30. Oktober 2024
Rubrik Oper
©Brinkhoff- Moegenburg / Hamburgische Staatsoper
Ausgelassen, aufgeregt und laut schwadronierend tummeln sich an diesem Abend zwei Schulklassen im Foyer der Hamburgischen Staatsoper. Das sich einem darbietende Bild ist eindrücklich.
Sieht so die Zukunft des Opernpublikums aus? Während die Jungs in Jeans, lässigem Sakko und Turnschuhen ungestüm von einem Bein auf das andere treten, bieten die Mädchen einen befremdlichen Anblick:
Von Nicole Hacke
Ein sleeker Look, der Eleganz mit Urbanität vereint und sich aus bequemen Turnschuhen und bodenlangem Abendkleid zusammensetzt.
Kontrastiert von einer deutlich älteren Besucherschaft wirkt entweder die eine oder aber die andere Altersgruppe deplatziert. Erfreulich ist dieses Kontrastprogramm in jedem Fall, zeigt es doch, dass "Oper für alle" ganz besonders ein Versprechen an die Jugend sein sollte.
Mir geht ein warmherziges Lächeln über die Lippen. Endlich, denke ich, mischt sich fröhliche Lebhaftigkeit unter das tendenziell gesetztere Publikum.
Und auch auf der Bühne strahlt die Moderne, das Progressive und vor allem das Regietheater aus jeder inszenatorischen Pore.
©Brinkhoff- Moegenburg / Hamburgische Staatsoper
©Brinkhoff- Moegenburg / Hamburgische Staatsoper
Auf diese Bühne könnte man die jungen Menschen glatt verpflanzen, würden sie doch als perfekte Statisten durchgehen. Schließlich wirkt die Regieführung, bei der Mozarts Oper "Don Giovanni" in einem heruntergekommenen Bunker spielen darf, ausgesprochen unkonventionell.
Der Schauplatz könnte der bekannte Techno Club Berghain in Berlin sein, in dem alles möglich ist und wo alles das passieren kann, was Don Giovanni mit über 2000 Frauen aus ganz Europa angestellt hat.
Noch während mich der Gedanke an über 2000 verführte Frauen magisch fesselt, kann mich das Vorspiel kaum bewegen.
An einer auf Leinwand projizierten überdimensionierten Mauer kriecht eine androgyne Menschengestalt wie ein Insekt immer an der Wand lang, rauf und runter. Ist es Gollum aus dem Film "Herr der Ringe" oder aber Amor und Tod in Personalunion?
Auf jeden Fall scheint das schlanke, flachbrüstige Wesen eine Frau zu sein, die sich daran versucht, Mozarts Ouvertüre durch ihre ungelenken Kletterversuche visuell in den Schatten zu stellen.
Dabei lenkt die wenig plausible Lücken füllende Szene nur von der Schönheit der Musik ab.
Zu fokussiert auf das Leinwandgeschehen rückt die musikalische Essenz immer stärker in den Hintergrund und wird auch im Verlauf des Handlungsstranges von omnipräsenten kinematografischen Sequenzen extrem aufgeweicht.
©Brinkhoff- Moegenburg / Hamburgische Staatsoper
©Brinkhoff- Moegenburg / Hamburgische Staatsoper
Will man sich auf die Protagonisten konzentrieren, rückt einem die Leinwand mit ihren übergroßen bewegungsintensiven Projektionen gehörig auf den Pelz. Wo bitte soll man nur hinschauen?
Völlig desorientiert, bereitet einem diese Inszenierung spätestens nach dem ersten Akt große Kopfschmerzen.
Es reicht anscheinend nicht, dass man durch die sozialen Medien flutungsintensiv mit Bewegtbildern überschwemmt und taub gestellt wird. Nein, auch vor der Oper macht Videografie kaum noch halt.
Dabei will ich doch nur Musik, Gesang und Schauspiel degustieren, mich auf die Bühnendarsteller konzentrieren, so wie sich das eigentlich auch gehört.
