Freischütz Premiere an der Hamburgischen Staatsoper frenetisch bejubelt, aber mit leisem Buh-Orkan untermalt

18. November 2024

Rubrik Oper

©Brinkhoff/Mögenburg

Das Foyer der Hamburgischen Staatsoper platzt an diesem Abend aus allen Nähten. Schick aufgehübschte Damen in eleganten Roben schmücken die minimalistisch anmutenden Hallen des hanseatischen Musentempels.

 

Es ist ein Gewusel sondergleichen und ein Jahrmarkt der Eitelkeiten zum Teil auch- und das für die Premiere von Webers Freischütz?

 

Von Nicole Hacke

 

Wie bringt man diese Oper, für die eigentlich ein Steinbruch oder die Bregenzer Festspielbühne eine geeignetere Kulisse wären, überhaupt auf eine in Räumlichkeit begrenzte Spielstätte? Andreas Riegenburg hat es mit einfachen, aber effektiven Gestaltungsmitteln geschafft und sogar die Wolfsschlucht an einen düsteren Ort der Verdamnis verhaftet.

 

Doch ganz der Reihe nach: In einem Festspielzelt, dessen Wände aus zusammengezimmerten Holzpaneelen bestehen, spielt die Musik zünftig auf.

 

Schützen, Weiber, Bier und Spaß versammeln sich an Holztischen und mittendrin ein verzweifelter Max, der jetzt schon ahnt, dass ihm sein Glück mit Agathe nicht hold sein wird, sollte er als Schütze versagen.

 

Aufgemacht in 50er-Jahre Nostalgie mit adrett gepflegten Erscheinungsbildern, herrlichen Petticoat-Kleidern, rüschigen Volants und einer "Stepford-Wife" Attitüde, die zum Belächeln viel zu charmant in Szene gesetzt ist, erlebt der Opernbesucher an diesem Abend ein geniales Werk, das eindeutige Interpretationsspielräume zulässt.

 

Der Teufel als Joker maskiert (ein bisschen erinnert er an Graf Zahn), der sich auch im wahren Leben oftmals als solcher entpuppt, wird vom zwielichtigen Bösewicht Caspar in ebenso Joker-ähnlicher Gestalt personifiziert.

 

©Brinkhoff/Mögenburg

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Das Glück auf kürzestem Weg erreichen, auch wenn es einen teuflischen Pakt impliziert, der nur mehr Probleme, statt Lösungen und echtes Glück verspricht:

 

Die Moral von dieser Geschichte ist auf den Punkt genau inszenatorisch verwirklicht. Ganz anders wird einem, als das Stück auf den kulminierenden Höhepunkt zusteuert. In der Wolfsschlucht, dem verbotenen Ort, geschehen unheimliche Dinge. 

 

Wölfe in Menschengestalt, fletschen ihre mal rot, dann wieder weiß aufblitzenden Zähne. Sind es Werwölfe, die sich in mitternächtlicher Stunde aus ihren feinen Anzügen schälen, um ein mörderisches Spiel zu treiben? Umhüllt von mystischen Nebelschwaden umkreisen sie langsam das auf den Prüfstand erhobene Liebesglück von Max und Agathe.

 

Wird es dem Teufel gelingen, einen Keil zwischen die beiden zu treiben? Oder obsiegt das Gute, auch wenn Max auf Abwegen den vorerst falschen Pfad der Untugenden wählt?

 

Diese Allegorie, die so packend, fesselnd und wie ein filmreifer Thriller daherkommt, zeigt auf, wie sehr der menschliche Geist willig und doch so schwach wie sein Fleisch sein kann.

 

Ein kalter Schauer läuft mir bei all dem unheimlichen Hokuspokus um das magische "Brauen" der Freikugeln über den Rücken, wäre da nicht noch der Teufel, der mit seiner kalten, hämischen und subtil psychopathischen Attitüde das Grauen kurz vor der Pause steigerungsintensiv auf die Spitze treiben würde.

 

©Brinkhoff/Mögenburg

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Wie kann man jetzt nur in die Pause gehen? Nachdem man sich den elektrisierenden Cliffhanger mit feinen Häppchen und einem Glas Wein versüßt hat, stimmen nach der Pause die Hochzeitsvorbereitungen der Agathe beruhigend fröhlich.

 

Im Schloss geht es hoch her. Die Braut, hübsch zurechtgemacht, wird von ihrer besten Freundin Ännchen in ihrer ängstlich aufkeimenden Nervosität gezähmt.

 

Ein Eremit hat Agathe ein unheilvolles Schicksal prophezeit, das ihren Tod bedeuten könnte. Ännchen, die das Leben leicht nimmt, räumt mit ihrer unbekümmerten Art alle bösen Gedanken aus dem Weg. Doch ein wenig abergläubisch ist auch sie.

 

Schließlich entpuppt sich der jungfräuliche Kranz, der noch zuvor so eifrig von den Brautjungfern besungen wird, als Totenkranz und bestärkt Agathe in ihrem Glauben an die unheilvolle Prophezeiung des Eremiten.

 

Doch Ende gut, alles gut! Am Schluss vereint sich, was in Liebe vereint sein muss. Max bekommt seine Agathe, der Teufel seinen Caspar. Das Gute erhebt sich über das Böse, auch wenn der Teufel immer im Detail steckt, auf der linken Schulter sitzt und wie vielleicht in diesem Fall sogar Prada trägt.

