Ermonela Jaho als verzweifelt schöne Madame Butterfly beim Festival in Aix-en-PRovence

15. Juli 2024

Rubrik Oper

©Ruth Walz

Es ist die Geschichte einer weltfremden jungen Geisha, die sich durch die Eheschließung mit einem amerikanischen Offizier ein Leben fern der Armut erhofft.

 

Es ist aber auch die Geschichte zweier Menschen, die aus unterschiedlichen Kulturkreisen stammend, ein jeweils anderes Verständnis für Traditionen und Werte pflegen.

 

Von Nicole Hacke

 

Liebevoll mit requisitenreichen Details bestückt, fasziniert Puccinis im japanischen Stil angehauchte "Madame Butterfly". Exotisches Flair, Symbolismen, opulente Geisha-Gewänder, eine keusche Cio-Cio-San und ein liebeshungriger Pinkerton, der sich einfach nimmt, was er glaubt besitzen zu dürfen, kontrastieren das befremdliche Bild eines Paares, dessen Liebe von der ersten Sekunde an zum Scheitern verurteilt ist.

 

Der Regisseurin Andrea Breth ist mir ihrer tradierten Sichtweise auf szenische Gestaltung ein absolutes Meisterwerk gelungen, stellt sie doch sehr bewusst die Kontraste zwischen alter und neuer Welt, zwischen Tradition und Moderne klar in den Vordergrund.

 

Dabei konzentriert sie sich voll und ganz auf die konventionelle Analogie inszenatorischer Effekte. Genau das zeigt Wirkung, bringt Tiefe in die Handlung und stellt Gesang und Schauspiel über die Idee eines modernen Regietheaters.

 

Das Augenmerk liegt somit klar auf den Akteuren, die im Einklang mit dem Werkgedanken interpretatorisch aus dem Vollen schöpfen können und dürfen.

 

©Ruth Walz

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Und das gelingt ganz besonders der albanischen Sopranistin Ermonela Jaho, die sich in der Rolle der Madame Butterfly wahrhaft wie ein zart flatternder Schmetterling in himmlische Lüfte erhebt.

 

Schon zu Beginn des ersten Aktes strahlt ihre Stimme mit irisierenden Klangfarben und schimmert pastellig fein in den Obertönen.

 

Besonders faszinierend gestaltet sich ihre stimmliche Versatilität in den exponierten Lagen. Dann nämlich erwacht Ermonela Jahos vokales Alleinstellungsmerkmal.

 

Zart und von einem silbrig glänzenden Schleier durchzogen, perlend und von kristallklarer Substanz, fließt und strömt es mit einer duftigen Textur ummantelt frei in exorbitante Höhen.

 

Das sind Gänsehautmomente, die einen immer und immer wieder überkommen, sobald die Sopranistin ihre Stimme in diese rauschhaften Höhen geschmeidig und flexibel katapultiert, noch dazu mit einer Fragilität und emotionalen Intimität, die einen tief in Herz und Seele dringt.

 

Ermonela Jaho versteht es, emotionale Temperaturen zum Leben zu erwecken.

 

Zum ersten Mal erlebe ich mit ihr eine Madame Butterfly, die mir extrem nahegeht, die mich tief berührt und mir zudem die musikalische Seite von Puccinis Oper so eindringlich aufzeigt, dass ich kaum anders kann, als gebannt der schicksalhaften Geschichte dieser einst hoffnungsvollen jungen Frau zuzuhören.

 

©Ruth Walz

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So spannt sich ein fließender Bogen von der verliebten Cio-Cio-San hin zu einer traurigen jungen Frau, die von der Hoffnung getrieben, ihr Leben auf einen Mann ausrichtet, der nie wieder zu ihr zurückkehren wird, ein höchst selbstbewusster Amerikaner, der vom britischen Tenor Adam Smith zum Besten gegeben wird.

 

Große Versprechungen machend, den Ehebund mehr zum Schein mit der 15-jährigen Geisha eingehend, strahlt Adam Smith auch stentorales Selbstbewusstsein aus jeder Pore. Lange Legato-Linien auf den Punkt phrasiert, gelingt dem Tenor eine überzeugende Darstellung.

 

Blasiert zu Beginn, überheblich, dann den Verführer gebend, um ganz zum Schluss seiner Reue Raum zu machen, singt er sich mit "Addio fiorito asil" in einen wahren Rausch der Gefühle.