Als Amor dann noch die vielen Liebschaften des Don Giovanni auf der Leinwand addiert, frage ich mich, ob die Summe dieser Rechnung wirklich stimmen kann.
Ich addiere mit, rechne auf, schaue, ob die dort ausgewiesene Zahl überhaupt korrekt ist und denke am Ende nur, was für ein Unsinn. Sollte ich mich nicht einfach nur auf die Handlung konzentrieren?
©Brinkhoff- Moegenburg / Hamburgische Staatsoper
©Brinkhoff- Moegenburg / Hamburgische Staatsoper
Obgleich stimmige kinematografische Effekte eine Handlung tatsächlich vorantreiben können, wohldosiert wohlgemerkt, passiert in dieser Inszenierung geradewegs das Gegenteil.
Völlig überfordert, beginne ich mein geistiges Betriebssystem herunterzufahren und auf Sparmodus zu schalten. Diese Oper, die im Prinzip unterhaltsam kann, spannend ist und erotisierend wirkt, erschöpft und ermüdet.
Da hilft auch nicht die festliche Orgie, bei der Don Giovanni übergroß im Bild im Glitter-Kostüm über die Bühne fegt während sich seine erlauchten Gäste an Speis und Trank laben, Bananen provokativ an den Mund führen. Nun gut!
Geblendet von den im Scheinwerferlicht reflektierenden Silberpailletten werden nunmehr sämtliche Reize unangenehm überflutet.
Wenn das die Zukunft der Opernregie sein soll, dann kann man bei so vielen überflüssigen Effekten und einer "Leinwandbühne" einfach auch ins Kino gehen.
Was von den Eindrücken der Bühnendarsteller hängen bleibt, ist dürftig ob der diffusen Konzentrationslücken, die sich im Vollrausch des Leinwand-Geflimmers bei mir eingestellt haben.
Was ich aber mit Sicherheit memorieren kann, ist die durch die Bank weg grandiose Leistung folgender Sängerdarsteller:
©Brinkhoff- Moegenburg / Hamburgische Staatsoper
©Brinkhoff- Moegenburg / Hamburgische Staatsoper
©Brinkhoff- Moegenburg / Hamburgische Staatsoper
Allen voran Alessio Arduini, der als Don Giovanni nicht nur optisch viel hermacht, sondern auch stimmlich eine absolute Wucht ist.
Gekonnt gibt er den Verführer par excellence und setzt auch seine erotisierende Stimme gut dosiert an gegebener Stelle saturiert und mit samtsatten Schmelz ein.
Hervorragend macht sich auch Narea Son, die in fast allen Produktionen an der Hamburgischen Staatsoper mit ihrer lyrisch ausdrucksstarken Stimme grandiose Klangperlen auf die Bühne zaubert.
Auch Hera Hyesang Park, die erst kürzlich an der Seite von Freddie De Tommaso bei der Solti-Gala in Budapest brilliert hat, verzaubert als nymphenhafte Zerlina.
Der Kopf von Don Giovanni ist jedenfalls verdreht. Das steht definitiv fest. Auch Rachael Wilson überzeugt als starke Don Elvira, die sich am Schwerenöter rächen will und das auch mit viel Frauenpower und vokaler Brillanz unter Beweis stellt.
Insgesamt ist die musikalische Ausgestaltung ein Hörgenuss auf überragend hohem Niveau, die allerdings durch die inszenatorische Interpretation deutlich in den Hintergrund rückt.
©Brinkhoff- Moegenburg / Hamburgische Staatsoper
©Brinkhoff- Moegenburg / Hamburgische Staatsoper
©Brinkhoff- Moegenburg / Hamburgische Staatsoper
©Brinkhoff- Moegenburg / Hamburgische Staatsoper
Schade, wenn das Regietheater so dermaßen Überhand nimmt, dass man die Musik, den Gesang und den orchestralen Klangteppich nur noch im Vollrausch "medialer" Berieselung an sich vorbeiziehen sieht.