Glanz und "Rock-me-Amadeus-Feeling" hätten der Inszenierung deutlich mehr zeitentrückten Charme und vor allem Originalität verliehen.
©Beth Chalmers
©Beth Chalmers
Doch dafür sorgen im Zuge der ausgleichenden Gerechtigkeit die Künstler auf der Bühne, die aus dem Werk Mozarts sowohl schauspielerisch als auch gesanglich alles herausholen, was Klassik zum Hochgenuss macht.
Allen voran Vero Miller, die zwischen den Stühlen von Tito und Vitallia hin- und hergerissen unfreiwillig einen bösen Plan in die Umsetzung bringen muss.
Herausragend strömt ihre schlanke Stimme in höchste Höhen, elegant, strahlend und wunderbar phrasierend, sodass man im Fluss ihrer Stimme nahezu mitschwimmen kann.
Leicht ist es wahrlich, ihrem Schöngesang zu folgen, der emotional gesättigt, einen spektralen Farbenreichtum aufweist, der sämtliche Regenbogenfarben zum erblassen bringt.
Viel schöner kann es kaum noch von einer Bühne zwitschern und trällern.
Großartig spielt sich auch die intrigante, machthungrige Vitallia, alias Francesca Lombardi Mazzulli in die Herzen des Publikums, obgleich man sie für ihre Untat nicht wirklich ins Herz schließen kann.
Diese Frau hat etwas Abstoßendes, Unsympathisches!
©Beth Chalmers
©Beth Chalmers
Doch genau diese Attribute, die gekonnt ausgespielt werden, verleihen dem schauspielerisch perfektem Guss Kontur.
Francesca Lombardi Mazzulli glänzt in einer Rolle, die ihre Paraderolle sein könnte, vor allem, weil sie am Ende Reue zeigt und sich damit von ihrer verletzlichen Seite offenbart.
Ein wunderschöner, multifacettierter Charakter, der alle Aspekte fehlbarer Menschlichkeit miteinander vereint.
Stimmlich mit einem warmen Klangschmelz ausgestattet, schafft auch sie den mühelosen Ritt in registerverblendende Perfektion.
Steigerungsintensiv schrauben sich ihre Koloraturen akrobatisch in die Höhe, klingen duftig mit einem leicht hölzernen Unterton.
Ebenso überraschend ist auch der Auftritt der Einspringerin Akiho Tsujii als Servilia, die einen jugendlichen Liebreiz versprüht, der es schauspielerisch und stimmlich in sich hat.
Was für ein betörender, zauberhafter Gesang.
Mit Abstand am Schwächsten ist die Leistung des südafrikanischen Tenors Khanyiso Gwenxane, von dem man in der Rolle des Tito mehr Strahlkraft und vor allem Stentoralkraft erwartet hätte.
Irgendwie gedämpft und wie aus weiter Ferne klingt seine Stimme unausgewogen und überzeugt auch gestalterisch wenig. Es fehlt an Esprit, Verve und Expressivität, Attribute, die bei den anderen Darstellern in ausreichender Menge vorhanden sind.
©Beth Chalmers
©Beth Chalmers
Auch in ausreichender Menge vorhanden ist das leidenschaftliche Dirigat, das Michael Hofstetter zu einem wahren Meister am "Pult" macht. Schließlich kann nicht nur Harry Potter Magie! Ein großartiger Abend neigt sich gen Ende, zumindest für meine Wenigkeit.
Was ich aus vier Tagen Gluck-Festspiele mitnehme?
Ganz viel Glück, glückselige Stunden, herzerfrischende musikalische Erlebnisse, ein Opernhaus mit barockem Alleinstellungsmerkmal und das Wissen um ein musikalisches Ereignis, das sich
neben den Bayreuther-Festspielen bald, schon sehr bald zu einem barocken Großereignis etablieren wird, wenn es das nicht schon längst getan hat.
BESETZUNG:
Michael Hofstetter, Musikalische Leitung
Chor und Orchester des J. K. Tyla Pilsen
Rocc, Regie und Bühne
Belinda Radulović, Kostüme
Kai Fischer, Licht
Jakub Zicha, Einstudierung Chor
Khanyiso Gwenxane, Titus
Vero Miller, Sesto
Francesca Lombardi Mazzulli, Vitellia
Akiho Tsujii, Servilia
Jakub Hliněnský, Publio
Barbora Polášková de Nunes-Cambraia, Annio