 

Sogar Verzweiflung über seine schändliche Art des Treue- und Ehebruchs dringen an die klangliche Oberfläche seiner raumgreifenden, oftmals überbordend saturierten Tenorstimme.

 

Man kann es Madame Butterfly kaum vergelten, dass sie sich so sehr in diesen fremdländischen Mann verliebt hat.

 

Und so gestaltet die Künstlerin mit "Un bel di vedremo" ein letztes frohgemutes Aufbäumen, sodass man als Zuschauer versucht ist, mir ihr in diese traumverlorene Welt der Illusionen hinabzusteigen, ihr wie hypnotisiert ganz vertrauensvoll in das Tal der verlorenen Träume zu folgen.

 

Schnell zeichnet sich nun ihr Leidensweg bis in den dritten und letzten Akt ab. Voller Verzweiflung über ihre zerstörten Hoffnungen, das ungerechte Schicksal, das ihr den Mann verwehrt, den sie liebt, setzt Madame Butterfly ihrem Leben ein jähes Ende.

 

©Ruth Walz

©Ruth Walz

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Kurz nachdem sie sich die Kehle durchgeschnitten hat, bricht sie mit letzter Kraft zitternd in sich zusammen. Auch dieser Moment, der eine quälend lange Weile andauert, ist grausam und zum Zerreißen gespannt.

 

Oh, wie man innerlich mit Ermonela Jaho mitleidet, ihr Ende beweinen und betrauern möchte.

 

Nachdem der letzte Akkord verklungen ist, die Bühne abgedunkelt in einem Nichts aus schwarzer Nacht die eigenen Gedanken schwarz färbt, empfängt Ermonela Jaho sichtlich bewegt frenetischen Schlussapplaus.

 

Immer wieder drückt sie ihre Augen zusammen, ob der Tränen, die nicht fließen sollen, die sie sich innerlich wohl am liebsten wegwischen möchte.

 

Doch es hilft nichts, die Ausnahmekünstlerin, die immer alles gibt, um ihren Rollencharakteren Leben einzuhauchen, steckt noch tief und fest in den letzten Atemzügen der Cio-Cio-San. Sie kann ihr noch nicht entkommen.

 

Die Flucht nach vorne ist ihre Bühne, auf der sie noch lange einen Applaus empfängt, der ihre große Kunst zu würdigen weiß. Und auch das Dirigat von Daniele Rustioni zeigt Würdigung in allen Facetten der Tonpoesie, die der jungdynamische Musiker Puccinis Werk zuteilwerden lässt.

 

Ein rundum gelungenes Musiktheater, das mir deutlich zeigt, wie überbewertet an so mancher Stelle modernes Regietheater sein kann.

 

 

Besetzung:

 

Dirigat

Daniele Rustioni

 

Inszenierung

Andrea Breth

 

CIO-CIO-SAN

Ermonela Jaho

 

B. F. PINKERTON

Adam Smith

 

SUZUKI

Mihoko Fujimura

 

SHARPLESS

Lionel Lhote

 

GORO

Carlo Bosi

 

LO ZIO BONZO

Inho Jeong

 

IL PRINCIPE YAMADORI

Kristofer Lundin*

 

KATE PINKERTON

Albane Carrère*

 

IL COMMISSARIO IMPERIALE

Kristján Jóhannesson

 

Weitere Vorstellungen von Madame Butterfly am 16. , 19. und 22. Juli 2024 in Aix-en-Provence. Die Oper ist ebenfalls auf ARTE TV bis einschließlich 13. Juli 2025 abrufbar.

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Kommentare: 2
  • #2

    Herausgeberin Nicole Hacke (Sonntag, 21 Juli 2024 13:11)

    Sehr gerne, Herr Rahlves,
    Ermonela Jaho hat die Rolle der Madame Butterfly so eindrücklich dargeboten, da kann ich Ihnen nur zustimmen. Absolut sehenswert!
    Herzliche Grüße
    Nicole Hacke

  • #1

    Askell Rüdiger Friedrich Rahlves (Mittwoch, 17 Juli 2024 20:47)

    Dank für den schönen Butterfly - Bericht und die genialen Fotos. Klar..habe ich auf Arte TV die Aix en Provence Übertragung gesehen...absolut sehenswert...