 

Was ich damit sagen will? Die Versuchung, dem Teufel zu erliegen, ist zu jeder Zeit, in jedem Geist nur einen bösen Gedanken weit entfernt. Eine Lehre für die Menschheit? Auf jeden Fall ein Anreiz, sich immer und immer wieder darin zu üben, ausschließlich das Gute in sein Leben zu lassen und es ausschließlich zu nähren.

 

©Brinkhoff/Mögenburg

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Musikalisch ist das Werk des Komponisten Carl Maria von Weber ein absoluter Geniestreich. Mit eindrücklichen Motiven versehen, kann man sich das Jagdfieber sofort visualisieren.

 

Immer wieder ertönen Hörner, leben Jagdmärsche und volkstümliche Weisen auf, verknüpfen sich gekonnt und elegant mit dem irisierenden Klangteppich der üppigen Orchestrierung.

 

Der Duft von Wald, die Natur pur: Diese Musik ist Inbegriff aller deutschen Romantik, bezaubernd schön - ein musikalisches Juwel, das einfach viel öfter auf Opernbühnen gehört werden sollte.

 

Herrlich ist vor allem die junge Alina Wunderlin, die als Ännchen nicht nur ihr komisches Schauspieltalent auf die Bühne bringt, sondern vor allem gesanglich die hohe Kunst mit ihrer großartigen Vokalakrobatik ehrt - und das en détail mit Verve, Ausdruckskraft und einer tonalen Erzählkunst, die auch emotionale Temperaturen an den Siedepunkt bringen kann.

 

Ja, es ist spannend, aufregend und unterhaltsam zugleich, dieser Künstlerin beim Gestalten, Darstellen und Interpretieren der Rolle zu lauschen. Ein Augenschmaus ist die zierliche und sehr wendige Darstellerin sowieso.

 

Auch Julia Kleiter, die sich famos in der Rolle der Agathe verwirklicht, betört mit ihrer vereinnahmenden Lyrik und gestalterischen Klangversatilität.

 

Feine Lyrismen, auf den Punkt genaue Phrasierungen, schöne und weiche Legato-Linien runden das Gesangsprofil der Künstlerin ab. Registerverblendungen gelingen mühelos. Es klingt immerzu duftig, elegant und strömend wie goldener Honig aus der Sängerin heraus.

 

©Brinkhoff/Mögenburg

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Max, der Pechvogel, der von Maximilian Schmitt zum Besten gegeben wird, bringt den verzweifelten Bräutigam ganz überzeugend auf die Bühne.

 

Hin- und hergerissen zwischen der Wahl auf gut Glück sein Ziel zu treffen oder aber die Abkürzung über den Teufel zu wählen, harrt man mit Max und seinem Schicksal.

 

Als Gegenpart zum Guten, aber Unvollkommenen behauptet sich Caspar (Johan Reuter) als wahre Ausgeburt der Hölle. Wenn Durchtriebenheit und Bösartigkeit einen Namen haben, dann schafft es Johan Reuter genau diese abgründige Menschengestalt in den düstersten Facetten zu personifizieren.

 

Mit wuchtigem Bariton, "Kellergewölbe-rund" und anziehend genussvoll, schwelgt man in der satten, sehr saturierten Stimme, in die man sich auch einfach nur hineinfallen lassen könnte.

 

Der Teufel Samiel, der die meiste Zeit nur als Randfigur auf der Bühne fungiert, ist, auch wenn er nur zwischen der Menge auf und abgeht oder an die Holzpaneelen gedrückt mehr passiv als aktiv in Erscheinung tritt, allein durch die aalglatte Hässlichkeit seiner persönlichen Darstellung, ein Hingucker.

 

Auch seine widerlichen Grimassen und der höhnisch-verächtliche Gesichtsausdruck, den er kurz vor der Pause durch den sich schließenden Vorhang ins Publikum absetzt, ist ein Statement des Bösen schlechthin. 

 

©Brinkhoff/Mögenburg

Orchestral kann man ebenfalls nur jubeln. Das Dirigat von Yoel Gamzou ist großartig, immer auf dem Punkt und  mit dynamischen und sich intensivierenden Spannungsbögen angereichert.

 

Ein grandioser Abend, der neben frenetischen Beifallsbekundungen und Standing Ovations leider auch ein dosiertes Maß an Buhrufen in Kauf nehmen muss. Letztere gelten augenscheinlich der Regie.

 

Aber bitte, wie soll man den Freischütz auf begrenzten Raum szenisch ideal erblühen lassen, wenn eigentlich nur eine Naturkulisse den perfekten Rahmen für dieses Meisterwerk setzen kann.

 

Besetzung: 

 

Inszenierung

Andreas Kriegenburg

 

Dirigat

Yoel Gamzou

 

Agathe

Julia Kleiter

 

Max

Maximilian Schmitt

 

Ännchen

Alina Wunderlin

 

Caspar

Johan Reuter

 

Cuno
Hubert Kowalczyk


Samiel

Clemens Sienknecht

 

Ein Eremit

Han Kim

 

Kilian

William Despiens

 

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